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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Zehntes Kapitel.
Weihnachten.


Der Abend auf dem hohen Krähen klang noch etliche Tage in
der Herzogin Gemüth fort. Mißtöne werden schwer vergeben, zumal
von dem der sie selber angeschlagen. Darum saß Frau Hadwig einige
Tage verstimmt in ihrem Saal. Grammatik und Virgilius ruhten.
Sie scherzte mit Praxedis über die Schulmeister in Constantinopel
angelegentlicher denn früher. Ekkehard fragte an, ob er zu Fort-
setzung des Unterrichtes sich einstellen solle. Ich habe Zahnweh, sprach
die Herzogin. Die rauhe Spätherbstluft werde Schuld daran sein,
meinte er bedauernd.

Er fragte jeden Tag etliche male nach seiner Gebieterin Befinden.
Das rührte die Herzogin wieder. Woher kommt's sprach sie einmal
zu Praxedis, daß Einer mehr werth sein kann als er selber aus sich
zu machen weiß?

Vom Mangel an Grazie, sagte die Griechin. In andern Län-
dern hab' ich das Umgekehrte wahrgenommen, aber hier sind die
Menschen zu träge, mit jedem Schritt, mit jeder Handbewegung, mit
jedem Wort auszusprechen: das bin ich. Sie denken's lieber und
meinen, es müßte dann die ganze Welt auf ihrer Stirn lesen, was
dahinter webt und strebt.

Wir sind doch sonst so fleißig, sprach Frau Hadwig wohlgefällig.

Die Büffel schaffen auch den ganzen Tag, hätte Praxedis schier
erwiedert, aber in diesem Falle begnügte sie sich damit, es gedacht
zu haben.

Ekkehard war unbefangen. Es fiel ihm nicht ein, daß er der
Herzogin ungeeignet geantwortet. Er hatte wirklich an das Gleichniß
der Schrift gedacht, und übersehen, daß es dem leisen Ausdruck einer
Zuneigung gegenüber nicht zweckmäßig ist, die Schrift anzuführen. Er

Zehntes Kapitel.
Weihnachten.


Der Abend auf dem hohen Krähen klang noch etliche Tage in
der Herzogin Gemüth fort. Mißtöne werden ſchwer vergeben, zumal
von dem der ſie ſelber angeſchlagen. Darum ſaß Frau Hadwig einige
Tage verſtimmt in ihrem Saal. Grammatik und Virgilius ruhten.
Sie ſcherzte mit Praxedis über die Schulmeiſter in Conſtantinopel
angelegentlicher denn früher. Ekkehard fragte an, ob er zu Fort-
ſetzung des Unterrichtes ſich einſtellen ſolle. Ich habe Zahnweh, ſprach
die Herzogin. Die rauhe Spätherbſtluft werde Schuld daran ſein,
meinte er bedauernd.

Er fragte jeden Tag etliche male nach ſeiner Gebieterin Befinden.
Das rührte die Herzogin wieder. Woher kommt's ſprach ſie einmal
zu Praxedis, daß Einer mehr werth ſein kann als er ſelber aus ſich
zu machen weiß?

Vom Mangel an Grazie, ſagte die Griechin. In andern Län-
dern hab' ich das Umgekehrte wahrgenommen, aber hier ſind die
Menſchen zu träge, mit jedem Schritt, mit jeder Handbewegung, mit
jedem Wort auszuſprechen: das bin ich. Sie denken's lieber und
meinen, es müßte dann die ganze Welt auf ihrer Stirn leſen, was
dahinter webt und ſtrebt.

Wir ſind doch ſonſt ſo fleißig, ſprach Frau Hadwig wohlgefällig.

Die Büffel ſchaffen auch den ganzen Tag, hätte Praxedis ſchier
erwiedert, aber in dieſem Falle begnügte ſie ſich damit, es gedacht
zu haben.

Ekkehard war unbefangen. Es fiel ihm nicht ein, daß er der
Herzogin ungeeignet geantwortet. Er hatte wirklich an das Gleichniß
der Schrift gedacht, und überſehen, daß es dem leiſen Ausdruck einer
Zuneigung gegenüber nicht zweckmäßig iſt, die Schrift anzuführen. Er

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[117/0139] Zehntes Kapitel. Weihnachten. Der Abend auf dem hohen Krähen klang noch etliche Tage in der Herzogin Gemüth fort. Mißtöne werden ſchwer vergeben, zumal von dem der ſie ſelber angeſchlagen. Darum ſaß Frau Hadwig einige Tage verſtimmt in ihrem Saal. Grammatik und Virgilius ruhten. Sie ſcherzte mit Praxedis über die Schulmeiſter in Conſtantinopel angelegentlicher denn früher. Ekkehard fragte an, ob er zu Fort- ſetzung des Unterrichtes ſich einſtellen ſolle. Ich habe Zahnweh, ſprach die Herzogin. Die rauhe Spätherbſtluft werde Schuld daran ſein, meinte er bedauernd. Er fragte jeden Tag etliche male nach ſeiner Gebieterin Befinden. Das rührte die Herzogin wieder. Woher kommt's ſprach ſie einmal zu Praxedis, daß Einer mehr werth ſein kann als er ſelber aus ſich zu machen weiß? Vom Mangel an Grazie, ſagte die Griechin. In andern Län- dern hab' ich das Umgekehrte wahrgenommen, aber hier ſind die Menſchen zu träge, mit jedem Schritt, mit jeder Handbewegung, mit jedem Wort auszuſprechen: das bin ich. Sie denken's lieber und meinen, es müßte dann die ganze Welt auf ihrer Stirn leſen, was dahinter webt und ſtrebt. Wir ſind doch ſonſt ſo fleißig, ſprach Frau Hadwig wohlgefällig. Die Büffel ſchaffen auch den ganzen Tag, hätte Praxedis ſchier erwiedert, aber in dieſem Falle begnügte ſie ſich damit, es gedacht zu haben. Ekkehard war unbefangen. Es fiel ihm nicht ein, daß er der Herzogin ungeeignet geantwortet. Er hatte wirklich an das Gleichniß der Schrift gedacht, und überſehen, daß es dem leiſen Ausdruck einer Zuneigung gegenüber nicht zweckmäßig iſt, die Schrift anzuführen. Er

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/139>, abgerufen am 25.11.2024.