rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen allemannischen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge- malten Bildes.
Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der ringende, unvollendete aber gesunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht, anmuthende Zeit im südwestlichen Deutschland. Anfänge von Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der bürgerlichen Gesellschaft, -- der aller spätern Entwickelung so gefährliche Geist des Feudalwesens noch harmlos im ersten Ent- falten, kein geschraubtes übermüthiges und geistig schwächliches Ritterthum, keine üppige unwissende Geistlichkeit, wohl aber ehr- liche grobe Gesellen, deren socialer Verkehr zwar oftmals in einem sehr ausgedehnten System von Verbal- und Realinjurien bestand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle empfänglichen Kern bargen, -- Gelehrte, die Morgens den Ari- stoteles verdeutschen und Abends zur Erholung auf die Wolfs- jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Classi- ker begeistert sind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden- thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort- lebt, -- überall naive starke Zustände, denen man ohne rationalisti- schen Ingrimm selbst ihren Glauben an Teufel und Dämonen- spuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politische Zerklüftung und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, dessen Schwerpunkt sich nach Sachsen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im Unglück, der selbst die Mönche in den Klosterzellen stählt, das Psalterbuch mit dem Schwert zu vertauschen und gegen die ungarische Verwüstung zu Feld zu rücken, -- trotz reichlicher Gele-
rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen allemanniſchen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge- malten Bildes.
Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der ringende, unvollendete aber geſunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht, anmuthende Zeit im ſüdweſtlichen Deutſchland. Anfänge von Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der bürgerlichen Geſellſchaft, — der aller ſpätern Entwickelung ſo gefährliche Geiſt des Feudalweſens noch harmlos im erſten Ent- falten, kein geſchraubtes übermüthiges und geiſtig ſchwächliches Ritterthum, keine üppige unwiſſende Geiſtlichkeit, wohl aber ehr- liche grobe Geſellen, deren ſocialer Verkehr zwar oftmals in einem ſehr ausgedehnten Syſtem von Verbal- und Realinjurien beſtand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle empfänglichen Kern bargen, — Gelehrte, die Morgens den Ari- ſtoteles verdeutſchen und Abends zur Erholung auf die Wolfs- jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Claſſi- ker begeiſtert ſind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden- thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort- lebt, — überall naive ſtarke Zuſtände, denen man ohne rationaliſti- ſchen Ingrimm ſelbſt ihren Glauben an Teufel und Dämonen- ſpuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politiſche Zerklüftung und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, deſſen Schwerpunkt ſich nach Sachſen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im Unglück, der ſelbſt die Mönche in den Kloſterzellen ſtählt, das Pſalterbuch mit dem Schwert zu vertauſchen und gegen die ungariſche Verwüſtung zu Feld zu rücken, — trotz reichlicher Gele-
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[VI/0016]
rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen
allemanniſchen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge-
malten Bildes.
Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der
ringende, unvollendete aber geſunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht,
anmuthende Zeit im ſüdweſtlichen Deutſchland. Anfänge von
Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der
bürgerlichen Geſellſchaft, — der aller ſpätern Entwickelung ſo
gefährliche Geiſt des Feudalweſens noch harmlos im erſten Ent-
falten, kein geſchraubtes übermüthiges und geiſtig ſchwächliches
Ritterthum, keine üppige unwiſſende Geiſtlichkeit, wohl aber ehr-
liche grobe Geſellen, deren ſocialer Verkehr zwar oftmals in
einem ſehr ausgedehnten Syſtem von Verbal- und Realinjurien
beſtand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle
empfänglichen Kern bargen, — Gelehrte, die Morgens den Ari-
ſtoteles verdeutſchen und Abends zur Erholung auf die Wolfs-
jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Claſſi-
ker begeiſtert ſind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden-
thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort-
lebt, — überall naive ſtarke Zuſtände, denen man ohne rationaliſti-
ſchen Ingrimm ſelbſt ihren Glauben an Teufel und Dämonen-
ſpuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politiſche Zerklüftung
und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, deſſen Schwerpunkt ſich
nach Sachſen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im
Unglück, der ſelbſt die Mönche in den Kloſterzellen ſtählt, das
Pſalterbuch mit dem Schwert zu vertauſchen und gegen die
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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