Das Hirtenmägdlein war keck und muthig geworden. Das Mitleid um Audifax war groß in ihr; sie hätte ihm so gern zu seiner Wünsche Erfüllung verholfen. Komm! sprach sie lebhaft, wenn dir's bange wird im Wald, so blas auf deiner Pfeife. Die Vögel antworten. Es geht dem Morgen entgegen.
Audifax erhob keinen Einwand mehr. Da gingen sie mit einand durch's dichte Gehölz nordwärts, es war ein dunkler Tannenwald, sie kannten den Pfad. Niemand war des Weges. Nur ein alter Fuchs stand lauernd auf einem Rain, aber er war vom Erscheinen der beiden Kinder so wenig befriedigt, als diese von den schnell verflogenen Sternschnuppen.
Auch bei Füchsen kommt oft Etwas ganz Anderes, als sie wünschen und erwarten. Darum zog er seinen Schweif ein, und schlug sich seitwärts.
Sie waren eine Stunde weit gegangen, da stunden sie vor dem Fels Hohenkrähen. Zwischen Bäumen versteckt stund ein steinern Häuslein; sie hielten. Der Hund wird Laut geben! sprach Hadumoth. Aber kein Hund rührte sich. Sie traten näher, die Thür stand offen.
Die Waldfrau ist fort! sprachen sie. Aber auf dem Fels Hohen- krähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Gestalten regten sich. Da schlichen die Kinder den Felspfad hinauf.
Schon stand ein heller Luftstreif hinter den Bergen am Bodensee. Es ging steil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein Felsenvorsprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Aeste aus. Da duckten sich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und schauten hinüber. Es war ein Thier geschlachtet worden, ein Haupt, wie das eines Pferdes war an den Eichstamm genagelt, Spieße standen über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut.
Um einen zugehauenen Felsblock saßen viel Männer, ein Kessel mit Bier stand auf dem Stein,120) sie schöpften daraus mit steinernen Krügen.
An der Eiche kauerte ein Weib. Sie war nicht so liebreizend, wie jene allemannische Jungfrau Bissula, die dem römischen Staats- mann Ausonius einst trotz seiner sechzig Jahre das Herz berückte, daß er idyllendichtend auf seiner Präfecturkanzlei einherschritt und sang: "sie ist von Augen himmelblau, und golden das röthliche Haar, ein Barbarenkind hoch über allen Puppen Latiums, wer sie malen will,
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Das Hirtenmägdlein war keck und muthig geworden. Das Mitleid um Audifax war groß in ihr; ſie hätte ihm ſo gern zu ſeiner Wünſche Erfüllung verholfen. Komm! ſprach ſie lebhaft, wenn dir's bange wird im Wald, ſo blas auf deiner Pfeife. Die Vögel antworten. Es geht dem Morgen entgegen.
Audifax erhob keinen Einwand mehr. Da gingen ſie mit einand durch's dichte Gehölz nordwärts, es war ein dunkler Tannenwald, ſie kannten den Pfad. Niemand war des Weges. Nur ein alter Fuchs ſtand lauernd auf einem Rain, aber er war vom Erſcheinen der beiden Kinder ſo wenig befriedigt, als dieſe von den ſchnell verflogenen Sternſchnuppen.
Auch bei Füchſen kommt oft Etwas ganz Anderes, als ſie wünſchen und erwarten. Darum zog er ſeinen Schweif ein, und ſchlug ſich ſeitwärts.
Sie waren eine Stunde weit gegangen, da ſtunden ſie vor dem Fels Hohenkrähen. Zwiſchen Bäumen verſteckt ſtund ein ſteinern Häuslein; ſie hielten. Der Hund wird Laut geben! ſprach Hadumoth. Aber kein Hund rührte ſich. Sie traten näher, die Thür ſtand offen.
Die Waldfrau iſt fort! ſprachen ſie. Aber auf dem Fels Hohen- krähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Geſtalten regten ſich. Da ſchlichen die Kinder den Felspfad hinauf.
