Der Klosterschüler blätterte in der lateinischen Handschrift.
Wenn die Herzogin mit dir spricht, sei fein artig, sprach Ekkehard.
Er aber antwortete mit Selbstgefühl: Mit einer so vornehmen Frau red' ich nur in Versen. Sie soll sich überzeugen, daß ein Zög- ling der inneren Schule vor ihr steht.
Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß sie Ekkehard's hoffnungsvollen Neffen zu bemerken schien, ließ sie sich im schnitzwerkverzierten Lehn- stuhl nieder. Burkard hatte sich zierlich verneigt und stand am Ende des Tisches.
Ekkehard schlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleich- giltigen Tones: Was soll der Knab'?
Ein demüthiger Zuhörer, sprach Ekkehard, dem die Sehnsucht, das Griechische zu erlernen, Muth gibt, so erlauchter Lehrerin sich zu nahen. Er wird glücklich sein, wenn er von Eueren Lippen ...
Aber bevor Ekkehard seine Rede geendet, war Burkard vor die Herzogin getreten, befangen und keck zugleich sprach er mit niederge- schlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes:
Esse velim Graecus, cum vix sim, dom'na, Latinus*).231) Es war ein tadelloser Hexameter.
Frau Hadwig hörte ihm halb erstaunt zu. Ein braunlockiger Knabe, der einen Hexameter sprach, war in allemannischen Landen etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Dactylen und Spondäen aus dem Stegreif ersonnen. Darum ergötzte sie sich an dem jungen Verseschmied.
Laß dich einmal näher beschauen, sprach sie und zog ihn zu sich. Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchsichtig Roth auf den Wangen, so fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem Umriß drunter zu erschauen war, üppig wallten die Locken um die Stirn, eine kecke Adlernase ragte über den gelehrten jungen Lippen wie ein Hohn auf das, was unter ihr gesprochen werde, in die Luft. Da schlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor und küßte ihn auf Lippe und Wange und that schier kindisch mit ihm; dann schob sie den gepolsterten Schemel hart an ihre Seite, und setzte
*) Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden.
18*
Der Kloſterſchüler blätterte in der lateiniſchen Handſchrift.
Wenn die Herzogin mit dir ſpricht, ſei fein artig, ſprach Ekkehard.
Er aber antwortete mit Selbſtgefühl: Mit einer ſo vornehmen Frau red' ich nur in Verſen. Sie ſoll ſich überzeugen, daß ein Zög- ling der inneren Schule vor ihr ſteht.
Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß ſie Ekkehard's hoffnungsvollen Neffen zu bemerken ſchien, ließ ſie ſich im ſchnitzwerkverzierten Lehn- ſtuhl nieder. Burkard hatte ſich zierlich verneigt und ſtand am Ende des Tiſches.
Ekkehard ſchlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleich- giltigen Tones: Was ſoll der Knab'?
Ein demüthiger Zuhörer, ſprach Ekkehard, dem die Sehnſucht, das Griechiſche zu erlernen, Muth gibt, ſo erlauchter Lehrerin ſich zu nahen. Er wird glücklich ſein, wenn er von Eueren Lippen ...
Aber bevor Ekkehard ſeine Rede geendet, war Burkard vor die Herzogin getreten, befangen und keck zugleich ſprach er mit niederge- ſchlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes:
Esse velim Graecus, cum vix sim, dom'na, Latinus*).231) Es war ein tadelloſer Hexameter.
Frau Hadwig hörte ihm halb erſtaunt zu. Ein braunlockiger Knabe, der einen Hexameter ſprach, war in allemanniſchen Landen etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Dactylen und Spondäen aus dem Stegreif erſonnen. Darum ergötzte ſie ſich an dem jungen Verſeſchmied.
Laß dich einmal näher beſchauen, ſprach ſie und zog ihn zu ſich. Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchſichtig Roth auf den Wangen, ſo fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem Umriß drunter zu erſchauen war, üppig wallten die Locken um die Stirn, eine kecke Adlernaſe ragte über den gelehrten jungen Lippen wie ein Hohn auf das, was unter ihr geſprochen werde, in die Luft. Da ſchlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor und küßte ihn auf Lippe und Wange und that ſchier kindiſch mit ihm; dann ſchob ſie den gepolſterten Schemel hart an ihre Seite, und ſetzte
*) Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden.
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Der Kloſterſchüler blätterte in der lateiniſchen Handſchrift.
Wenn die Herzogin mit dir ſpricht, ſei fein artig, ſprach Ekkehard.
Er aber antwortete mit Selbſtgefühl: Mit einer ſo vornehmen
Frau red' ich nur in Verſen. Sie ſoll ſich überzeugen, daß ein Zög-
ling der inneren Schule vor ihr ſteht.
Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte
mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß ſie Ekkehard's hoffnungsvollen
Neffen zu bemerken ſchien, ließ ſie ſich im ſchnitzwerkverzierten Lehn-
ſtuhl nieder. Burkard hatte ſich zierlich verneigt und ſtand am Ende
des Tiſches.
Ekkehard ſchlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleich-
giltigen Tones: Was ſoll der Knab'?
Ein demüthiger Zuhörer, ſprach Ekkehard, dem die Sehnſucht, das
Griechiſche zu erlernen, Muth gibt, ſo erlauchter Lehrerin ſich zu
nahen. Er wird glücklich ſein, wenn er von Eueren Lippen ...
Aber bevor Ekkehard ſeine Rede geendet, war Burkard vor die
Herzogin getreten, befangen und keck zugleich ſprach er mit niederge-
ſchlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes:
Esse velim Graecus, cum vix sim, dom'na, Latinus *).
²³¹⁾
Es war ein tadelloſer Hexameter.
Frau Hadwig hörte ihm halb erſtaunt zu. Ein braunlockiger
Knabe, der einen Hexameter ſprach, war in allemanniſchen Landen
etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Dactylen und
Spondäen aus dem Stegreif erſonnen. Darum ergötzte ſie ſich an
dem jungen Verſeſchmied.
Laß dich einmal näher beſchauen, ſprach ſie und zog ihn zu ſich.
Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchſichtig Roth auf
den Wangen, ſo fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem
Umriß drunter zu erſchauen war, üppig wallten die Locken um die
Stirn, eine kecke Adlernaſe ragte über den gelehrten jungen Lippen
wie ein Hohn auf das, was unter ihr geſprochen werde, in die Luft.
Da ſchlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor
und küßte ihn auf Lippe und Wange und that ſchier kindiſch mit ihm;
dann ſchob ſie den gepolſterten Schemel hart an ihre Seite, und ſetzte
*) Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/297>, abgerufen am 26.06.2024.
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