Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Klostermaier war zu- versichtlich unter seiner Einfahrt gestanden, "der von Singen sprengt mir's wieder weg", hatte er gedacht; aber, wie die schweren Eisge- schosse in sein Kornfeld einschlugen und die Aehren umsanken wie pfeilerschossene Jugend im Feldstreit, und Alles geknickt lag, da schlug er mit geballter Faust auf den Eichentisch: verflucht sei der Lügner in Singen! In heller Verzweiflung wollt' er jetzt ein althegauisches Haus- mittel anwenden, nachdem des Diacon Zauber fruchtlos: er riß ein paar Eichenzweige vom nächsten Stamm und zupfte das Laub zu einer Streu zusammen, das that er in sein altehrwürdiges Hochzeit- gewand und hing's an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner schlugen fort und fort in die Kornernte, trotz Hochzeitrock und Eich- blattstreu. Wie fest gebannt schaute der Klostermaier auf den im Regen schwebenden Bündel, ob sich der Wind draus erhebe, der den Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen sich seine Augbrauen grimmig zusammen, er biß sich die Lippen und schritt in seine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehen Schritte aus, sie wußten, was es hieß, wenn ihr Meister die Lippen biß. Schier zu- sammengebrochen warf er sich an eichenen Tisch, und sprach lang kein Wort. Dann that er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Kloster- maier fluchte, war's schon besser. Der Großknecht kam schüchtern her- bei und stellte sich ihm gegenüber; er war ein riesiger Sohn Enaks, aber vor seinem Meister stand er blöd wie ein Kind.
Wenn ich die Hexe wüßte! sprach der Maier, die Wetterhexe, die Wolkentrude! die sollte ihren Rock nicht umsonst über den Schlangen- hof ausgeschüttelt haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre!
Braucht's eine Hexe zu sein? sagte der Großknecht. Seit das Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt sich keine mehr gespüren.
Schweig! schalt der Klostermaier grimmig, bis du gefragt bist.
Der Knecht blieb stehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen werde. Sie schwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: Was weißt?
Ich weiß, was ich weiß, sagte der Knecht pfiffig.
Sie schwiegen wiederum eine Weile. Der Klostermaier hatte zum Fenster hinausgeschaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte sich.
Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Kloſtermaier war zu- verſichtlich unter ſeiner Einfahrt geſtanden, „der von Singen ſprengt mir's wieder weg“, hatte er gedacht; aber, wie die ſchweren Eisge- ſchoſſe in ſein Kornfeld einſchlugen und die Aehren umſanken wie pfeilerſchoſſene Jugend im Feldſtreit, und Alles geknickt lag, da ſchlug er mit geballter Fauſt auf den Eichentiſch: verflucht ſei der Lügner in Singen! In heller Verzweiflung wollt' er jetzt ein althegauiſches Haus- mittel anwenden, nachdem des Diacon Zauber fruchtlos: er riß ein paar Eichenzweige vom nächſten Stamm und zupfte das Laub zu einer Streu zuſammen, das that er in ſein altehrwürdiges Hochzeit- gewand und hing's an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner ſchlugen fort und fort in die Kornernte, trotz Hochzeitrock und Eich- blattſtreu. Wie feſt gebannt ſchaute der Kloſtermaier auf den im Regen ſchwebenden Bündel, ob ſich der Wind draus erhebe, der den Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen ſich ſeine Augbrauen grimmig zuſammen, er biß ſich die Lippen und ſchritt in ſeine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehen Schritte aus, ſie wußten, was es hieß, wenn ihr Meiſter die Lippen biß. Schier zu- ſammengebrochen warf er ſich an eichenen Tiſch, und ſprach lang kein Wort. Dann that er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Kloſter- maier fluchte, war's ſchon beſſer. Der Großknecht kam ſchüchtern her- bei und ſtellte ſich ihm gegenüber; er war ein rieſiger Sohn Enaks, aber vor ſeinem Meiſter ſtand er blöd wie ein Kind.
Wenn ich die Hexe wüßte! ſprach der Maier, die Wetterhexe, die Wolkentrude! die ſollte ihren Rock nicht umſonſt über den Schlangen- hof ausgeſchüttelt haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre!
Braucht's eine Hexe zu ſein? ſagte der Großknecht. Seit das Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt ſich keine mehr geſpüren.
Schweig! ſchalt der Kloſtermaier grimmig, bis du gefragt biſt.
Der Knecht blieb ſtehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen werde. Sie ſchwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: Was weißt?
Ich weiß, was ich weiß, ſagte der Knecht pfiffig.
Sie ſchwiegen wiederum eine Weile. Der Kloſtermaier hatte zum Fenſter hinausgeſchaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte ſich.
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Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Kloſtermaier war zu-
verſichtlich unter ſeiner Einfahrt geſtanden, „der von Singen ſprengt
mir's wieder weg“, hatte er gedacht; aber, wie die ſchweren Eisge-
ſchoſſe in ſein Kornfeld einſchlugen und die Aehren umſanken wie
pfeilerſchoſſene Jugend im Feldſtreit, und Alles geknickt lag, da ſchlug
er mit geballter Fauſt auf den Eichentiſch: verflucht ſei der Lügner in
Singen! In heller Verzweiflung wollt' er jetzt ein althegauiſches Haus-
mittel anwenden, nachdem des Diacon Zauber fruchtlos: er riß ein
paar Eichenzweige vom nächſten Stamm und zupfte das Laub zu
einer Streu zuſammen, das that er in ſein altehrwürdiges Hochzeit-
gewand und hing's an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner
ſchlugen fort und fort in die Kornernte, trotz Hochzeitrock und Eich-
blattſtreu. Wie feſt gebannt ſchaute der Kloſtermaier auf den im
Regen ſchwebenden Bündel, ob ſich der Wind draus erhebe, der den
Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen ſich ſeine
Augbrauen grimmig zuſammen, er biß ſich die Lippen und ſchritt in
ſeine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehen Schritte aus, ſie
wußten, was es hieß, wenn ihr Meiſter die Lippen biß. Schier zu-
ſammengebrochen warf er ſich an eichenen Tiſch, und ſprach lang kein
Wort. Dann that er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Kloſter-
maier fluchte, war's ſchon beſſer. Der Großknecht kam ſchüchtern her-
bei und ſtellte ſich ihm gegenüber; er war ein rieſiger Sohn Enaks,
aber vor ſeinem Meiſter ſtand er blöd wie ein Kind.
Wenn ich die Hexe wüßte! ſprach der Maier, die Wetterhexe, die
Wolkentrude! die ſollte ihren Rock nicht umſonſt über den Schlangen-
hof ausgeſchüttelt haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre!
Braucht's eine Hexe zu ſein? ſagte der Großknecht. Seit das
Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt ſich keine mehr
geſpüren.
Schweig! ſchalt der Kloſtermaier grimmig, bis du gefragt biſt.
Der Knecht blieb ſtehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen
werde. Sie ſchwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: Was
weißt?
Ich weiß, was ich weiß, ſagte der Knecht pfiffig.
Sie ſchwiegen wiederum eine Weile. Der Kloſtermaier hatte zum
Fenſter hinausgeſchaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte ſich.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/272>, abgerufen am 01.10.2024.
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