Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Gut Nacht Firnewein! Zum tausendjährigen Reich ist's ohnedem nicht
mehr weit; es ist lustig gelebt worden, vielleicht werden die letzten
Jahre doppelt gerechnet.

Weiter kann's die Menschheit auch nicht mehr bringen. Die Bil-
dung ist so weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel
mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer
blutrünstig geschlagen wird, so läuft er zum Gaugericht und klagt's
ein, statt seinem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zusammen zu
brennen. Da hört die Welt von selber auf.138)

Wer soll Euer Erbe sein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn
Ekkehard gefragt.

Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte
schlimme Kundschaft. Der Bischof Ulrich hatte dem Kloster ein kost-
bar Heilthum zugesagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon-
tus, reich in Silber und Edelstein gefaßt. Das Land sei unsicher,
ließ er vermelden, er traue sich nicht das Geschenk zu senden.

Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin
Bericht zu erstatten.

Was bringt Ihr Gutes? frug sie ihn.

Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den schwäbischen Heer-
bann, Roß und Reiter, so viel ihrer Schild und Speer an der Wand
hängen haben. Sie sind wieder auf dem Weg zwischen Donau und
Rhein ...

Wer?

Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief-
liegenden Augen und den stumpfen Nasen. Es wird wieder viel roh
Fleisch unter dem Sattel mürb geritten werden, dieses Jahr.

Er zog ein seltsam geformtes kleines Hufeisen mit hohem Absatz
aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? "Kleiner Huf und
kleines Roß, krummer Säbel, spitz Geschoß -- blitzeschnell und sattel-
fest: schirm uns Herr vor dieser Pest!"

Die Hunnen?!139) fragte die Herzogin betroffen.

So Ihr sie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, ist
mir's auch recht, sprach der Bote. Der Bischof Pilgrim hat's von
Passau nach Freising melden lassen, von dort kam uns die Mähr'.
Ueber die Donau sind sie schon geschwommen, wie die Heuschrecken

Gut Nacht Firnewein! Zum tauſendjährigen Reich iſt's ohnedem nicht
mehr weit; es iſt luſtig gelebt worden, vielleicht werden die letzten
Jahre doppelt gerechnet.

Weiter kann's die Menſchheit auch nicht mehr bringen. Die Bil-
dung iſt ſo weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel
mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer
blutrünſtig geſchlagen wird, ſo läuft er zum Gaugericht und klagt's
ein, ſtatt ſeinem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zuſammen zu
brennen. Da hört die Welt von ſelber auf.138)

Wer ſoll Euer Erbe ſein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn
Ekkehard gefragt.

Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte
ſchlimme Kundſchaft. Der Biſchof Ulrich hatte dem Kloſter ein koſt-
bar Heilthum zugeſagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon-
tus, reich in Silber und Edelſtein gefaßt. Das Land ſei unſicher,
ließ er vermelden, er traue ſich nicht das Geſchenk zu ſenden.

Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin
Bericht zu erſtatten.

Was bringt Ihr Gutes? frug ſie ihn.

Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den ſchwäbiſchen Heer-
bann, Roß und Reiter, ſo viel ihrer Schild und Speer an der Wand
hängen haben. Sie ſind wieder auf dem Weg zwiſchen Donau und
Rhein ...

Wer?

Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief-
liegenden Augen und den ſtumpfen Naſen. Es wird wieder viel roh
Fleiſch unter dem Sattel mürb geritten werden, dieſes Jahr.

Er zog ein ſeltſam geformtes kleines Hufeiſen mit hohem Abſatz
aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? „Kleiner Huf und
kleines Roß, krummer Säbel, ſpitz Geſchoß — blitzeſchnell und ſattel-
feſt: ſchirm uns Herr vor dieſer Peſt!“

Die Hunnen?!139) fragte die Herzogin betroffen.

