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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den
Einlaß weigert.

Sie ging zu ihrem Schrank und stöberte unter Schmuck und Ge-
räthschaften; dann brachte sie e[i]n Schiefertäflein, drauf standen etliche
Buchstaben gekritzelt: das sollt Ihr zu ihm sagen, und einen Gruß
von mir.

Ekkehard las. Es waren die zwei unverständlichen lateinischen
Worte: neque enim! sonst nichts. Das hat keinen Sinn, sprach er.

Thut nichts, sagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm
bedeutet ...

Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard schon durch's
Thor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm um's
Antlitz; er hüllte sich tief in die Capuze. "Warum hat Euch der Him-
mel nicht zum Kriegsmann werden lassen? es wäre Vieles besser!"
Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie sein Schatten. Es war
ihm ein Sporn zu muthigen Entschlüssen. Wenn die Gefahr kommt,
dachte er, soll sie den Schulmeister nicht hinter seinen Büchern
sehen!

Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die
waldigen Höhen, die den Untersee von dem See von Ueberlingen
trennen. Am herzoglichen Maierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue
Fluth des Sees, er ließ sein Roß dem Maier und schritt den Pfad
voran, der hart am Ufer hinführt.

An einem Vorsprung hielt er eine Weile, gefesselt von der weiten
Umschau. Der Blick flog unbegrenzt über die Wasserfläche bis zu den
rhätischen Alpen, die, eine krystallklare Mauer, sich als Ende der
Landschaft himmelan thürmen.

Wo die Sandsteinfelsen senkrecht aus dem See emporstiegen, lenkte
sich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt,
gehauene Fensteröffnungen mit dunkeln Schatten in der Tiefe die
Lichte der Felswand unterbrechend, wiesen ihm den Ort, dran einst in
Zeiten römischer Herrschaft unbekannte Männer sich in Weise der Ka-
takomben ein Höhlenasyl eingegraben.140)

Das Aufsteigen war beschwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen
Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewach-
sen. Vor ihm öffnete sich ein mannshoher Eingang in den Felsen,

ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den
Einlaß weigert.

Sie ging zu ihrem Schrank und ſtöberte unter Schmuck und Ge-
räthſchaften; dann brachte ſie e[i]n Schiefertäflein, drauf ſtanden etliche
Buchſtaben gekritzelt: das ſollt Ihr zu ihm ſagen, und einen Gruß
von mir.

Ekkehard las. Es waren die zwei unverſtändlichen lateiniſchen
Worte: neque enim! ſonſt nichts. Das hat keinen Sinn, ſprach er.

Thut nichts, ſagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm
bedeutet ...

Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard ſchon durch's
Thor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm um's
Antlitz; er hüllte ſich tief in die Capuze. „Warum hat Euch der Him-
mel nicht zum Kriegsmann werden laſſen? es wäre Vieles beſſer!“
Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie ſein Schatten. Es war
ihm ein Sporn zu muthigen Entſchlüſſen. Wenn die Gefahr kommt,
dachte er, ſoll ſie den Schulmeiſter nicht hinter ſeinen Büchern
ſehen!

Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die
waldigen Höhen, die den Unterſee von dem See von Ueberlingen
trennen. Am herzoglichen Maierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue
Fluth des Sees, er ließ ſein Roß dem Maier und ſchritt den Pfad
voran, der hart am Ufer hinführt.

An einem Vorſprung hielt er eine Weile, gefeſſelt von der weiten
Umſchau. Der Blick flog unbegrenzt über die Waſſerfläche bis zu den
rhätiſchen Alpen, die, eine kryſtallklare Mauer, ſich als Ende der
Landſchaft himmelan thürmen.

Wo die Sandſteinfelſen ſenkrecht aus dem See emporſtiegen, lenkte
ſich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt,
gehauene Fenſteröffnungen mit dunkeln Schatten in der Tiefe die
Lichte der Felswand unterbrechend, wieſen ihm den Ort, dran einſt in
Zeiten römiſcher Herrſchaft unbekannte Männer ſich in Weiſe der Ka-
takomben ein Höhlenaſyl eingegraben.140)

Das Aufſteigen war beſchwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen
Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewach-
ſen. Vor ihm öffnete ſich ein mannshoher Eingang in den Felſen,

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[135/0157] ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den Einlaß weigert. Sie ging zu ihrem Schrank und ſtöberte unter Schmuck und Ge- räthſchaften; dann brachte ſie ein Schiefertäflein, drauf ſtanden etliche Buchſtaben gekritzelt: das ſollt Ihr zu ihm ſagen, und einen Gruß von mir. Ekkehard las. Es waren die zwei unverſtändlichen lateiniſchen Worte: neque enim! ſonſt nichts. Das hat keinen Sinn, ſprach er. Thut nichts, ſagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm bedeutet ... Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard ſchon durch's Thor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm um's Antlitz; er hüllte ſich tief in die Capuze. „Warum hat Euch der Him- mel nicht zum Kriegsmann werden laſſen? es wäre Vieles beſſer!“ Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie ſein Schatten. Es war ihm ein Sporn zu muthigen Entſchlüſſen. Wenn die Gefahr kommt, dachte er, ſoll ſie den Schulmeiſter nicht hinter ſeinen Büchern ſehen! Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die waldigen Höhen, die den Unterſee von dem See von Ueberlingen trennen. Am herzoglichen Maierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue Fluth des Sees, er ließ ſein Roß dem Maier und ſchritt den Pfad voran, der hart am Ufer hinführt. An einem Vorſprung hielt er eine Weile, gefeſſelt von der weiten Umſchau. Der Blick flog unbegrenzt über die Waſſerfläche bis zu den rhätiſchen Alpen, die, eine kryſtallklare Mauer, ſich als Ende der Landſchaft himmelan thürmen. Wo die Sandſteinfelſen ſenkrecht aus dem See emporſtiegen, lenkte ſich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt, gehauene Fenſteröffnungen mit dunkeln Schatten in der Tiefe die Lichte der Felswand unterbrechend, wieſen ihm den Ort, dran einſt in Zeiten römiſcher Herrſchaft unbekannte Männer ſich in Weiſe der Ka- takomben ein Höhlenaſyl eingegraben. ¹⁴⁰⁾ Das Aufſteigen war beſchwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewach- ſen. Vor ihm öffnete ſich ein mannshoher Eingang in den Felſen,

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/157>, abgerufen am 21.11.2024.