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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Du wirst Einen droben finden, fuhr er fort, der seit zwanzig
Jahren nicht mehr viel von der Welt gesehen hat, er heißt Gott-
schalk. Grüß ihn von mir; so Gott will sind seine Sünden vergeben.

Der Leutpriester verschwieg aber, um welcher Sünden willen sein
ehemaliger Freund dort Buße that. Den hatte in theuern Zeiten das
Kloster einst in's Welschland gesendet, Korn einzukaufen, da kam er
gen Verona und ward gut aufgenommen vom streitsüchtigen Bischof
Ratherius, und that seine Andacht in der ehrwürdigen Cathedralkirche.
Dort lag unverschlossen im güldenen Sarg der Leib der heiligen Ana-
stasia, und die Kirche war leer und den Gottschalk verführte der
Teufel, daß er nach Deutschland wollte ein Angedenken mitbringen,
da nahm er von der Heiligen Leib so viel er unter seiner Kutte mit-
schleppen konnte:255) einen Arm und einen Fuß und etliche Wirbel-
knochen, und fuhr heimlich von dannen.256) Aber seine Ruhe war
verloren von jener Stunde, in Wachen und Traum stand die Heilige
vor ihm, sie ging an der Krücke verstümmelt und zerrissen und for-
derte ihren Arm zurück und ihren Fuß -- über Schluchten und Alpen-
pässe folgte sie ihm, an der Schwelle des heimischen Klosters trat sie
ihm dräuend entgegen: da warf er halb wahnsinnig die Reliquienbeute
von sich und floh auf die Höhen beim Säntis, den Lebensrest büßend
zu verbringen, und schuf sich dort seine Klause.

Zwei Tage hatte der alte Moengal seinen jungen Freund beher-
bergt, dann schaffte er ihn nächtlich über den See. Geh' mir nicht
in's Kloster zurück, sprach er beim Auseinandergehen, daß dich das
dumme Gerede nicht umbringt. Spott schadet mehr als Strafe. Es
gehört dir ein Denkzettel, aber die frische Luft soll dir ihn bringen,
die hat ein Recht dazu, die Andern nicht. Speer und Wolfspelz
schenkte er ihm zum Abschied.

Scheu und heimlich zog Ekkehard von dannen. Es war eine
bittere Empfindung, da er nächtlich an seinem noch halb in Trüm-
mern liegenden Kloster vorüberschlich; etliche Lichter glänzten zu ihm
herüber, er beflügelte seinen Schritt. Auch an der Abtszelle im Ge-
birgsland zog er ohne Ankehr vorbei, er wollte von des Klosters
Leuten nicht erkannt sein.

... Jetzt war sein Gebet beendigt. Er schaute erwartungsvoll
nach dem Höhleneingang, ob Gottschalk der Einsiedel nicht heraustrete

Du wirſt Einen droben finden, fuhr er fort, der ſeit zwanzig
Jahren nicht mehr viel von der Welt geſehen hat, er heißt Gott-
ſchalk. Grüß ihn von mir; ſo Gott will ſind ſeine Sünden vergeben.

Der Leutprieſter verſchwieg aber, um welcher Sünden willen ſein
ehemaliger Freund dort Buße that. Den hatte in theuern Zeiten das
Kloſter einſt in's Welſchland geſendet, Korn einzukaufen, da kam er
gen Verona und ward gut aufgenommen vom ſtreitſüchtigen Biſchof
Ratherius, und that ſeine Andacht in der ehrwürdigen Cathedralkirche.
Dort lag unverſchloſſen im güldenen Sarg der Leib der heiligen Ana-
ſtaſia, und die Kirche war leer und den Gottſchalk verführte der
Teufel, daß er nach Deutſchland wollte ein Angedenken mitbringen,
da nahm er von der Heiligen Leib ſo viel er unter ſeiner Kutte mit-
ſchleppen konnte:255) einen Arm und einen Fuß und etliche Wirbel-
knochen, und fuhr heimlich von dannen.256) Aber ſeine Ruhe war
verloren von jener Stunde, in Wachen und Traum ſtand die Heilige
vor ihm, ſie ging an der Krücke verſtümmelt und zerriſſen und for-
derte ihren Arm zurück und ihren Fuß — über Schluchten und Alpen-
päſſe folgte ſie ihm, an der Schwelle des heimiſchen Kloſters trat ſie
ihm dräuend entgegen: da warf er halb wahnſinnig die Reliquienbeute
von ſich und floh auf die Höhen beim Säntis, den Lebensreſt büßend
zu verbringen, und ſchuf ſich dort ſeine Klauſe.