Schon ſtand ein heller Luftſtreif hinter den Bergen am Bodenſee. Es ging ſteil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein Felſenvorſprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Aeſte aus. Da duckten ſich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und ſchauten hinüber. Es war ein Thier geſchlachtet worden, ein Haupt, wie das eines Pferdes war an den Eichſtamm genagelt, Spieße ſtanden über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut.
Um einen zugehauenen Felsblock ſaßen viel Männer, ein Keſſel mit Bier ſtand auf dem Stein,120) ſie ſchöpften daraus mit ſteinernen Krügen.
An der Eiche kauerte ein Weib. Sie war nicht ſo liebreizend, wie jene allemanniſche Jungfrau Biſſula, die dem römiſchen Staats- mann Auſonius einſt trotz ſeiner ſechzig Jahre das Herz berückte, daß er idyllendichtend auf ſeiner Präfecturkanzlei einherſchritt und ſang: „ſie iſt von Augen himmelblau, und golden das röthliche Haar, ein Barbarenkind hoch über allen Puppen Latiums, wer ſie malen will,
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Das Hirtenmägdlein war keck und muthig geworden. Das Mitleid
um Audifax war groß in ihr; ſie hätte ihm ſo gern zu ſeiner Wünſche
Erfüllung verholfen. Komm! ſprach ſie lebhaft, wenn dir's bange
wird im Wald, ſo blas auf deiner Pfeife. Die Vögel antworten.
Es geht dem Morgen entgegen.
Audifax erhob keinen Einwand mehr. Da gingen ſie mit einand
durch's dichte Gehölz nordwärts, es war ein dunkler Tannenwald, ſie
kannten den Pfad. Niemand war des Weges. Nur ein alter Fuchs
ſtand lauernd auf einem Rain, aber er war vom Erſcheinen der beiden
Kinder ſo wenig befriedigt, als dieſe von den ſchnell verflogenen
Sternſchnuppen.
Auch bei Füchſen kommt oft Etwas ganz Anderes, als ſie wünſchen
und erwarten. Darum zog er ſeinen Schweif ein, und ſchlug ſich ſeitwärts.
Sie waren eine Stunde weit gegangen, da ſtunden ſie vor dem
Fels Hohenkrähen. Zwiſchen Bäumen verſteckt ſtund ein ſteinern
Häuslein; ſie hielten. Der Hund wird Laut geben! ſprach Hadumoth.
Aber kein Hund rührte ſich. Sie traten näher, die Thür ſtand offen.
Die Waldfrau iſt fort! ſprachen ſie. Aber auf dem Fels Hohen-
krähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Geſtalten regten
ſich. Da ſchlichen die Kinder den Felspfad hinauf.
Schon ſtand ein heller Luftſtreif hinter den Bergen am Bodenſee.
Es ging ſteil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein
Felſenvorſprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Aeſte
aus. Da duckten ſich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und
ſchauten hinüber. Es war ein Thier geſchlachtet worden, ein Haupt,
wie das eines Pferdes war an den Eichſtamm genagelt, Spieße ſtanden
über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut.
Um einen zugehauenen Felsblock ſaßen viel Männer, ein Keſſel mit
Bier ſtand auf dem Stein,
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ſie ſchöpften daraus mit ſteinernen
Krügen.
An der Eiche kauerte ein Weib. Sie war nicht ſo liebreizend,
wie jene allemanniſche Jungfrau Biſſula, die dem römiſchen Staats-
mann Auſonius einſt trotz ſeiner ſechzig Jahre das Herz berückte, daß
er idyllendichtend auf ſeiner Präfecturkanzlei einherſchritt und ſang:
„ſie iſt von Augen himmelblau, und golden das röthliche Haar, ein
Barbarenkind hoch über allen Puppen Latiums, wer ſie malen will,
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/121>, abgerufen am 25.11.2024.
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