verehrte die Herzogin, aber mehr als den verkörperten Begriff der Hoheit, denn als Frau. Daß Hohes Anbetung fordert, war ihm nicht eingefallen, noch weniger daß auch die höchste Erscheinung oft mit einfacher Liebe zufrieden ist. Frau Hadwig's üble Laune nahm er wahr. Er begnügte sich, seine Wahrnehmung in den allgemeinen Satz niederzulegen, daß der Umgang mit einer Herzogin schwieriger sei als der mit Ordensbrüdern nach der Regel des heiligen Benedict. Aus Vincentius nachgelassenen Büchern studirte er die Briefe des Apostel Paulus. Herr Spazzo ging in jener Zeit hochmüthiger an ihm vor- über denn früher.
Frau Hadwig fand, daß es besser sei, in's frühere Geleis rück- zukehren. Es war doch ein mächtiger Anblick, sprach sie eines Tages zu Ekkehard, wie wir vom hohen Krähen nach den Schneegebirgen schauten. Kennt Ihr aber das hohentwieler Wetterzeichen? Wenn die Alpen recht klar und nah am Himmel sich abzeichnen, schlägt die Witterung um. Es sind wirklich schlechte Tage darauf gefolgt. Wir wollen wieder Virgilius lesen.
Da holte Ekkehard vergnügt seinen schweren metallbeschlagenen Virgilius und sie setzten die Studien fort. Er erklärte den Frauen der Aeneide zweites Buch, den Fall der hohen Troja, das hölzerne Pferd und Sinon's List und Laocoon's bittres Verderben, den nächt- lichen Kampf, Cassandra's Geschick und Priamus' Tod, die Flucht mit dem greisen Anchises.
Mit sichtbarer Theilnahme lauschte Frau Hadwig der spannenden Erzählung. Nur mit dem Verschwinden von Aeneas' Ehegemahlin Kreusa war sie nicht ganz zufrieden. Das braucht er vor der Kö- nigin Dido nicht so breit zu erzählen, sprach sie, die Lebende hat sicher nicht gern gehört, daß er der Entschwundenen so lange nachge- laufen. Verloren ist verloren.
Indessen zog der Winter mit scharfem Schritt heran. der Him- mel blieb trüb und bleigrau, die Ferne verhüllt; erst zogen die Berg- gipfel rings die weiße Schneedecke um, dann folgte Feld und Thal dem Beispiel. Junge Eiszapfen prüften das Gebälke unter dem Dach, ob sie sich für etliche Monate ungestört dran niederlassen möchten; die alte Linde im Schloßhof hatte längst wie ein fürsichtiger Haus- vater, der die abgetragenen Gewandungen dem Hebräer überläßt, ihre
verehrte die Herzogin, aber mehr als den verkörperten Begriff der Hoheit, denn als Frau. Daß Hohes Anbetung fordert, war ihm nicht eingefallen, noch weniger daß auch die höchſte Erſcheinung oft mit einfacher Liebe zufrieden iſt. Frau Hadwig's üble Laune nahm er wahr. Er begnügte ſich, ſeine Wahrnehmung in den allgemeinen Satz niederzulegen, daß der Umgang mit einer Herzogin ſchwieriger ſei als der mit Ordensbrüdern nach der Regel des heiligen Benedict. Aus Vincentius nachgelaſſenen Büchern ſtudirte er die Briefe des Apoſtel Paulus. Herr Spazzo ging in jener Zeit hochmüthiger an ihm vor- über denn früher.
Frau Hadwig fand, daß es beſſer ſei, in's frühere Geleis rück- zukehren. Es war doch ein mächtiger Anblick, ſprach ſie eines Tages zu Ekkehard, wie wir vom hohen Krähen nach den Schneegebirgen ſchauten. Kennt Ihr aber das hohentwieler Wetterzeichen? Wenn die Alpen recht klar und nah am Himmel ſich abzeichnen, ſchlägt die Witterung um. Es ſind wirklich ſchlechte Tage darauf gefolgt. Wir wollen wieder Virgilius leſen.
Da holte Ekkehard vergnügt ſeinen ſchweren metallbeſchlagenen Virgilius und ſie ſetzten die Studien fort. Er erklärte den Frauen der Aeneide zweites Buch, den Fall der hohen Troja, das hölzerne Pferd und Sinon's Liſt und Laocoon's bittres Verderben, den nächt- lichen Kampf, Caſſandra's Geſchick und Priamus' Tod, die Flucht mit dem greiſen Anchiſes.