Zwei Tage hatte der alte Moengal ſeinen jungen Freund beher-
bergt, dann ſchaffte er ihn nächtlich über den See. Geh' mir nicht
in's Kloſter zurück, ſprach er beim Auseinandergehen, daß dich das
dumme Gerede nicht umbringt. Spott ſchadet mehr als Strafe. Es
gehört dir ein Denkzettel, aber die friſche Luft ſoll dir ihn bringen,
die hat ein Recht dazu, die Andern nicht. Speer und Wolfspelz
ſchenkte er ihm zum Abſchied.

Scheu und heimlich zog Ekkehard von dannen. Es war eine
bittere Empfindung, da er nächtlich an ſeinem noch halb in Trüm-
mern liegenden Kloſter vorüberſchlich; etliche Lichter glänzten zu ihm
herüber, er beflügelte ſeinen Schritt. Auch an der Abtszelle im Ge-
birgsland zog er ohne Ankehr vorbei, er wollte von des Kloſters
Leuten nicht erkannt ſein.

... Jetzt war ſein Gebet beendigt. Er ſchaute erwartungsvoll
nach dem Höhleneingang, ob Gottſchalk der Einſiedel nicht heraustrete

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[320/0342] Du wirſt Einen droben finden, fuhr er fort, der ſeit zwanzig Jahren nicht mehr viel von der Welt geſehen hat, er heißt Gott- ſchalk. Grüß ihn von mir; ſo Gott will ſind ſeine Sünden vergeben. Der Leutprieſter verſchwieg aber, um welcher Sünden willen ſein ehemaliger Freund dort Buße that. Den hatte in theuern Zeiten das Kloſter einſt in's Welſchland geſendet, Korn einzukaufen, da kam er gen Verona und ward gut aufgenommen vom ſtreitſüchtigen Biſchof Ratherius, und that ſeine Andacht in der ehrwürdigen Cathedralkirche. Dort lag unverſchloſſen im güldenen Sarg der Leib der heiligen Ana- ſtaſia, und die Kirche war leer und den Gottſchalk verführte der Teufel, daß er nach Deutſchland wollte ein Angedenken mitbringen, da nahm er von der Heiligen Leib ſo viel er unter ſeiner Kutte mit- ſchleppen konnte: ²⁵⁵⁾ einen Arm und einen Fuß und etliche Wirbel- knochen, und fuhr heimlich von dannen. ²⁵⁶⁾ Aber ſeine Ruhe war verloren von jener Stunde, in Wachen und Traum ſtand die Heilige vor ihm, ſie ging an der Krücke verſtümmelt und zerriſſen und for- derte ihren Arm zurück und ihren Fuß — über Schluchten und Alpen- päſſe folgte ſie ihm, an der Schwelle des heimiſchen Kloſters trat ſie ihm dräuend entgegen: da warf er halb wahnſinnig die Reliquienbeute von ſich und floh auf die Höhen beim Säntis, den Lebensreſt büßend zu verbringen, und ſchuf ſich dort ſeine Klauſe. Zwei Tage hatte der alte Moengal ſeinen jungen Freund beher- bergt, dann ſchaffte er ihn nächtlich über den See. Geh' mir nicht in's Kloſter zurück, ſprach er beim Auseinandergehen, daß dich das dumme Gerede nicht umbringt. Spott ſchadet mehr als Strafe. Es gehört dir ein Denkzettel, aber die friſche Luft ſoll dir ihn bringen, die hat ein Recht dazu, die Andern nicht. Speer und Wolfspelz ſchenkte er ihm zum Abſchied. Scheu und heimlich zog Ekkehard von dannen. Es war eine bittere Empfindung, da er nächtlich an ſeinem noch halb in Trüm- mern liegenden Kloſter vorüberſchlich; etliche Lichter glänzten zu ihm herüber, er beflügelte ſeinen Schritt. Auch an der Abtszelle im Ge- birgsland zog er ohne Ankehr vorbei, er wollte von des Kloſters Leuten nicht erkannt ſein. ... Jetzt war ſein Gebet beendigt. Er ſchaute erwartungsvoll nach dem Höhleneingang, ob Gottſchalk der Einſiedel nicht heraustrete

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/342>, abgerufen am 22.11.2024.