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Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Mutter für Alles zu segnen, was sie Gutes an ihr gethan, und sie selbst auf ihrem Gang in die weite Welt zu beschützen, da er überall sei, und die ihn Liebenden liebe, ja die ihn Hassenden schone und nähre. Und sie schied aus dem Gotteshause, das sie nie wieder betreten sollte, mit dankbarer Innigkeit und seliger Wehmuth.

Zu Hause fiel sie der Mutter um den Hals, wie im Scherz; und wenn sie ihr nachher so unbemerkt nachsah, brach sie in Thränen aus, die sie gewaltsam unterdrücken mußte. Die Mutter frug sie am Nachmittag, was ihr fehle, nahm sie in ihre Arme und tröstete sie. Dann gab sie ihr einen Brief mit den Worten: Vom Herzog an dich! Er hat dich in der Kirche gesehen!

Düvecke nahm ihn, aber sie las ihn nicht. Denn ein Weib, die Liebesbriefe erbricht und lies't, hat Lust zu sündigen, denn sie hat Freude an thörigem Lob von einem Sünder. Düvecke aber betrachtete sich als Faaburg's Weib; und jede ehrbare Jungfrau betrachtet sich schon als das Weib eines ehrbaren Mannes, dem sie einst gehören wird, auch wenn sie ihn noch nicht gesehen. Das ist der Unterschied zwischen gemeinen und reinen Seelen.

Endlich nahte der Abend der Flucht heran. Ein Gewitter verhing den Himmel wie ein schwarzer Mantel. Es donnerte nicht, aber es wetterleuchtete breit und schwebend und verzuckend, als spielten himmlische kleine Götterkinder mit Flämmchen, zündeten sie schnell an

Mutter für Alles zu segnen, was sie Gutes an ihr gethan, und sie selbst auf ihrem Gang in die weite Welt zu beschützen, da er überall sei, und die ihn Liebenden liebe, ja die ihn Hassenden schone und nähre. Und sie schied aus dem Gotteshause, das sie nie wieder betreten sollte, mit dankbarer Innigkeit und seliger Wehmuth.

Zu Hause fiel sie der Mutter um den Hals, wie im Scherz; und wenn sie ihr nachher so unbemerkt nachsah, brach sie in Thränen aus, die sie gewaltsam unterdrücken mußte. Die Mutter frug sie am Nachmittag, was ihr fehle, nahm sie in ihre Arme und tröstete sie. Dann gab sie ihr einen Brief mit den Worten: Vom Herzog an dich! Er hat dich in der Kirche gesehen!

Düvecke nahm ihn, aber sie las ihn nicht. Denn ein Weib, die Liebesbriefe erbricht und lies't, hat Lust zu sündigen, denn sie hat Freude an thörigem Lob von einem Sünder. Düvecke aber betrachtete sich als Faaburg's Weib; und jede ehrbare Jungfrau betrachtet sich schon als das Weib eines ehrbaren Mannes, dem sie einst gehören wird, auch wenn sie ihn noch nicht gesehen. Das ist der Unterschied zwischen gemeinen und reinen Seelen.

Endlich nahte der Abend der Flucht heran. Ein Gewitter verhing den Himmel wie ein schwarzer Mantel. Es donnerte nicht, aber es wetterleuchtete breit und schwebend und verzuckend, als spielten himmlische kleine Götterkinder mit Flämmchen, zündeten sie schnell an

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[0033] Mutter für Alles zu segnen, was sie Gutes an ihr gethan, und sie selbst auf ihrem Gang in die weite Welt zu beschützen, da er überall sei, und die ihn Liebenden liebe, ja die ihn Hassenden schone und nähre. Und sie schied aus dem Gotteshause, das sie nie wieder betreten sollte, mit dankbarer Innigkeit und seliger Wehmuth. Zu Hause fiel sie der Mutter um den Hals, wie im Scherz; und wenn sie ihr nachher so unbemerkt nachsah, brach sie in Thränen aus, die sie gewaltsam unterdrücken mußte. Die Mutter frug sie am Nachmittag, was ihr fehle, nahm sie in ihre Arme und tröstete sie. Dann gab sie ihr einen Brief mit den Worten: Vom Herzog an dich! Er hat dich in der Kirche gesehen! Düvecke nahm ihn, aber sie las ihn nicht. Denn ein Weib, die Liebesbriefe erbricht und lies't, hat Lust zu sündigen, denn sie hat Freude an thörigem Lob von einem Sünder. Düvecke aber betrachtete sich als Faaburg's Weib; und jede ehrbare Jungfrau betrachtet sich schon als das Weib eines ehrbaren Mannes, dem sie einst gehören wird, auch wenn sie ihn noch nicht gesehen. Das ist der Unterschied zwischen gemeinen und reinen Seelen. Endlich nahte der Abend der Flucht heran. Ein Gewitter verhing den Himmel wie ein schwarzer Mantel. Es donnerte nicht, aber es wetterleuchtete breit und schwebend und verzuckend, als spielten himmlische kleine Götterkinder mit Flämmchen, zündeten sie schnell an

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Zitationshilfe: Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schefer_duevecke_1910/33>, abgerufen am 23.11.2024.