Sie stammte aus Klingnau im Aargau und war eine stolze, spröde Jungfrau gewesen, in mancher Kunst bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Psalmen lateinisch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann sein Leben zu versüßen, wenn sie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauischer Landes- kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und sie that eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muß ihr unstet Gemüth durchschüttert worden sein, keiner der Zeitgenossen hat erfahren wie; -- drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Colosseum und unter Constantin's Triumphbogen durch bis zum vierstirnigen Janus an der Tiber unten und suchte seine Schwester und fand sie nicht; am Morgen des vierten Tags kam sie zum salarischen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und sprach, es sei Alles Nichts auf der Welt, so lang nicht dem heiligen Martinus die Ehr erwiesen werde, die seinem Verdienst gebühre.
Wie sie aber zurückkehrte in die Heimath, verschrieb sie ihr Hab und Gut der Bischofskirche zu Constanz, mit dem Bedingniß, daß die geistlichen Herren jeweils am eilften des Herbstmonates dem heiligen Martin ein besonder Fest halten sollten; sie selber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia sich seßhaft gemacht, und führte ein klösterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog sie sich in's Thal des heiligen Gallus; der Bischof selbst gab ihr das Geleit und that ihr den schwarzen Schleier um und führte sie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und sprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle that er den ersten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal sein Sigill auf das Blei, damit sie die Fugen lötheten, und schied sie von der Welt, und die Mönche sangen dazu, als würd' Einer begraben, dumpf und traurig.
Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren: sie sei eine hartgeschmiedete Meisterin,41) sagten sie, und an manchem Sonntag stund Haupt an Haupt auf dem Wiesenplan und Wiborad stund an ihrem Fensterlein und predigte ihnen, und andere Frauen siedelten sich in die Nähe und suchten bei ihr Anleitung zur Tugend.
Wir sind an Ort und Stelle, sprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menschlich Wesen war zu erschauen;
Sie ſtammte aus Klingnau im Aargau und war eine ſtolze, ſpröde Jungfrau geweſen, in mancher Kunſt bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Pſalmen lateiniſch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann ſein Leben zu verſüßen, wenn ſie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauiſcher Landes- kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und ſie that eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muß ihr unſtet Gemüth durchſchüttert worden ſein, keiner der Zeitgenoſſen hat erfahren wie; — drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Coloſſeum und unter Conſtantin's Triumphbogen durch bis zum vierſtirnigen Janus an der Tiber unten und ſuchte ſeine Schweſter und fand ſie nicht; am Morgen des vierten Tags kam ſie zum ſalariſchen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und ſprach, es ſei Alles Nichts auf der Welt, ſo lang nicht dem heiligen Martinus die Ehr erwieſen werde, die ſeinem Verdienſt gebühre.
Wie ſie aber zurückkehrte in die Heimath, verſchrieb ſie ihr Hab und Gut der Biſchofskirche zu Conſtanz, mit dem Bedingniß, daß die geiſtlichen Herren jeweils am eilften des Herbſtmonates dem heiligen Martin ein beſonder Feſt halten ſollten; ſie ſelber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia ſich ſeßhaft gemacht, und führte ein klöſterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog ſie ſich in's Thal des heiligen Gallus; der Biſchof ſelbſt gab ihr das Geleit und that ihr den ſchwarzen Schleier um und führte ſie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und ſprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle that er den erſten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal ſein Sigill auf das Blei, damit ſie die Fugen lötheten, und ſchied ſie von der Welt, und die Mönche ſangen dazu, als würd' Einer begraben, dumpf und traurig.
Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren: ſie ſei eine hartgeſchmiedete Meiſterin,41) ſagten ſie, und an manchem Sonntag ſtund Haupt an Haupt auf dem Wieſenplan und Wiborad ſtund an ihrem Fenſterlein und predigte ihnen, und andere Frauen ſiedelten ſich in die Nähe und ſuchten bei ihr Anleitung zur Tugend.
Wir ſind an Ort und Stelle, ſprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menſchlich Weſen war zu erſchauen;
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Sie ſtammte aus Klingnau im Aargau und war eine ſtolze,
ſpröde Jungfrau geweſen, in mancher Kunſt bewandert, und hatte von
ihrem Bruder Hitto alle Pſalmen lateiniſch beten gelernt und war
ehedem nicht abgeneigt, einem Mann ſein Leben zu verſüßen, wenn
ſie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauiſcher Landes-
kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und ſie that eine Wallfahrt
gen Rom. Und dort muß ihr unſtet Gemüth durchſchüttert worden
ſein, keiner der Zeitgenoſſen hat erfahren wie; — drei Tage lang
rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die
Hallen des Coloſſeum und unter Conſtantin's Triumphbogen durch
bis zum vierſtirnigen Janus an der Tiber unten und ſuchte ſeine
Schweſter und fand ſie nicht; am Morgen des vierten Tags kam ſie
zum ſalariſchen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen
leuchtend und ſprach, es ſei Alles Nichts auf der Welt, ſo lang nicht dem
heiligen Martinus die Ehr erwieſen werde, die ſeinem Verdienſt gebühre.
Wie ſie aber zurückkehrte in die Heimath, verſchrieb ſie ihr Hab
und Gut der Biſchofskirche zu Conſtanz, mit dem Bedingniß, daß die
geiſtlichen Herren jeweils am eilften des Herbſtmonates dem heiligen
Martin ein beſonder Feſt halten ſollten; ſie ſelber trat in ein eng
Häuslein, wo die Klausnerin Zilia ſich ſeßhaft gemacht, und führte
ein klöſterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war,
verzog ſie ſich in's Thal des heiligen Gallus; der Biſchof ſelbſt gab
ihr das Geleit und that ihr den ſchwarzen Schleier um und führte
ſie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und ſprach den Segen
darüber; mit der Mauerkelle that er den erſten Schlag auf die Steine,
mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal ſein
Sigill auf das Blei, damit ſie die Fugen lötheten, und ſchied ſie von
der Welt, und die Mönche ſangen dazu, als würd' Einer begraben,
dumpf und traurig.
Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren:
ſie ſei eine hartgeſchmiedete Meiſterin,
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ſagten ſie, und an manchem
Sonntag ſtund Haupt an Haupt auf dem Wieſenplan und Wiborad
ſtund an ihrem Fenſterlein und predigte ihnen, und andere Frauen
ſiedelten ſich in die Nähe und ſuchten bei ihr Anleitung zur Tugend.
Wir ſind an Ort und Stelle, ſprach Romeias. Da blickte Praxedis
mit ihren Begleiterinnen um. Kein menſchlich Weſen war zu erſchauen;
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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