Mit ſichtbarer Theilnahme lauſchte Frau Hadwig der ſpannenden Erzählung. Nur mit dem Verſchwinden von Aeneas' Ehegemahlin Kreuſa war ſie nicht ganz zufrieden. Das braucht er vor der Kö- nigin Dido nicht ſo breit zu erzählen, ſprach ſie, die Lebende hat ſicher nicht gern gehört, daß er der Entſchwundenen ſo lange nachge- laufen. Verloren iſt verloren.
Indeſſen zog der Winter mit ſcharfem Schritt heran. der Him- mel blieb trüb und bleigrau, die Ferne verhüllt; erſt zogen die Berg- gipfel rings die weiße Schneedecke um, dann folgte Feld und Thal dem Beiſpiel. Junge Eiszapfen prüften das Gebälke unter dem Dach, ob ſie ſich für etliche Monate ungeſtört dran niederlaſſen möchten; die alte Linde im Schloßhof hatte längſt wie ein fürſichtiger Haus- vater, der die abgetragenen Gewandungen dem Hebräer überläßt, ihre
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verehrte die Herzogin, aber mehr als den verkörperten Begriff der
Hoheit, denn als Frau. Daß Hohes Anbetung fordert, war ihm nicht
eingefallen, noch weniger daß auch die höchſte Erſcheinung oft mit
einfacher Liebe zufrieden iſt. Frau Hadwig's üble Laune nahm er
wahr. Er begnügte ſich, ſeine Wahrnehmung in den allgemeinen Satz
niederzulegen, daß der Umgang mit einer Herzogin ſchwieriger ſei als
der mit Ordensbrüdern nach der Regel des heiligen Benedict. Aus
Vincentius nachgelaſſenen Büchern ſtudirte er die Briefe des Apoſtel
Paulus. Herr Spazzo ging in jener Zeit hochmüthiger an ihm vor-
über denn früher.
Frau Hadwig fand, daß es beſſer ſei, in's frühere Geleis rück-
zukehren. Es war doch ein mächtiger Anblick, ſprach ſie eines Tages
zu Ekkehard, wie wir vom hohen Krähen nach den Schneegebirgen
ſchauten. Kennt Ihr aber das hohentwieler Wetterzeichen? Wenn
die Alpen recht klar und nah am Himmel ſich abzeichnen, ſchlägt die
Witterung um. Es ſind wirklich ſchlechte Tage darauf gefolgt. Wir
wollen wieder Virgilius leſen.
Da holte Ekkehard vergnügt ſeinen ſchweren metallbeſchlagenen
Virgilius und ſie ſetzten die Studien fort. Er erklärte den Frauen
der Aeneide zweites Buch, den Fall der hohen Troja, das hölzerne
Pferd und Sinon's Liſt und Laocoon's bittres Verderben, den nächt-
lichen Kampf, Caſſandra's Geſchick und Priamus' Tod, die Flucht
mit dem greiſen Anchiſes.
Mit ſichtbarer Theilnahme lauſchte Frau Hadwig der ſpannenden
Erzählung. Nur mit dem Verſchwinden von Aeneas' Ehegemahlin
Kreuſa war ſie nicht ganz zufrieden. Das braucht er vor der Kö-
nigin Dido nicht ſo breit zu erzählen, ſprach ſie, die Lebende hat
ſicher nicht gern gehört, daß er der Entſchwundenen ſo lange nachge-
laufen. Verloren iſt verloren.
Indeſſen zog der Winter mit ſcharfem Schritt heran. der Him-
mel blieb trüb und bleigrau, die Ferne verhüllt; erſt zogen die Berg-
gipfel rings die weiße Schneedecke um, dann folgte Feld und Thal
dem Beiſpiel. Junge Eiszapfen prüften das Gebälke unter dem Dach,
ob ſie ſich für etliche Monate ungeſtört dran niederlaſſen möchten;
die alte Linde im Schloßhof hatte längſt wie ein fürſichtiger Haus-
vater, der die abgetragenen Gewandungen dem Hebräer überläßt, ihre
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/140>, abgerufen am 25.11.2024.
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