werth wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große Kaiser Karl hätte die uralten Lieder der Völker sammeln und singen lassen, wenn nur leeres Stroh darin steckte? Müßt Ihr zu Allem Eure lateinischen Bücher haben?
Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard.
Ihr sollt aber etwas wissen, sagte die Herzogin. Es stünde doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenossen der Burg einen Abend zusammensäßen, und von den alten Geschichten und Sagen plauderten, ob da nicht mehr zusammenkäme, als in der ganzen Aeneide steht? Des Kaiser Karl frommer Sohn hat freilich vom alten Heldensang nichts mehr wissen wollen233) und lieber schnarren- dem Psalmodiren sein Ohr geliehen und ist an Leib und Seele ver- kümmert gestorben, aber uns Allen haften von Kindesbeinen noch jene Geschichten an. Erzählet uns eine solche, Meister Ekkehard, dann erlassen wir Euch den Virgil sammt der liebesiechen Königin Dido.
Aber Ekkehard's Gedanken flogen weit anderwärts. Er schüttelte sein Haupt wie ein Träumender.
Ich sehe, Ihr brauchet Anstoß, sprach die Herzogin. Es soll Euch von Allen ein gut Beispiel gegeben werden. Praxedis halt' dich be- reit, und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns mor- gen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein Jedes sei gerüstet.
Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tisch, als Zeichen, daß eine neue Aera beginne. Ihr Gedanke war gut und anregend. Nur dem Klosterschüler, der während der Herzogin Rede sein Haupt in Praxedis Schooß hatte ruhen lassen, war es nicht ganz deutlich. Wann darf ich weiter Griechisch lernen, gnädige Herrin? sagte er. Thalassi ke potami .,.
Wenn die grauen Haare wieder gewachsen sind, sprach sie heiter und küßte ihn wiederum.
Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal.
werth wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große Kaiſer Karl hätte die uralten Lieder der Völker ſammeln und ſingen laſſen, wenn nur leeres Stroh darin ſteckte? Müßt Ihr zu Allem Eure lateiniſchen Bücher haben?
Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard.
Ihr ſollt aber etwas wiſſen, ſagte die Herzogin. Es ſtünde doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenoſſen der Burg einen Abend zuſammenſäßen, und von den alten Geſchichten und Sagen plauderten, ob da nicht mehr zuſammenkäme, als in der ganzen Aeneide ſteht? Des Kaiſer Karl frommer Sohn hat freilich vom alten Heldenſang nichts mehr wiſſen wollen233) und lieber ſchnarren- dem Pſalmodiren ſein Ohr geliehen und iſt an Leib und Seele ver- kümmert geſtorben, aber uns Allen haften von Kindesbeinen noch jene Geſchichten an. Erzählet uns eine ſolche, Meiſter Ekkehard, dann erlaſſen wir Euch den Virgil ſammt der liebeſiechen Königin Dido.
Aber Ekkehard's Gedanken flogen weit anderwärts. Er ſchüttelte ſein Haupt wie ein Träumender.
Ich ſehe, Ihr brauchet Anſtoß, ſprach die Herzogin. Es ſoll Euch von Allen ein gut Beiſpiel gegeben werden. Praxedis halt' dich be- reit, und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns mor- gen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein Jedes ſei gerüſtet.
Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tiſch, als Zeichen, daß eine neue Aera beginne. Ihr Gedanke war gut und anregend. Nur dem Kloſterſchüler, der während der Herzogin Rede ſein Haupt in Praxedis Schooß hatte ruhen laſſen, war es nicht ganz deutlich. Wann darf ich weiter Griechiſch lernen, gnädige Herrin? ſagte er. Thalassi ke potami .,.
Wenn die grauen Haare wieder gewachſen ſind, ſprach ſie heiter und küßte ihn wiederum.
Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal.
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werth wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große
Kaiſer Karl hätte die uralten Lieder der Völker ſammeln und ſingen
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Eure lateiniſchen Bücher haben?
Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard.
Ihr ſollt aber etwas wiſſen, ſagte die Herzogin. Es ſtünde
doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenoſſen der Burg einen
Abend zuſammenſäßen, und von den alten Geſchichten und Sagen
plauderten, ob da nicht mehr zuſammenkäme, als in der ganzen
Aeneide ſteht? Des Kaiſer Karl frommer Sohn hat freilich vom
alten Heldenſang nichts mehr wiſſen wollen
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und lieber ſchnarren-
dem Pſalmodiren ſein Ohr geliehen und iſt an Leib und Seele ver-
kümmert geſtorben, aber uns Allen haften von Kindesbeinen noch
jene Geſchichten an. Erzählet uns eine ſolche, Meiſter Ekkehard,
dann erlaſſen wir Euch den Virgil ſammt der liebeſiechen Königin Dido.
Aber Ekkehard's Gedanken flogen weit anderwärts. Er ſchüttelte
ſein Haupt wie ein Träumender.
Ich ſehe, Ihr brauchet Anſtoß, ſprach die Herzogin. Es ſoll Euch
von Allen ein gut Beiſpiel gegeben werden. Praxedis halt' dich be-
reit, und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns mor-
gen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein Jedes ſei gerüſtet.
Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tiſch,
als Zeichen, daß eine neue Aera beginne. Ihr Gedanke war gut und
anregend. Nur dem Kloſterſchüler, der während der Herzogin Rede
ſein Haupt in Praxedis Schooß hatte ruhen laſſen, war es nicht ganz
deutlich. Wann darf ich weiter Griechiſch lernen, gnädige Herrin?
ſagte er. Thalassi ke potami .,.
Wenn die grauen Haare wieder gewachſen ſind, ſprach ſie heiter
und küßte ihn wiederum.
Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/302>, abgerufen am 21.11.2024.
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