Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit gemessenen
Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte sich und
grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel
an sich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf.

Da hub sie leise an, eine griechische Singweise zu summen; es
war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: *)

Ei sieh, du holdes Täubchen,
Wo kommst du hergeflogen?
Woher die Salbendüfte,
Die du, die Luft durchwandelnd,
Aushauchst und niederträufelst?
Wer bist du? was beliebt dir?

Ekkehard horchte hoch auf und warf einen schier erschrockenen Blick
von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre sein Aug' für
natürliche Anmuth geübter gewesen, so hätt' es wohl länger auf der
Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft,
sie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe -- Anacreon's alter
Landsmann, der dereinst den parischen Marmorblock zur Venus von
Knidos umschuf, hätte das Bild dauernd seinem Gedächtniß eingeprägt.

Was singt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde
Sprache.

Warum soll's nicht so klingen?

Griechisch?!

Warum soll ich nicht griechisch singen? gab ihm Praxedis schnip-
pisch zurück.

Bei der Leier des Homerus, sprach Ekkehard verwundert, wo in
aller Welt habt Ihr das erlernet, unserer Gelehrsamkeit höchstes Ziel?

Zu Hause!.. sagte Praxedis gelassen und ließ die Taube zurück-
fliegen.

Da schaute Ekkehard noch einmal in scheuer Hochachtung herüber.
Bei Aristoteles und Plato war's ihm seither kaum eingefallen, daß

*) Pothen, phile peleia
Pothen pothen petasai;
u. s. w.
D. B.VII. Scheffel, Ekkehard. 6

eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit gemeſſenen
Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte ſich und
grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel
an ſich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf.

Da hub ſie leiſe an, eine griechiſche Singweiſe zu ſummen; es
war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: *)

Ei ſieh, du holdes Täubchen,
Wo kommſt du hergeflogen?
Woher die Salbendüfte,
Die du, die Luft durchwandelnd,
Aushauchſt und niederträufelſt?
Wer biſt du? was beliebt dir?

Ekkehard horchte hoch auf und warf einen ſchier erſchrockenen Blick
von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre ſein Aug' für
natürliche Anmuth geübter geweſen, ſo hätt' es wohl länger auf der
Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft,
ſie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe — Anacreon's alter
Landsmann, der dereinſt den pariſchen Marmorblock zur Venus von
Knidos umſchuf, hätte das Bild dauernd ſeinem Gedächtniß eingeprägt.

Was ſingt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde
Sprache.

Warum ſoll's nicht ſo klingen?

Griechiſch?!

Warum ſoll ich nicht griechiſch ſingen? gab ihm Praxedis ſchnip-
piſch zurück.

Bei der Leier des Homerus, ſprach Ekkehard verwundert, wo in
aller Welt habt Ihr das erlernet, unſerer Gelehrſamkeit höchſtes Ziel?

Zu Hauſe!.. ſagte Praxedis gelaſſen und ließ die Taube zurück-
fliegen.

Da ſchaute Ekkehard noch einmal in ſcheuer Hochachtung herüber.
Bei Ariſtoteles und Plato war's ihm ſeither kaum eingefallen, daß

