Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.verspätete Schmetterlinge und Käfer summten im Sonnenschein und Romeias klopfte mit seinem Jagdspieß an den Fensterladen, der Romeias war ein Mann von ungeschliffener Lebensart, sonst hätte Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag, Der steht im grünsten Laube, Dort lockt und lacht den ganzen Tag Eine schöne wilde Taube. Ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt Nur Krächzen und Geheule, Dort haust fahlgrau und mißgestalt Eine heis're Schleiereule. Des Jägers Horn bringt süßen Klang, Des Jägers Pfeil Verderben: Die Taube grüß ich mit Gesang, Die Eul' muß mir ersterben! Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag, Der ſteht im grünſten Laube, Dort lockt und lacht den ganzen Tag Eine ſchöne wilde Taube. Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt Nur Krächzen und Geheule, Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt Eine heiſ're Schleiereule. Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang, Des Jägers Pfeil Verderben: Die Taube grüß ich mit Geſang, Die Eul' muß mir erſterben! Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0048" n="26"/> verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und<lb/> die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war<lb/> der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen-<lb/> licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe<lb/> geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit.</p><lb/> <p>Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der<lb/> blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach<lb/> der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen!</p><lb/> <p>Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte<lb/> er nicht gethan, was er jetzt that.</p><lb/> <p>Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler<lb/> ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu<lb/> zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine<lb/> jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf<lb/> freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter<lb/> Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver-<lb/> weht worden, und lautete alſo:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag,</l><lb/> <l>Der ſteht im grünſten Laube,</l><lb/> <l>Dort lockt und lacht den ganzen Tag</l><lb/> <l>Eine ſchöne wilde Taube.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt</l><lb/> <l>Nur Krächzen und Geheule,</l><lb/> <l>Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt</l><lb/> <l>Eine heiſ're Schleiereule.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang,</l><lb/> <l>Des Jägers Pfeil Verderben:</l><lb/> <l>Die Taube grüß ich mit Geſang,</l><lb/> <l>Die Eul' muß mir erſterben!</l> </lg> </lg><lb/> <p>Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen<lb/> Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge-<lb/> ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich<lb/> ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige<lb/> Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [26/0048]
verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und
die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war
der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen-
licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe
geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit.
Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der
blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach
der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen!
Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte
er nicht gethan, was er jetzt that.
Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler
ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu
zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine
jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf
freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter
Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver-
weht worden, und lautete alſo:
Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag,
Der ſteht im grünſten Laube,
Dort lockt und lacht den ganzen Tag
Eine ſchöne wilde Taube.
Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt
Nur Krächzen und Geheule,
Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt
Eine heiſ're Schleiereule.
Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang,
Des Jägers Pfeil Verderben:
Die Taube grüß ich mit Geſang,
Die Eul' muß mir erſterben!
Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen
Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge-
ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich
ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige
Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier
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