und den neuen Ankömmling begrüße. Es regte sich Nichts, die Höhle stund leer. Sancta Anastasia, ignosce raptori! Heilige Anastasia, verzeihe deinem Räuber! war mit eingetrocknetem Kräutersaft an die lichte Felswand angeschrieben. Ein steingehauener Trog fing das herab- tropfende Felswasser; es lief über den Rand herab.
Er trat in die Kammer. Etliche thönerne Schüsseln standen bei einer Steinplatte, die als Heerd gedient haben mochte. Ein grobgar- niges Fischnetz lag in der Ecke, Hammer, Spaten, ein verrostet Beil dabei, auch viel zugeschnittene Kienspäne.
Auf tannenen Scheitern war eine Streu geschüttelt, von Moder und Gewürm zerfressen. Zwei Ratten sprangen, vom Eintretenden verscheucht, in eine Spalte des Bodens.
Gottschalk! rief Ekkehard durch die hohle Hand. Dann that er einen Schrei, wie er unter Leuten im Gebirg als Anruf üblich ist. Aber Niemand erschien. Nähere Umschau zeigte, daß der Einsiedel nicht erst seit heute die Klause verlassen. In einem Krug war Milch zur Kruste eingetrocknet. Da trat Ekkehard betrübt wieder auf den schmalen Streif Erdreich, der zwischen Höhle und Abgrund das Stehen ermöglichte. Sein Blick wandte sich zur Linken. In weiter Ferne blaute ein Stück Bodensee über den Bergrücken. Die Pracht der Gebirgswelt vermochte nicht ein Gefühl von unendlichem Weh zu bannen. Einsam und gott- verlassen stand er auf der jachen Höhe. Er reckte sein Ohr, als müsse er eines Menschen Stimme erlauschen. Aber nur das einförmig leise Rauschen des Windes durch die Tannen der Tiefe tönte herauf.
Seine Augen wurden feucht.
Es war spät geworden. Wohin?... Ein starker Hunger zerstreute seine Gedanken. Er trug noch für drei Tage Speise bei sich. Da setzte er sich vor die Höhle und verzehrte unter Thränen seinen Abend- imbiß. Sein Berg warf lange blaue Schatten auf die Wände gen- über, nur die steinernen Gipfel glühten noch im Sonnenlicht.
So lang das Kreuz am Felsen steht, werd' ich nie ganz verlassen sein! sprach er. Er trug etliches Gras vom Abhang zusammen, und richtete sich ein Lager auf die Stelle des vermoderten. Kühle Nacht- luft zog herauf. Da hüllte er sich in Moengals geschenkten Mantel und legte sich nieder. Der Schlaf ist ein gutes Heilmittel für die
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 21
und den neuen Ankömmling begrüße. Es regte ſich Nichts, die Höhle ſtund leer. Sancta Anastasia, ignosce raptori! Heilige Anaſtaſia, verzeihe deinem Räuber! war mit eingetrocknetem Kräuterſaft an die lichte Felswand angeſchrieben. Ein ſteingehauener Trog fing das herab- tropfende Felswaſſer; es lief über den Rand herab.
Er trat in die Kammer. Etliche thönerne Schüſſeln ſtanden bei einer Steinplatte, die als Heerd gedient haben mochte. Ein grobgar- niges Fiſchnetz lag in der Ecke, Hammer, Spaten, ein verroſtet Beil dabei, auch viel zugeſchnittene Kienſpäne.
Auf tannenen Scheitern war eine Streu geſchüttelt, von Moder und Gewürm zerfreſſen. Zwei Ratten ſprangen, vom Eintretenden verſcheucht, in eine Spalte des Bodens.
Gottſchalk! rief Ekkehard durch die hohle Hand. Dann that er einen Schrei, wie er unter Leuten im Gebirg als Anruf üblich iſt. Aber Niemand erſchien. Nähere Umſchau zeigte, daß der Einſiedel nicht erſt ſeit heute die Klauſe verlaſſen. In einem Krug war Milch zur Kruſte eingetrocknet. Da trat Ekkehard betrübt wieder auf den ſchmalen Streif Erdreich, der zwiſchen Höhle und Abgrund das Stehen ermöglichte. Sein Blick wandte ſich zur Linken. In weiter Ferne blaute ein Stück Bodenſee über den Bergrücken. Die Pracht der Gebirgswelt vermochte nicht ein Gefühl von unendlichem Weh zu bannen. Einſam und gott- verlaſſen ſtand er auf der jachen Höhe. Er reckte ſein Ohr, als müſſe er eines Menſchen Stimme erlauſchen. Aber nur das einförmig leiſe Rauſchen des Windes durch die Tannen der Tiefe tönte herauf.
Seine Augen wurden feucht.
Es war ſpät geworden. Wohin?... Ein ſtarker Hunger zerſtreute ſeine Gedanken. Er trug noch für drei Tage Speiſe bei ſich. Da ſetzte er ſich vor die Höhle und verzehrte unter Thränen ſeinen Abend- imbiß. Sein Berg warf lange blaue Schatten auf die Wände gen- über, nur die ſteinernen Gipfel glühten noch im Sonnenlicht.
So lang das Kreuz am Felſen ſteht, werd' ich nie ganz verlaſſen ſein! ſprach er. Er trug etliches Gras vom Abhang zuſammen, und richtete ſich ein Lager auf die Stelle des vermoderten. Kühle Nacht- luft zog herauf. Da hüllte er ſich in Moengals geſchenkten Mantel und legte ſich nieder. Der Schlaf iſt ein gutes Heilmittel für die
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 21
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verzeihe deinem Räuber! war mit eingetrocknetem Kräuterſaft an die
lichte Felswand angeſchrieben. Ein ſteingehauener Trog fing das herab-
tropfende Felswaſſer; es lief über den Rand herab.
Er trat in die Kammer. Etliche thönerne Schüſſeln ſtanden bei
einer Steinplatte, die als Heerd gedient haben mochte. Ein grobgar-
niges Fiſchnetz lag in der Ecke, Hammer, Spaten, ein verroſtet Beil
dabei, auch viel zugeſchnittene Kienſpäne.
Auf tannenen Scheitern war eine Streu geſchüttelt, von Moder
und Gewürm zerfreſſen. Zwei Ratten ſprangen, vom Eintretenden
verſcheucht, in eine Spalte des Bodens.
Gottſchalk! rief Ekkehard durch die hohle Hand. Dann that er
einen Schrei, wie er unter Leuten im Gebirg als Anruf üblich iſt.
Aber Niemand erſchien. Nähere Umſchau zeigte, daß der Einſiedel nicht
erſt ſeit heute die Klauſe verlaſſen. In einem Krug war Milch zur
Kruſte eingetrocknet. Da trat Ekkehard betrübt wieder auf den ſchmalen
Streif Erdreich, der zwiſchen Höhle und Abgrund das Stehen ermöglichte.
Sein Blick wandte ſich zur Linken. In weiter Ferne blaute ein Stück
Bodenſee über den Bergrücken. Die Pracht der Gebirgswelt vermochte
nicht ein Gefühl von unendlichem Weh zu bannen. Einſam und gott-
verlaſſen ſtand er auf der jachen Höhe. Er reckte ſein Ohr, als müſſe
er eines Menſchen Stimme erlauſchen. Aber nur das einförmig leiſe
Rauſchen des Windes durch die Tannen der Tiefe tönte herauf.
Seine Augen wurden feucht.
Es war ſpät geworden. Wohin?... Ein ſtarker Hunger zerſtreute
ſeine Gedanken. Er trug noch für drei Tage Speiſe bei ſich. Da
ſetzte er ſich vor die Höhle und verzehrte unter Thränen ſeinen Abend-
imbiß. Sein Berg warf lange blaue Schatten auf die Wände gen-
über, nur die ſteinernen Gipfel glühten noch im Sonnenlicht.
So lang das Kreuz am Felſen ſteht, werd' ich nie ganz verlaſſen
ſein! ſprach er. Er trug etliches Gras vom Abhang zuſammen, und
richtete ſich ein Lager auf die Stelle des vermoderten. Kühle Nacht-
luft zog herauf. Da hüllte er ſich in Moengals geſchenkten Mantel
und legte ſich nieder. Der Schlaf iſt ein gutes Heilmittel für die
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/343>, abgerufen am 24.11.2024.
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