dessen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn zierte. Mochten sie ihn für den Schutzgott des Klosters oder für äch- tes Gold halten: sie kletterten auf das Thurmdach, verwegen saßen die zwei Gestalten oben und stachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ... da faßte sie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ Einer sinken -- ein Schwanken -- ein Schrei, er stürzte herab, der Andre ihm nach, gebrochenen Genickes lagen sie im Klosterhof.176)
Schlimm Vorzeichen! sprach Ellak für sich. Die Hunnen schrieen auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergessen, das Schwert hatte schon so Manchen von seiner Genossen Seite ge- rafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen?
Sie trugen die Leichname in Klostergarten. Aus den Holzstäm- men, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe geschichtet; aus des Klosters Bücherei waren die übrig gebliebenen Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten sie als nütz- lichen Brandstoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzstoße.
Ellak und Hornebog schritten durch die Reihen. Eingeklemmt zwischen den Scheitern, schaute eine sauber geschriebene Handschrift be- trüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten Blättern. Da zog Hornebog sein krummes Schwert und stach das Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's seinen Ge- fährten entgegen.
Zu was die Hacken und Hühnerfüße, Herr Bruder? sprach er.
Ellak nahm das gespießte Buch und blätterte drin: er war auch des Lateinischen kundig.
Abendländische Weisheit! sprach er. Einer Namens Boethius hat's geschrieben; es stehen schöne Sachen drin vom Trost der Philosophie.
Philo -- sophie, Herr Bruder, sprach Hornebog, was ist das für ein Trost?
Ein schönes Weib ist's nicht, auch kein gebranntes Wasser, war Ellak's Antwort. Es ist auf hunnisch schwer zu beschreiben ... wenn Einer nicht weiß, warum er auf der Welt ist, und sich auf den Kopf stellt, um's zu erfahren, das ist ungefähr, was die im Abendland Philosophie heißen. Den, der sich damit getröstet in seinem Wasser- thurm zu Pavia, haben sie deßwegen doch dereinst mit Keulen todt geschlagen ..
deſſen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn zierte. Mochten ſie ihn für den Schutzgott des Kloſters oder für äch- tes Gold halten: ſie kletterten auf das Thurmdach, verwegen ſaßen die zwei Geſtalten oben und ſtachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ... da faßte ſie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ Einer ſinken — ein Schwanken — ein Schrei, er ſtürzte herab, der Andre ihm nach, gebrochenen Genickes lagen ſie im Kloſterhof.176)
Schlimm Vorzeichen! ſprach Ellak für ſich. Die Hunnen ſchrieen auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergeſſen, das Schwert hatte ſchon ſo Manchen von ſeiner Genoſſen Seite ge- rafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen?
Sie trugen die Leichname in Kloſtergarten. Aus den Holzſtäm- men, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe geſchichtet; aus des Kloſters Bücherei waren die übrig gebliebenen Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten ſie als nütz- lichen Brandſtoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzſtoße.
Ellak und Hornebog ſchritten durch die Reihen. Eingeklemmt zwiſchen den Scheitern, ſchaute eine ſauber geſchriebene Handſchrift be- trüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten Blättern. Da zog Hornebog ſein krummes Schwert und ſtach das Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's ſeinen Ge- fährten entgegen.
Zu was die Hacken und Hühnerfüße, Herr Bruder? ſprach er.
Ellak nahm das geſpießte Buch und blätterte drin: er war auch des Lateiniſchen kundig.
Abendländiſche Weisheit! ſprach er. Einer Namens Boëthius hat's geſchrieben; es ſtehen ſchöne Sachen drin vom Troſt der Philoſophie.
Philo — ſophie, Herr Bruder, ſprach Hornebog, was iſt das für ein Troſt?
Ein ſchönes Weib iſt's nicht, auch kein gebranntes Waſſer, war Ellak's Antwort. Es iſt auf hunniſch ſchwer zu beſchreiben ... wenn Einer nicht weiß, warum er auf der Welt iſt, und ſich auf den Kopf ſtellt, um's zu erfahren, das iſt ungefähr, was die im Abendland Philoſophie heißen. Den, der ſich damit getröſtet in ſeinem Waſſer- thurm zu Pavia, haben ſie deßwegen doch dereinſt mit Keulen todt geſchlagen ..
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deſſen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn
zierte. Mochten ſie ihn für den Schutzgott des Kloſters oder für äch-
tes Gold halten: ſie kletterten auf das Thurmdach, verwegen ſaßen
die zwei Geſtalten oben und ſtachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ...
da faßte ſie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ Einer
ſinken — ein Schwanken — ein Schrei, er ſtürzte herab, der Andre
ihm nach, gebrochenen Genickes lagen ſie im Kloſterhof.
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Schlimm Vorzeichen! ſprach Ellak für ſich. Die Hunnen ſchrieen
auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergeſſen,
das Schwert hatte ſchon ſo Manchen von ſeiner Genoſſen Seite ge-
rafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen?
Sie trugen die Leichname in Kloſtergarten. Aus den Holzſtäm-
men, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe
geſchichtet; aus des Kloſters Bücherei waren die übrig gebliebenen
Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten ſie als nütz-
lichen Brandſtoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzſtoße.
Ellak und Hornebog ſchritten durch die Reihen. Eingeklemmt
zwiſchen den Scheitern, ſchaute eine ſauber geſchriebene Handſchrift be-
trüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten
Blättern. Da zog Hornebog ſein krummes Schwert und ſtach das
Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's ſeinen Ge-
fährten entgegen.
Zu was die Hacken und Hühnerfüße, Herr Bruder? ſprach er.
Ellak nahm das geſpießte Buch und blätterte drin: er war auch
des Lateiniſchen kundig.
Abendländiſche Weisheit! ſprach er. Einer Namens Boëthius
hat's geſchrieben; es ſtehen ſchöne Sachen drin vom Troſt der Philoſophie.
Philo — ſophie, Herr Bruder, ſprach Hornebog, was iſt das für
ein Troſt?
Ein ſchönes Weib iſt's nicht, auch kein gebranntes Waſſer, war
Ellak's Antwort. Es iſt auf hunniſch ſchwer zu beſchreiben ... wenn
Einer nicht weiß, warum er auf der Welt iſt, und ſich auf den Kopf
ſtellt, um's zu erfahren, das iſt ungefähr, was die im Abendland
Philoſophie heißen. Den, der ſich damit getröſtet in ſeinem Waſſer-
thurm zu Pavia, haben ſie deßwegen doch dereinſt mit Keulen todt
geſchlagen ..
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/196>, abgerufen am 16.02.2025.
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