müsse er sich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die so huldvoll seiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit sich über sich selbst klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir- gilius, sonst hätte er sich sagen mögen, daß wer ihn aus des Klosters Stille zu sich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer am Morgen der Schlacht so vor ihm stand, wie Frau Hadwig, itzt wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein Wort von ihm erwarten mochte.
Seine Gedanken jagten sich, alle Pulse schlugen.
Wenn früher etwas wie Liebe sich in ihm geregt, so war die Ehrfurcht vor seiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie der Sturm, der dem scheu zum Dachfenster herausschauenden Kind den Laden vor der Nase zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt nicht, eher daran, wie er die Herzogin einst mit keckem Arm durch den Klosterhof getragen. Auch an sein Mönchsgelübde dachte er nimmer, es regte sich in ihm, als sollt' er ihr in die Arme fliegen und sie jauchzend an's Herz pressen -- Herrn Burkard's Schwert brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört die Welt! War's nicht so in Frau Hadwig's Augen zu lesen?
Er stand auf, stark, groß, frei -- so hatte sie ihn noch nie ge- sehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel sein Blick auf das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einst in seiner Thurm- stube aufgehängt: "es ist der Tag des Herrn und du sollst heute reden vor dem Volk!" -- die Erinnerung an seine Pflicht schlug Alles nieder ...
Es kam einmal ein Frost am Sommermorgen und Halm und Blatt und Blüthen wurden schwarz, bevor die Sonne drüber aufging ...
Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand.
Wie soll ich meiner Herrin danken? sprach er mit gebrochener Stimme.
Sie schaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als wolle sie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht
müſſe er ſich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die ſo huldvoll ſeiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit ſich über ſich ſelbſt klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir- gilius, ſonſt hätte er ſich ſagen mögen, daß wer ihn aus des Kloſters Stille zu ſich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer am Morgen der Schlacht ſo vor ihm ſtand, wie Frau Hadwig, itzt wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein Wort von ihm erwarten mochte.
Seine Gedanken jagten ſich, alle Pulſe ſchlugen.
Wenn früher etwas wie Liebe ſich in ihm geregt, ſo war die Ehrfurcht vor ſeiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie der Sturm, der dem ſcheu zum Dachfenſter herausſchauenden Kind den Laden vor der Naſe zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt nicht, eher daran, wie er die Herzogin einſt mit keckem Arm durch den Kloſterhof getragen. Auch an ſein Mönchsgelübde dachte er nimmer, es regte ſich in ihm, als ſollt' er ihr in die Arme fliegen und ſie jauchzend an's Herz preſſen — Herrn Burkard's Schwert brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört die Welt! War's nicht ſo in Frau Hadwig's Augen zu leſen?
Er ſtand auf, ſtark, groß, frei — ſo hatte ſie ihn noch nie ge- ſehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel ſein Blick auf das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einſt in ſeiner Thurm- ſtube aufgehängt: „es iſt der Tag des Herrn und du ſollſt heute reden vor dem Volk!“ — die Erinnerung an ſeine Pflicht ſchlug Alles nieder ...
Es kam einmal ein Froſt am Sommermorgen und Halm und Blatt und Blüthen wurden ſchwarz, bevor die Sonne drüber aufging ...
Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand.
Wie ſoll ich meiner Herrin danken? ſprach er mit gebrochener Stimme.
Sie ſchaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als wolle ſie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0203"n="181"/>
müſſe er ſich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die<lb/>ſo huldvoll ſeiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit ſich<lb/>
über ſich ſelbſt klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er<lb/>
nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir-<lb/>
gilius, ſonſt hätte er ſich ſagen mögen, daß wer ihn aus des Kloſters<lb/>
Stille zu ſich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer<lb/>
am Morgen der Schlacht ſo vor ihm ſtand, wie Frau Hadwig, itzt<lb/>
wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein<lb/>
Wort von ihm erwarten mochte.</p><lb/><p>Seine Gedanken jagten ſich, alle Pulſe ſchlugen.</p><lb/><p>Wenn früher etwas wie Liebe ſich in ihm geregt, ſo war die<lb/>
Ehrfurcht vor ſeiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie<lb/>
der Sturm, der dem ſcheu zum Dachfenſter herausſchauenden Kind<lb/>
den Laden vor der Naſe zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt<lb/>
nicht, eher daran, wie er die Herzogin einſt mit keckem Arm durch<lb/>
den Kloſterhof getragen. Auch an ſein Mönchsgelübde dachte er<lb/>
nimmer, es regte ſich in ihm, als ſollt' er ihr in die Arme fliegen<lb/>
und ſie jauchzend an's Herz preſſen — Herrn Burkard's Schwert<lb/>
brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört<lb/>
die Welt! War's nicht ſo in Frau Hadwig's Augen zu leſen?</p><lb/><p>Er ſtand auf, ſtark, groß, frei —ſo hatte ſie ihn noch nie ge-<lb/>ſehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom<lb/>
Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel ſein Blick auf<lb/>
das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einſt in ſeiner Thurm-<lb/>ſtube aufgehängt: „es iſt der Tag des Herrn und du ſollſt heute reden<lb/>
vor dem Volk!“— die Erinnerung an ſeine Pflicht ſchlug Alles<lb/>
nieder ...</p><lb/><p>Es kam einmal ein Froſt am Sommermorgen und Halm und<lb/>
Blatt und Blüthen wurden ſchwarz, bevor die Sonne drüber aufging ...</p><lb/><p>Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand.</p><lb/><p>Wie ſoll ich meiner Herrin danken? ſprach er mit gebrochener<lb/>
Stimme.</p><lb/><p>Sie ſchaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom<lb/>
Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als<lb/>
wolle ſie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[181/0203]
müſſe er ſich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die
ſo huldvoll ſeiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit ſich
über ſich ſelbſt klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er
nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir-
gilius, ſonſt hätte er ſich ſagen mögen, daß wer ihn aus des Kloſters
Stille zu ſich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer
am Morgen der Schlacht ſo vor ihm ſtand, wie Frau Hadwig, itzt
wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein
Wort von ihm erwarten mochte.
Seine Gedanken jagten ſich, alle Pulſe ſchlugen.
Wenn früher etwas wie Liebe ſich in ihm geregt, ſo war die
Ehrfurcht vor ſeiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie
der Sturm, der dem ſcheu zum Dachfenſter herausſchauenden Kind
den Laden vor der Naſe zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt
nicht, eher daran, wie er die Herzogin einſt mit keckem Arm durch
den Kloſterhof getragen. Auch an ſein Mönchsgelübde dachte er
nimmer, es regte ſich in ihm, als ſollt' er ihr in die Arme fliegen
und ſie jauchzend an's Herz preſſen — Herrn Burkard's Schwert
brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört
die Welt! War's nicht ſo in Frau Hadwig's Augen zu leſen?
Er ſtand auf, ſtark, groß, frei — ſo hatte ſie ihn noch nie ge-
ſehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom
Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel ſein Blick auf
das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einſt in ſeiner Thurm-
ſtube aufgehängt: „es iſt der Tag des Herrn und du ſollſt heute reden
vor dem Volk!“ — die Erinnerung an ſeine Pflicht ſchlug Alles
nieder ...
Es kam einmal ein Froſt am Sommermorgen und Halm und
Blatt und Blüthen wurden ſchwarz, bevor die Sonne drüber aufging ...
Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand.
Wie ſoll ich meiner Herrin danken? ſprach er mit gebrochener
Stimme.
Sie ſchaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom
Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als
wolle ſie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/203>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.