*) Ποϑεν, φιλη πελεια
Ποϑεν ποϑεν πετασαι;
u. ſ. w.
D. B.VII. Scheffel, Ekkehard. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="81"/>
eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit geme&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte &#x017F;ich und<lb/>
grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel<lb/>
an &#x017F;ich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf.</p><lb/>
        <p>Da hub &#x017F;ie lei&#x017F;e an, eine griechi&#x017F;che Singwei&#x017F;e zu &#x017F;ummen; es<lb/>
war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">&#x03A0;&#x03BF;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BD;, &#x03C6;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B7; &#x03C0;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B1;<lb/>
&#x03A0;&#x03BF;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BD; &#x03C0;&#x03BF;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BD; &#x03C0;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B1;&#x03B9;;</hi> u. &#x017F;. w.</note></p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Ei &#x017F;ieh, du holdes Täubchen,</l><lb/>
          <l>Wo komm&#x017F;t du hergeflogen?</l><lb/>
          <l>Woher die Salbendüfte,</l><lb/>
          <l>Die du, die Luft durchwandelnd,</l><lb/>
          <l>Aushauch&#x017F;t und niederträufel&#x017F;t?</l><lb/>
          <l>Wer bi&#x017F;t du? was beliebt dir?</l>
        </lg><lb/>
        <p>Ekkehard horchte hoch auf und warf einen &#x017F;chier er&#x017F;chrockenen Blick<lb/>
von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre &#x017F;ein Aug' für<lb/>
natürliche Anmuth geübter gewe&#x017F;en, &#x017F;o hätt' es wohl länger auf der<lb/>
Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft,<lb/>
&#x017F;ie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe &#x2014; Anacreon's alter<lb/>
Landsmann, der derein&#x017F;t den pari&#x017F;chen Marmorblock zur Venus von<lb/>
Knidos um&#x017F;chuf, hätte das Bild dauernd &#x017F;einem Gedächtniß eingeprägt.</p><lb/>
        <p>Was &#x017F;ingt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde<lb/>
Sprache.</p><lb/>
        <p>Warum &#x017F;oll's nicht &#x017F;o klingen?</p><lb/>
        <p>Griechi&#x017F;ch?!</p><lb/>
        <p>Warum &#x017F;oll ich nicht griechi&#x017F;ch &#x017F;ingen? gab ihm Praxedis &#x017F;chnip-<lb/>
pi&#x017F;ch zurück.</p><lb/>
        <p>Bei der Leier des Homerus, &#x017F;prach Ekkehard verwundert, wo in<lb/>
aller Welt habt Ihr das erlernet, un&#x017F;erer Gelehr&#x017F;amkeit höch&#x017F;tes Ziel?</p><lb/>
        <p>Zu Hau&#x017F;e!.. &#x017F;agte Praxedis gela&#x017F;&#x017F;en und ließ die Taube zurück-<lb/>
fliegen.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;chaute Ekkehard noch einmal in &#x017F;cheuer Hochachtung herüber.<lb/>
Bei Ari&#x017F;toteles und Plato war's ihm &#x017F;either kaum eingefallen, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D. B.<hi rendition="#aq">VII.</hi> Scheffel, Ekkehard. 6</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0103] eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit gemeſſenen Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte ſich und grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel an ſich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf. Da hub ſie leiſe an, eine griechiſche Singweiſe zu ſummen; es war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: *) Ei ſieh, du holdes Täubchen, Wo kommſt du hergeflogen? Woher die Salbendüfte, Die du, die Luft durchwandelnd, Aushauchſt und niederträufelſt? Wer biſt du? was beliebt dir? Ekkehard horchte hoch auf und warf einen ſchier erſchrockenen Blick von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre ſein Aug' für natürliche Anmuth geübter geweſen, ſo hätt' es wohl länger auf der Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft, ſie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe — Anacreon's alter Landsmann, der dereinſt den pariſchen Marmorblock zur Venus von Knidos umſchuf, hätte das Bild dauernd ſeinem Gedächtniß eingeprägt. Was ſingt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde Sprache. Warum ſoll's nicht ſo klingen? Griechiſch?! Warum ſoll ich nicht griechiſch ſingen? gab ihm Praxedis ſchnip- piſch zurück. Bei der Leier des Homerus, ſprach Ekkehard verwundert, wo in aller Welt habt Ihr das erlernet, unſerer Gelehrſamkeit höchſtes Ziel? Zu Hauſe!.. ſagte Praxedis gelaſſen und ließ die Taube zurück- fliegen. Da ſchaute Ekkehard noch einmal in ſcheuer Hochachtung herüber. Bei Ariſtoteles und Plato war's ihm ſeither kaum eingefallen, daß *) Ποϑεν, φιλη πελεια Ποϑεν ποϑεν πετασαι; u. ſ. w. D. B.VII. Scheffel, Ekkehard. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/103
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/103>, abgerufen am 21.05.2024.