Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stischen Darstellung überall die richtigen Umrisse zu verwischen und statt der reinen Zeit- und Localfarben ein phantastisches Zwielicht oder eine ungewisse bengalische Beleuchtung um alle Gestalten zu ergießen; seine Empfindung für das Sittliche, gepaart mit einer wollüstig fiebernden Sinnlichkeit; seltenes Schönheitsbedürfniß und, dicht daneben die naivste Geschmacklosigkeit -- Gegensätze, die es hinlänglich erklären, daß die novellistischen Dichtungen Leopold Schefer's, einst in den Tagen der Romantik als ein hochbedeutsamer, völlig selbständiger Nebenschößling derselben bewundert, heutzutage fast vergessen, ja schlimmer noch, fast ungenießbar geworden sind. Und dies in so hohem Grade, daß kaum eine Wahl für den Novellenschatz länger hin und her geschwankt hat, als die aus der Ueberfülle der Scheferschen Werke, deren Platz in der Entwicklung der deutschen Novelle doch zu ansehnlich ist, um in einer Mustersammlung, die zugleich einen historischen Ueberblick gewähren soll, den einst gefeierten Namen ganz zu übergehen. Auch die endlich zur Aufnahme ausersehene Erzählung leidet an den Gebrechen der Familie, nur daß sie von der lyrischen Verschwommenheit und Ueberschwänglichkeit anderer sich freier gehalten hat. Zu ihrem Vortheil ist' sie schon durch den nördlichen Boden, auf welchem sie spielt, und den Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse vor dem Widerwärtigsten bewahrt geblieben, was die Schefer'schen Gebilde sonst an sich zu tragen pflegen: vor jener nach Moschus, Ambra und Sandelholz duftenden schwülen und schmachtenden orientalischen Ueppigkeit, jener von Koranweisheit und geheimnißvollen Sprüchen durchtönten Stickluft, in welcher das gesundere Geschlecht unserer Tage nicht mehr zu athmen vermag, während man vor dreißig Jahren dieses eben Mode gewordene Aroma begierig einsog. Einzelne ergreifende Momente der Handlung, die großentheils festumrissenen Charaktere und die reichlich eingestreuten geistvollen Reflexionen geben immerhin von dem bedeutenden Talent des Dichters Zeugniß und lassen deutlich erkennen, wie viel hohe Gaben der Natur hier einem falschen Kunstbegriff oder einer Krankheit der Zeit zum Opfer gefallen sind. stischen Darstellung überall die richtigen Umrisse zu verwischen und statt der reinen Zeit- und Localfarben ein phantastisches Zwielicht oder eine ungewisse bengalische Beleuchtung um alle Gestalten zu ergießen; seine Empfindung für das Sittliche, gepaart mit einer wollüstig fiebernden Sinnlichkeit; seltenes Schönheitsbedürfniß und, dicht daneben die naivste Geschmacklosigkeit — Gegensätze, die es hinlänglich erklären, daß die novellistischen Dichtungen Leopold Schefer's, einst in den Tagen der Romantik als ein hochbedeutsamer, völlig selbständiger Nebenschößling derselben bewundert, heutzutage fast vergessen, ja schlimmer noch, fast ungenießbar geworden sind. Und dies in so hohem Grade, daß kaum eine Wahl für den Novellenschatz länger hin und her geschwankt hat, als die aus der Ueberfülle der Scheferschen Werke, deren Platz in der Entwicklung der deutschen Novelle doch zu ansehnlich ist, um in einer Mustersammlung, die zugleich einen historischen Ueberblick gewähren soll, den einst gefeierten Namen ganz zu übergehen. Auch die endlich zur Aufnahme ausersehene Erzählung leidet an den Gebrechen der Familie, nur daß sie von der lyrischen Verschwommenheit und Ueberschwänglichkeit anderer sich freier gehalten hat. Zu ihrem Vortheil ist' sie schon durch den nördlichen Boden, auf welchem sie spielt, und den Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse vor dem Widerwärtigsten bewahrt geblieben, was die Schefer'schen Gebilde sonst an sich zu tragen pflegen: vor jener nach Moschus, Ambra und Sandelholz duftenden schwülen und schmachtenden orientalischen Ueppigkeit, jener von Koranweisheit und geheimnißvollen Sprüchen durchtönten Stickluft, in welcher das gesundere Geschlecht unserer Tage nicht mehr zu athmen vermag, während man vor dreißig Jahren dieses eben Mode gewordene Aroma begierig einsog. Einzelne ergreifende Momente der Handlung, die großentheils festumrissenen Charaktere und die reichlich eingestreuten geistvollen Reflexionen geben immerhin von dem bedeutenden Talent des Dichters Zeugniß und lassen deutlich erkennen, wie viel hohe Gaben der Natur hier einem falschen Kunstbegriff oder einer Krankheit der Zeit zum Opfer gefallen sind. <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> stischen Darstellung überall die richtigen Umrisse zu verwischen