So Ihr ſie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, iſt
mir's auch recht, ſprach der Bote. Der Biſchof Pilgrim hat's von
Paſſau nach Freiſing melden laſſen, von dort kam uns die Mähr'.
Ueber die Donau ſind ſie ſchon geſchwommen, wie die Heuſchrecken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="132"/>
Gut Nacht Firnewein! Zum tau&#x017F;endjährigen Reich i&#x017F;t's ohnedem nicht<lb/>
mehr weit; es i&#x017F;t lu&#x017F;tig gelebt worden, vielleicht werden die letzten<lb/>
Jahre doppelt gerechnet.</p><lb/>
        <p>Weiter kann's die Men&#x017F;chheit auch nicht mehr bringen. Die Bil-<lb/>
dung i&#x017F;t &#x017F;o weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel<lb/>
mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer<lb/>
blutrün&#x017F;tig ge&#x017F;chlagen wird, &#x017F;o läuft er zum Gaugericht und klagt's<lb/>
ein, &#x017F;tatt &#x017F;einem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zu&#x017F;ammen zu<lb/>
brennen. Da hört die Welt von &#x017F;elber auf.<note xml:id="ed138" next="#edt138" place="end" n="138)"/></p><lb/>
        <p>Wer &#x017F;oll Euer Erbe &#x017F;ein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn<lb/>
Ekkehard gefragt.</p><lb/>
        <p>Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte<lb/>
&#x017F;chlimme Kund&#x017F;chaft. Der Bi&#x017F;chof Ulrich hatte dem Klo&#x017F;ter ein ko&#x017F;t-<lb/>
bar Heilthum zuge&#x017F;agt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon-<lb/>
tus, reich in Silber und Edel&#x017F;tein gefaßt. Das Land &#x017F;ei un&#x017F;icher,<lb/>
ließ er vermelden, er traue &#x017F;ich nicht das Ge&#x017F;chenk zu &#x017F;enden.</p><lb/>
        <p>Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin<lb/>
Bericht zu er&#x017F;tatten.</p><lb/>
        <p>Was bringt Ihr Gutes? frug &#x017F;ie ihn.</p><lb/>
        <p>Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den &#x017F;chwäbi&#x017F;chen Heer-<lb/>
bann, Roß und Reiter, &#x017F;o viel ihrer Schild und Speer an der Wand<lb/>
hängen haben. Sie &#x017F;ind wieder auf dem Weg zwi&#x017F;chen Donau und<lb/>
Rhein ...</p><lb/>
        <p>Wer?</p><lb/>
        <p>Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief-<lb/>
liegenden Augen und den &#x017F;tumpfen Na&#x017F;en. Es wird wieder viel roh<lb/>
Flei&#x017F;ch unter dem Sattel mürb geritten werden, die&#x017F;es Jahr.</p><lb/>
        <p>Er zog ein &#x017F;elt&#x017F;am geformtes kleines Hufei&#x017F;en mit hohem Ab&#x017F;atz<lb/>
aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? &#x201E;Kleiner Huf und<lb/>
kleines Roß, krummer Säbel, &#x017F;pitz Ge&#x017F;choß &#x2014; blitze&#x017F;chnell und &#x017F;attel-<lb/>
fe&#x017F;t: &#x017F;chirm uns Herr vor die&#x017F;er Pe&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Hunnen?!<note xml:id="ed139" next="#edt139" place="end" n="139)"/> fragte die Herzogin betroffen.</p><lb/>
        <p>So Ihr &#x017F;ie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, i&#x017F;t<lb/>
mir's auch recht, &#x017F;prach der Bote. Der Bi&#x017F;chof Pilgrim hat's von<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;au nach Frei&#x017F;ing melden la&#x017F;&#x017F;en, von dort kam uns die Mähr'.<lb/>
Ueber die Donau &#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;chon ge&#x017F;chwommen, wie die Heu&#x017F;chrecken<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0154] Gut Nacht Firnewein! Zum tauſendjährigen Reich iſt's ohnedem nicht mehr weit; es iſt luſtig gelebt worden, vielleicht werden die letzten Jahre doppelt gerechnet. Weiter kann's die Menſchheit auch nicht mehr bringen. Die Bil- dung iſt ſo weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer blutrünſtig geſchlagen wird, ſo läuft er zum Gaugericht und klagt's ein, ſtatt ſeinem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zuſammen zu brennen. Da hört die Welt von ſelber auf. ¹³⁸⁾ Wer ſoll Euer Erbe ſein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn Ekkehard gefragt. Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte ſchlimme Kundſchaft. Der Biſchof Ulrich hatte dem Kloſter ein koſt- bar Heilthum zugeſagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon- tus, reich in Silber und Edelſtein gefaßt. Das Land ſei unſicher, ließ er vermelden, er traue ſich nicht das Geſchenk zu ſenden. Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin Bericht zu erſtatten. Was bringt Ihr Gutes? frug ſie ihn. Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den ſchwäbiſchen Heer- bann, Roß und Reiter, ſo viel ihrer Schild und Speer an der Wand hängen haben. Sie ſind wieder auf dem Weg zwiſchen Donau und Rhein ... Wer? Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief- liegenden Augen und den ſtumpfen Naſen. Es wird wieder viel roh Fleiſch unter dem Sattel mürb geritten werden, dieſes Jahr. Er zog ein ſeltſam geformtes kleines Hufeiſen mit hohem Abſatz aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? „Kleiner Huf und kleines Roß, krummer Säbel, ſpitz Geſchoß — blitzeſchnell und ſattel- feſt: ſchirm uns Herr vor dieſer Peſt!“ Die Hunnen?! ¹³⁹⁾ fragte die Herzogin betroffen. So Ihr ſie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, iſt mir's auch recht, ſprach der Bote. Der Biſchof Pilgrim hat's von Paſſau nach Freiſing melden laſſen, von dort kam uns die Mähr'. Ueber die Donau ſind ſie ſchon geſchwommen, wie die Heuſchrecken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/154
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/154>, abgerufen am 24.11.2024.