ihn drauf: Einstweilen sollst du von meinen Lippen etwas Anderes pflücken als griechisch, sprach sie scherzend und küßte ihn noch einmal, -- jetzt sei aber so brav wie vorhin und sag' schnell noch ein paar leicht- hingleitende Verse.
Sie strich ihm die Locken zurück. Der Klosterschüler war erröthet, aber seine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der Fassung. Ekkehard war an's Fenster getreten und schaute nach den Alpen, Burkard aber sprach ohne sich zu besinnen:
Non possum prorsus dignos componere versus, Nam nimis expavi duce me libante suavi.
*)
Es waren wiederum zwei tadellose Hexameter.
Die Herzogin lachte laut auf: Du hast sicher schon das Licht der Welt mit lateinischem Vers begrüßt; das klingt und strömt ja als wäre Virgil aus dem Grabe gestiegen. Warum erschrickst du denn, wenn ich dich küsse?
Weil Ihr so vornehm und stolz und schön seid, sprach der Knabe.
Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit frisch glühendem Kuß auf den Lippen so regelrechte Verse aus dem Aermel schüttelt, dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geschlagen. Sie stellte ihn sich gegenüber. Warum begehrst du so eifrig, das Griechische zu erlernen?
Sie sagen, wenn Einer Griechisch versteht, kann er so gescheidt werden, daß er das Gras wachsen hört, war des Klosterschülers Ant- wort. Seit mein älterer Mitschüler Notker mit der großen Lippe sich gerühmt hat, er wolle dereinst den ganzen Aristoteles auswendig ler- nen und verdeutschen, läßt mir's keine Ruhe mehr.
Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti- phon: Ihr Meere und Flüsse, lobet den Herren!
Ja, erwiederte Burkard.
So sprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Der Knabe sprach's nach.
Jetzt sing' es! Er sang es.
*)
Ich finde keinen Vers mehr, es stockt der Rede Fluß, Zu tief [h]at mich erschreckt der Herrin süßer Kuß.
ihn drauf: Einſtweilen ſollſt du von meinen Lippen etwas Anderes pflücken als griechiſch, ſprach ſie ſcherzend und küßte ihn noch einmal, — jetzt ſei aber ſo brav wie vorhin und ſag' ſchnell noch ein paar leicht- hingleitende Verſe.
Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet, aber ſeine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der Faſſung. Ekkehard war an's Fenſter getreten und ſchaute nach den Alpen, Burkard aber ſprach ohne ſich zu beſinnen:
Non possum prorsus dignos componere versus, Nam nimis expavi duce me libante suavi.
*)
Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter.
Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der Welt mit lateiniſchem Vers begrüßt; das klingt und ſtrömt ja als wäre Virgil aus dem Grabe geſtiegen. Warum erſchrickſt du denn, wenn ich dich küſſe?
Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe.
Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem Kuß auf den Lippen ſo regelrechte Verſe aus dem Aermel ſchüttelt, dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geſchlagen. Sie ſtellte ihn ſich gegenüber. Warum begehrſt du ſo eifrig, das Griechiſche zu erlernen?
Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt werden, daß er das Gras wachſen hört, war des Kloſterſchülers Ant- wort. Seit mein älterer Mitſchüler Notker mit der großen Lippe ſich gerühmt hat, er wolle dereinſt den ganzen Ariſtoteles auswendig ler- nen und verdeutſchen, läßt mir's keine Ruhe mehr.
Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti- phon: Ihr Meere und Flüſſe, lobet den Herren!
Ja, erwiederte Burkard.
So ſprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Der Knabe ſprach's nach.
Jetzt ſing' es! Er ſang es.
*)
Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß, Zu tief [h]at mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß.
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pflücken als griechiſch, ſprach ſie ſcherzend und küßte ihn noch einmal, —
jetzt ſei aber ſo brav wie vorhin und ſag' ſchnell noch ein paar leicht-
hingleitende Verſe.
Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet,
aber ſeine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der
Faſſung. Ekkehard war an's Fenſter getreten und ſchaute nach den
Alpen, Burkard aber ſprach ohne ſich zu beſinnen:
Non possum prorsus dignos componere versus,
Nam nimis expavi duce me libante suavi.
*)
Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter.
Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der
Welt mit lateiniſchem Vers begrüßt; das klingt und ſtrömt ja als
wäre Virgil aus dem Grabe geſtiegen. Warum erſchrickſt du denn,
wenn ich dich küſſe?
Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe.
Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem
Kuß auf den Lippen ſo regelrechte Verſe aus dem Aermel ſchüttelt,
dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geſchlagen. Sie ſtellte ihn
ſich gegenüber. Warum begehrſt du ſo eifrig, das Griechiſche zu
erlernen?
Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt
werden, daß er das Gras wachſen hört, war des Kloſterſchülers Ant-
wort. Seit mein älterer Mitſchüler Notker mit der großen Lippe ſich
gerühmt hat, er wolle dereinſt den ganzen Ariſtoteles auswendig ler-
nen und verdeutſchen, läßt mir's keine Ruhe mehr.
Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti-
phon: Ihr Meere und Flüſſe, lobet den Herren!
Ja, erwiederte Burkard.
So ſprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion!
Der Knabe ſprach's nach.
Jetzt ſing' es! Er ſang es.
*) Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß,
Zu tief hat mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/298>, abgerufen am 26.06.2024.
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