und statt der reinen Zeit- und Localfarben ein phantastisches Zwielicht oder eine ungewisse bengalische Beleuchtung um alle Gestalten zu ergießen; seine Empfindung für das Sittliche, gepaart mit einer wollüstig fiebernden Sinnlichkeit; seltenes Schönheitsbedürfniß und, dicht daneben die naivste Geschmacklosigkeit — Gegensätze, die es hinlänglich erklären, daß die novellistischen Dichtungen Leopold Schefer's, einst in den Tagen der Romantik als ein hochbedeutsamer, völlig selbständiger Nebenschößling derselben bewundert, heutzutage fast vergessen, ja schlimmer noch, fast ungenießbar geworden sind. Und dies in so hohem Grade, daß kaum eine Wahl für den Novellenschatz länger hin und her geschwankt hat, als die aus der Ueberfülle der Scheferschen Werke, deren Platz in der Entwicklung der deutschen Novelle doch zu ansehnlich ist, um in einer Mustersammlung, die zugleich einen historischen Ueberblick gewähren soll, den einst gefeierten Namen ganz zu übergehen. Auch die endlich zur Aufnahme ausersehene Erzählung leidet an den Gebrechen der Familie, nur daß sie von der lyrischen Verschwommenheit und Ueberschwänglichkeit anderer sich freier gehalten hat. Zu ihrem Vortheil ist' sie schon durch den nördlichen Boden, auf welchem sie spielt, und den Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse vor dem Widerwärtigsten bewahrt geblieben, was die Schefer'schen Gebilde sonst an sich zu tragen pflegen: vor jener nach Moschus, Ambra und Sandelholz duftenden schwülen und schmachtenden orientalischen Ueppigkeit, jener von Koranweisheit und geheimnißvollen Sprüchen durchtönten Stickluft, in welcher das gesundere Geschlecht unserer Tage nicht mehr zu athmen vermag, während man vor dreißig Jahren dieses eben Mode gewordene Aroma begierig einsog. Einzelne ergreifende Momente der Handlung, die großentheils festumrissenen Charaktere und die reichlich eingestreuten geistvollen Reflexionen geben immerhin von dem bedeutenden Talent des Dichters Zeugniß und lassen deutlich erkennen, wie viel hohe Gaben der Natur hier einem falschen Kunstbegriff oder einer Krankheit der Zeit zum Opfer gefallen sind.</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
stischen Darstellung überall die richtigen Umrisse zu verwischen und statt der reinen Zeit- und Localfarben ein phantastisches Zwielicht oder eine ungewisse bengalische Beleuchtung um alle Gestalten zu ergießen; seine Empfindung für das Sittliche, gepaart mit einer wollüstig fiebernden Sinnlichkeit; seltenes Schönheitsbedürfniß und, dicht daneben die naivste Geschmacklosigkeit — Gegensätze, die es hinlänglich erklären, daß die novellistischen Dichtungen Leopold Schefer's, einst in den Tagen der Romantik als ein hochbedeutsamer, völlig selbständiger Nebenschößling derselben bewundert, heutzutage fast vergessen, ja schlimmer noch, fast ungenießbar geworden sind. Und dies in so hohem Grade, daß kaum eine Wahl für den Novellenschatz länger hin und her geschwankt hat, als die aus der Ueberfülle der Scheferschen Werke, deren Platz in der Entwicklung der deutschen Novelle doch zu ansehnlich ist, um in einer Mustersammlung, die zugleich einen historischen Ueberblick gewähren soll, den einst gefeierten Namen ganz zu übergehen. Auch die endlich zur Aufnahme ausersehene Erzählung leidet an den Gebrechen der Familie, nur daß sie von der lyrischen Verschwommenheit und Ueberschwänglichkeit anderer sich freier gehalten hat. Zu ihrem Vortheil ist' sie schon durch den nördlichen Boden, auf welchem sie spielt, und den Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse vor dem Widerwärtigsten bewahrt geblieben, was die Schefer'schen Gebilde sonst an sich zu tragen pflegen: vor jener nach Moschus, Ambra und Sandelholz duftenden schwülen und schmachtenden orientalischen Ueppigkeit, jener von Koranweisheit und geheimnißvollen Sprüchen durchtönten Stickluft, in welcher das gesundere Geschlecht unserer Tage nicht mehr zu athmen vermag, während man vor dreißig Jahren dieses eben Mode gewordene Aroma begierig einsog. Einzelne ergreifende Momente der Handlung, die großentheils festumrissenen Charaktere und die reichlich eingestreuten geistvollen Reflexionen geben immerhin von dem bedeutenden Talent des Dichters Zeugniß und lassen deutlich erkennen, wie viel hohe Gaben der Natur hier einem falschen Kunstbegriff oder einer Krankheit der Zeit zum Opfer gefallen sind.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T10:50:59Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T10:50:59Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |