als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in seinem Worte. Er griff sein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger stiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn- blasen deutlich zu entnehmen, daß weder Musen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umstanden hatten.
Wenn Einer im Wald sich umgeschaut hat, so hat er sicher schon das Getrieb eines Ameisenhaufens angesehen. Da ist Alles wohlge- ordnet und geht seinen gemeinsamen Gang und freut sich der Ruhe in der Bewegung: itzt fährst du mit deinem Stab darein und scheu- chest die Vordersten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim- melnder Zusammenlauf -- Alles hat der eine Stoß verstört. Also und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's stille Kloster.
Da füllten sich die Fenster am Saal der Klosterschulen mit neu- gierigen jungen Gesichtern, manch lieblicher Traum in einsamer Zelle entschwebte, ohne seinen Schluß zu finden, manch tiefsinnige Medita- tion halbwachender Denker desgleichen; der böse Sindolt, der in dieser Stunde auf seinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der Kunst zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligst die pergamentnen Blätter zusammen und barg sie im schützenden Versteck seines Stroh- sacks.
Der Abt Cralo sprang aus seinem Lehnstuhl und reckte seine Arme der Decke des Gemachs entgegen, ein schlaftrunkener Mann; auf schwerem Steintisch stund ein prachtvoll silbern Wasserbecken,17) darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Rest zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller seines Erkers und schaute hinab.
Und er ward betrüblich überrascht, als wär' ihm eine Wallnuß auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, sei mir gnädig, meine Base, die Herzogin!
Sofort schürzte er seine Kutte, strich den schmalen Büschel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch stattlich empor- wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld;18) hing das güldene Kettlein mit dem Klostersigill um, nahm seinen Abtsstab von Apfel- baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und stieg in Hof hernieder.
als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in ſeinem Worte. Er griff ſein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger ſtiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn- blaſen deutlich zu entnehmen, daß weder Muſen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umſtanden hatten.
Wenn Einer im Wald ſich umgeſchaut hat, ſo hat er ſicher ſchon das Getrieb eines Ameiſenhaufens angeſehen. Da iſt Alles wohlge- ordnet und geht ſeinen gemeinſamen Gang und freut ſich der Ruhe in der Bewegung: itzt fährſt du mit deinem Stab darein und ſcheu- cheſt die Vorderſten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim- melnder Zuſammenlauf — Alles hat der eine Stoß verſtört. Alſo und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's ſtille Kloſter.
Da füllten ſich die Fenſter am Saal der Kloſterſchulen mit neu- gierigen jungen Geſichtern, manch lieblicher Traum in einſamer Zelle entſchwebte, ohne ſeinen Schluß zu finden, manch tiefſinnige Medita- tion halbwachender Denker desgleichen; der böſe Sindolt, der in dieſer Stunde auf ſeinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der Kunſt zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligſt die pergamentnen Blätter zuſammen und barg ſie im ſchützenden Verſteck ſeines Stroh- ſacks.
Der Abt Cralo ſprang aus ſeinem Lehnſtuhl und reckte ſeine Arme der Decke des Gemachs entgegen, ein ſchlaftrunkener Mann; auf ſchwerem Steintiſch ſtund ein prachtvoll ſilbern Waſſerbecken,17) darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Reſt zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller ſeines Erkers und ſchaute hinab.
Und er ward betrüblich überraſcht, als wär' ihm eine Wallnuß auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, ſei mir gnädig, meine Baſe, die Herzogin!
Sofort ſchürzte er ſeine Kutte, ſtrich den ſchmalen Büſchel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch ſtattlich empor- wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld;18) hing das güldene Kettlein mit dem Kloſterſigill um, nahm ſeinen Abtsſtab von Apfel- baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und ſtieg in Hof hernieder.
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als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in ſeinem
Worte. Er griff ſein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein
ungefüger ſtiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn-
blaſen deutlich zu entnehmen, daß weder Muſen noch Grazien die
Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umſtanden hatten.
Wenn Einer im Wald ſich umgeſchaut hat, ſo hat er ſicher ſchon
das Getrieb eines Ameiſenhaufens angeſehen. Da iſt Alles wohlge-
ordnet und geht ſeinen gemeinſamen Gang und freut ſich der Ruhe
in der Bewegung: itzt fährſt du mit deinem Stab darein und ſcheu-
cheſt die Vorderſten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim-
melnder Zuſammenlauf — Alles hat der eine Stoß verſtört. Alſo
und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's
ſtille Kloſter.
Da füllten ſich die Fenſter am Saal der Kloſterſchulen mit neu-
gierigen jungen Geſichtern, manch lieblicher Traum in einſamer Zelle
entſchwebte, ohne ſeinen Schluß zu finden, manch tiefſinnige Medita-
tion halbwachender Denker desgleichen; der böſe Sindolt, der in dieſer
Stunde auf ſeinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der
Kunſt zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligſt die pergamentnen
Blätter zuſammen und barg ſie im ſchützenden Verſteck ſeines Stroh-
ſacks.
Der Abt Cralo ſprang aus ſeinem Lehnſtuhl und reckte ſeine Arme
der Decke des Gemachs entgegen, ein ſchlaftrunkener Mann; auf
ſchwerem Steintiſch ſtund ein prachtvoll ſilbern Waſſerbecken,
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tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers
Reſt zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller ſeines Erkers
und ſchaute hinab.
Und er ward betrüblich überraſcht, als wär' ihm eine Wallnuß
auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, ſei mir gnädig, meine Baſe,
die Herzogin!
Sofort ſchürzte er ſeine Kutte, ſtrich den ſchmalen Büſchel Haare
zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch ſtattlich empor-
wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld;
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hing das güldene
Kettlein mit dem Kloſterſigill um, nahm ſeinen Abtsſtab von Apfel-
baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und ſtieg in
Hof hernieder.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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