sanfter Unkraft, der schwermüthigen genesenden Menschen so wohl an- steht. Sein Denken war ernst, aber nimmer bitter.
Ich hab' von den Bergen was gelernt, sprach er zu sich selber, Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichste Maid vor uns sitzt, der Mensch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht soll wissen wie es drinnen kocht und glüht, das ist besser.
Und mälig ward ihm die Trübsal der letzten Vergangenheit in mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf dem hohen Twiel geschehen, es that ihm nimmer weh. Und das ist das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß sie nicht nur sich selber als ein mächtig wirkend Bild vor den Beschauenden stellt, sondern den Geist überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verschwundene Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeschwört. Ekkehard hatte lange nimmer auf die Tage seiner Jugend rückgeschaut, jetzt flüchtete sich sein Denken am liebsten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre in der Klosterschule zu Lorsch am Rheine verbracht; damals ahnte er nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth verborgen glimmt, die alten Pergamente waren seine Welt.
Aber eine Gestalt stand ihm von damals fest in's Herz geschrieben, das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre älteren, hatte Ekkehard die erste Neigung junger Freundschaft geheftet; ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachsen über die Tage von Lorsch, jetzt tauchten sie strahlend vor der Betrachtung auf, gleich dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgensonne ihre Strahlen drauf geworfen.
Es ist mit des Menschen Geist wie mit der Rinde der alten Erde; auf den Anschwemmungen der Kindheit thürmen sich in stürmischer Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf sie ruht, ist mit Trümmern überschüttet und vergessen, -- aber wie die starren Gipfel der Alpen oft sehnsüchtig zu Thale schauen und sich heimweh- bewältigt hinabstürzen in die Tiefe, der sie entstiegen, so fährt die Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die sie unbeachtet beim tauben Gestein zurückließ.
ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an- ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter.
Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber, Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt, der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer.
Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt.
Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben, das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet; ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen drauf geworfen.
Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde; auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh- bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0353"n="331"/>ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an-<lb/>ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter.</p><lb/><p>Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber,<lb/>
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt,<lb/>
der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden<lb/>
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen<lb/>
wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer.</p><lb/><p>Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in<lb/>
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf<lb/>
dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt<lb/>
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als<lb/>
ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den<lb/>
Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene<lb/>
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange<lb/>
nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich<lb/>ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus<lb/>
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre<lb/>
in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er<lb/>
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth<lb/>
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt.</p><lb/><p>Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben,<lb/>
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre<lb/>
älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet;<lb/>
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage<lb/>
von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich<lb/>
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen<lb/>
drauf geworfen.</p><lb/><p>Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde;<lb/>
auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher<lb/>
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die<lb/>
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt<lb/>
mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren<lb/>
Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh-<lb/>
bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die<lb/>
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die<lb/>ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[331/0353]
ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an-
ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter.
Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber,
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt,
der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen
wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer.
Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf
dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als
ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den
Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange
nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich
ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre
in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt.
Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben,
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre
älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet;
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage
von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen
drauf geworfen.
Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde;
auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt
mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren
Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh-
bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die
ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/353>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.