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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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flüsterte sie ihm zu und zog ihn zu sich. Das junge Haupt in ihren
Schooß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff sie eine mächtige
Scheere aus ihrem strohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe.

Betrüblich klang erst des Klosterschülers Schluchzen, -- wer sein
Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für schwer
beschimpft232) -- aber Praxedis weiche Hand fuhr ihm streichelnd
über die Wangen, nachdem sie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm
bei aller Strafe so seltsam zu Muth, daß sein Mund lächelnd die
letzte niederrollende Thräne auffing.

Ekkehard sah eine Weile stumm vor sich hin. Das Spiel leicht-
fertiger Anmuth macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt,
daß die Herzogin so sein Lesen unterbrochen. Aus ihren Augen las
er keinen Trost: sie spielt mit dir, wie sie mit dem Knaben spielt,
dachte er und schlug seinen Virgilius zu und erhob sich.

Ihr habt Recht, sprach er zu Frau Hadwig, es ist Alles falsch.
Dido sollte lachen und Aeneas sollte hingehen und sich in's Schwert
stürzen, dann wäre es richtig.

Sie blickte unstet auf. Was habt Ihr? fragte sie.

Ich kann nicht weiter lesen, erwiederte er.

Die Herzogin war aufgestanden.

Wenn Ihr nicht mehr lesen möget, sprach sie mit scheinbar ge-
langweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns
Kurzweil zu schaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns
etwas Anmuthiges zu erzählen, -- Ihr möget dabei auslesen, was
Euch gefällt, es gibt so viel Liebreizendes und Gewaltiges noch außer
Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet selber Etwas. Euch
drückt irgend eine Last, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht auf's
Land gehen, Alles thut Euern Augen weh, Eurem Geist fehlt eine
große Aufgabe, wir wollen sie Euch setzen.

Was sollt' ich dichten? erwiederte Ekkehard. Ist's nicht schon
Glück genug, das Echo eines Meisters wie Virgilius zu sein? Er
sah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegieen
zu singen, sehr traurige.

Sonst nichts? sprach Frau Hadwig vorwurfsvoll. Haben unsere
Vorfahren keine Kriegszüge gethan und ihr Heerhorn mit Sturmschall
durch die Welt erklingen lassen und Schlachten geschlagen, so viel

flüſterte ſie ihm zu und zog ihn zu ſich. Das junge Haupt in ihren
Schooß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff ſie eine mächtige
Scheere aus ihrem ſtrohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe.

Betrüblich klang erſt des Kloſterſchülers Schluchzen, — wer ſein
Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für ſchwer
beſchimpft232) — aber Praxedis weiche Hand fuhr ihm ſtreichelnd
über die Wangen, nachdem ſie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm
bei aller Strafe ſo ſeltſam zu Muth, daß ſein Mund lächelnd die
letzte niederrollende Thräne auffing.

Ekkehard ſah eine Weile ſtumm vor ſich hin. Das Spiel leicht-
fertiger Anmuth macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt,
daß die Herzogin ſo ſein Leſen unterbrochen. Aus ihren Augen las
er keinen Troſt: ſie ſpielt mit dir, wie ſie mit dem Knaben ſpielt,
dachte er und ſchlug ſeinen Virgilius zu und erhob ſich.

Ihr habt Recht, ſprach er zu Frau Hadwig, es iſt Alles falſch.
Dido ſollte lachen und Aeneas ſollte hingehen und ſich in's Schwert
ſtürzen, dann wäre es richtig.

Sie blickte unſtet auf. Was habt Ihr? fragte ſie.

Ich kann nicht weiter leſen, erwiederte er.

Die Herzogin war aufgeſtanden.

Wenn Ihr nicht mehr leſen möget, ſprach ſie mit ſcheinbar ge-
langweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns
Kurzweil zu ſchaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns
etwas Anmuthiges zu erzählen, — Ihr möget dabei ausleſen, was
Euch gefällt, es gibt ſo viel Liebreizendes und Gewaltiges noch außer
Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet ſelber Etwas. Euch
drückt irgend eine Laſt, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht auf's
Land gehen, Alles thut Euern Augen weh, Eurem Geiſt fehlt eine
große Aufgabe, wir wollen ſie Euch ſetzen.

Was ſollt' ich dichten? erwiederte Ekkehard. Iſt's nicht ſchon
Glück genug, das Echo eines Meiſters wie Virgilius zu ſein? Er
ſah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegieen
zu ſingen, ſehr traurige.

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Vorfahren keine Kriegszüge gethan und ihr Heerhorn mit Sturmſchall
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[279/0301] flüſterte ſie ihm zu und zog ihn zu ſich. Das junge Haupt in ihren Schooß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff ſie eine mächtige Scheere aus ihrem ſtrohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe. Betrüblich klang erſt des Kloſterſchülers Schluchzen, — wer ſein Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für ſchwer beſchimpft ²³²⁾ — aber Praxedis weiche Hand fuhr ihm ſtreichelnd über die Wangen, nachdem ſie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm bei aller Strafe ſo ſeltſam zu Muth, daß ſein Mund lächelnd die letzte niederrollende Thräne auffing. Ekkehard ſah eine Weile ſtumm vor ſich hin. Das Spiel leicht- fertiger Anmuth macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt, daß die Herzogin ſo ſein Leſen unterbrochen. Aus ihren Augen las er keinen Troſt: ſie ſpielt mit dir, wie ſie mit dem Knaben ſpielt, dachte er und ſchlug ſeinen Virgilius zu und erhob ſich. Ihr habt Recht, ſprach er zu Frau Hadwig, es iſt Alles falſch. Dido ſollte lachen und Aeneas ſollte hingehen und ſich in's Schwert ſtürzen, dann wäre es richtig. Sie blickte unſtet auf. Was habt Ihr? fragte ſie. Ich kann nicht weiter leſen, erwiederte er. Die Herzogin war aufgeſtanden. Wenn Ihr nicht mehr leſen möget, ſprach ſie mit ſcheinbar ge- langweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns Kurzweil zu ſchaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns etwas Anmuthiges zu erzählen, — Ihr möget dabei ausleſen, was Euch gefällt, es gibt ſo viel Liebreizendes und Gewaltiges noch außer Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet ſelber Etwas. Euch drückt irgend eine Laſt, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht auf's Land gehen, Alles thut Euern Augen weh, Eurem Geiſt fehlt eine große Aufgabe, wir wollen ſie Euch ſetzen. Was ſollt' ich dichten? erwiederte Ekkehard. Iſt's nicht ſchon Glück genug, das Echo eines Meiſters wie Virgilius zu ſein? Er ſah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegieen zu ſingen, ſehr traurige. Sonſt nichts? ſprach Frau Hadwig vorwurfsvoll. Haben unſere Vorfahren keine Kriegszüge gethan und ihr Heerhorn mit Sturmſchall durch die Welt erklingen laſſen und Schlachten geſchlagen, ſo viel

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/301>, abgerufen am 21.11.2024.