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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Jetzt hub sich ein unsicheres Leuchten am Himmelsgewölb, eine
Sternschnuppe kam geflogen, ein flimmernder Glanzstreif zeichnete ihre
Bahn, viel andere folgten nach -- es kommt von oben, flüsterte Au-
difax und preßte krampfhaft das Hirtenkind an sich, auri sacra
fames ..
rief er noch einmal in die Nacht hinaus, strahlend kreuzten
sich die Meteore, das erste erlosch, das zweite erlosch -- es war wieder
ruhig am Himmel wie zuvor ...

Lang und scharf sah sich Audifax um. Dann stand er betrübt auf:
es ist Nichts, sagte er mit zitternder Stimme, sie sind in See gefallen.
Sie gönnen uns Nichts. Wir werden Hirten bleiben.

Hast du des heiligen Mannes Spruch auch recht gesagt? fragte
ihn Hadumoth.

Wie er ihn mich lehrte.

Dann hat er dich nicht den rechten gelehrt. Er wird den Schatz
selber heben. Vielleicht hat er ein Netz dorthin gelegt, wo die Sterne
fielen ..

Das glaub' ich nicht, sprach Audifax. Sein Antlitz ist mild und
gut und seine Lippen sprechen kein Falsch.

Hadumoth sann nach.

Vielleicht weiß er den rechten Spruch nicht?

Warum?

Weil er den rechten Gott nicht hat. Er hat den neuen Gott.
Die alten Götter waren auch stark.

Audifax hielt seiner Gefährtin den Finger an die Lippen. Schweig!
sprach er.

Ich fürchte mich nicht mehr, sagte Hadumoth. Ich weiß noch eine
Andere, die versteht sich auch auf Sprüche.

Wen?

Hadumoth deutete hinüber, wo aus lang gestrecktem Tannensaum
ein dunkler Bergkegel steil aufstieg. Die Waldfrau! antwortete sie.

Die Waldfrau? sprach Audifax erschrocken. Die, die das große
Gewitter gemacht, wo die Schlossen so groß wie Taubeneier in's Feld
einschlugen, und die den Centgrafen von Hilzingen gefressen hat, daß
er nimmer heimkam?

Eben darum. Wir wollen sie fragen. Die Burg ist uns doch
verschlossen und die Nacht kalt.

Jetzt hub ſich ein unſicheres Leuchten am Himmelsgewölb, eine
Sternſchnuppe kam geflogen, ein flimmernder Glanzſtreif zeichnete ihre
Bahn, viel andere folgten nach — es kommt von oben, flüſterte Au-
difax und preßte krampfhaft das Hirtenkind an ſich, auri sacra
fames ..
rief er noch einmal in die Nacht hinaus, ſtrahlend kreuzten
ſich die Meteore, das erſte erloſch, das zweite erloſch — es war wieder
ruhig am Himmel wie zuvor ...

Lang und ſcharf ſah ſich Audifax um. Dann ſtand er betrübt auf:
es iſt Nichts, ſagte er mit zitternder Stimme, ſie ſind in See gefallen.
Sie gönnen uns Nichts. Wir werden Hirten bleiben.

Haſt du des heiligen Mannes Spruch auch recht geſagt? fragte
ihn Hadumoth.

Wie er ihn mich lehrte.

Dann hat er dich nicht den rechten gelehrt. Er wird den Schatz
ſelber heben. Vielleicht hat er ein Netz dorthin gelegt, wo die Sterne
fielen ..

Das glaub' ich nicht, ſprach Audifax. Sein Antlitz iſt mild und
gut und ſeine Lippen ſprechen kein Falſch.

Hadumoth ſann nach.

Vielleicht weiß er den rechten Spruch nicht?

Warum?

Weil er den rechten Gott nicht hat. Er hat den neuen Gott.
Die alten Götter waren auch ſtark.

Audifax hielt ſeiner Gefährtin den Finger an die Lippen. Schweig!
ſprach er.

Ich fürchte mich nicht mehr, ſagte Hadumoth. Ich weiß noch eine
Andere, die verſteht ſich auch auf Sprüche.

Wen?

Hadumoth deutete hinüber, wo aus lang geſtrecktem Tannenſaum
ein dunkler Bergkegel ſteil aufſtieg. Die Waldfrau! antwortete ſie.

Die Waldfrau? ſprach Audifax erſchrocken. Die, die das große
Gewitter gemacht, wo die Schloſſen ſo groß wie Taubeneier in's Feld
einſchlugen, und die den Centgrafen von Hilzingen gefreſſen hat, daß
er nimmer heimkam?

Eben darum. Wir wollen ſie fragen. Die Burg iſt uns doch
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[98/0120] Jetzt hub ſich ein unſicheres Leuchten am Himmelsgewölb, eine Sternſchnuppe kam geflogen, ein flimmernder Glanzſtreif zeichnete ihre Bahn, viel andere folgten nach — es kommt von oben, flüſterte Au- difax und preßte krampfhaft das Hirtenkind an ſich, auri sacra fames .. rief er noch einmal in die Nacht hinaus, ſtrahlend kreuzten ſich die Meteore, das erſte erloſch, das zweite erloſch — es war wieder ruhig am Himmel wie zuvor ... Lang und ſcharf ſah ſich Audifax um. Dann ſtand er betrübt auf: es iſt Nichts, ſagte er mit zitternder Stimme, ſie ſind in See gefallen. Sie gönnen uns Nichts. Wir werden Hirten bleiben. Haſt du des heiligen Mannes Spruch auch recht geſagt? fragte ihn Hadumoth. Wie er ihn mich lehrte. Dann hat er dich nicht den rechten gelehrt. Er wird den Schatz ſelber heben. Vielleicht hat er ein Netz dorthin gelegt, wo die Sterne fielen .. Das glaub' ich nicht, ſprach Audifax. Sein Antlitz iſt mild und gut und ſeine Lippen ſprechen kein Falſch. Hadumoth ſann nach. Vielleicht weiß er den rechten Spruch nicht? Warum? Weil er den rechten Gott nicht hat. Er hat den neuen Gott. Die alten Götter waren auch ſtark. Audifax hielt ſeiner Gefährtin den Finger an die Lippen. Schweig! ſprach er. Ich fürchte mich nicht mehr, ſagte Hadumoth. Ich weiß noch eine Andere, die verſteht ſich auch auf Sprüche. Wen? Hadumoth deutete hinüber, wo aus lang geſtrecktem Tannenſaum ein dunkler Bergkegel ſteil aufſtieg. Die Waldfrau! antwortete ſie. Die Waldfrau? ſprach Audifax erſchrocken. Die, die das große Gewitter gemacht, wo die Schloſſen ſo groß wie Taubeneier in's Feld einſchlugen, und die den Centgrafen von Hilzingen gefreſſen hat, daß er nimmer heimkam? Eben darum. Wir wollen ſie fragen. Die Burg iſt uns doch verſchloſſen und die Nacht kalt.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/120>, abgerufen am 21.05.2024.