Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

verspätete Schmetterlinge und Käfer summten im Sonnenschein und
die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war
der Fensterladen angelehnt, so daß nur ein schmaler Streif Sonnen-
licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langsam und halb durch die Nase
gesungenes Psalmodiren tönte durch die Einsamkeit.

Romeias klopfte mit seinem Jagdspieß an den Fensterladen, der
blieb, wie er war, angelehnt; das Psalmodiren tönte fort. Da sprach
der Wächter: Wir müssen sie anderweitig herausklopfen!

Romeias war ein Mann von ungeschliffener Lebensart, sonst hätte
er nicht gethan, was er jetzt that.

Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler
ergötzte, wenn sie in seine Thurmstube entwischten, ihn am Bart zu
zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu spielen. Es war eine
jener Cantilenen, wie deren, seit daß es eine deutsche Zunge gibt, auf
freier Heerstraße, an Wegscheiden und Waldecken und draus auf weiter
Heide schon manches gute Tausend in Wind gesungen und wieder ver-
weht worden, und lautete also:

Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag,
Der steht im grünsten Laube,
Dort lockt und lacht den ganzen Tag
Eine schöne wilde Taube.
Ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt
Nur Krächzen und Geheule,
Dort haust fahlgrau und mißgestalt
Eine heis're Schleiereule.
Des Jägers Horn bringt süßen Klang,
Des Jägers Pfeil Verderben:
Die Taube grüß ich mit Gesang,
Die Eul' muß mir ersterben!

Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen
Feldstein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erschien eine Ge-
stalt an der viereckigen Fensteröffnung, auf hagerem Halse hob sich
ein blasses, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindselige
Richtung aufwärts gegen die Nase genommen; von dunklem Schleier

verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und
die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war
der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen-
licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe
geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit.

Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der
blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach
der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen!

Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte
er nicht gethan, was er jetzt that.

Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler
ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu
zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine
jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf
freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter
Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver-
weht worden, und lautete alſo:

Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag,
Der ſteht im grünſten Laube,
Dort lockt und lacht den ganzen Tag
Eine ſchöne wilde Taube.
Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt
Nur Krächzen und Geheule,
Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt
Eine heiſ're Schleiereule.
Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang,
Des Jägers Pfeil Verderben:
Die Taube grüß ich mit Geſang,
Die Eul' muß mir erſterben!

Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen
Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge-
ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich
ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige
Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="26"/>
ver&#x017F;pätete Schmetterlinge und Käfer &#x017F;ummten im Sonnen&#x017F;chein und<lb/>
die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war<lb/>
der Fen&#x017F;terladen angelehnt, &#x017F;o daß nur ein &#x017F;chmaler Streif Sonnen-<lb/>
licht hineinfallen konnte. Dumpfes, lang&#x017F;am und halb durch die Na&#x017F;e<lb/>
ge&#x017F;ungenes P&#x017F;almodiren tönte durch die Ein&#x017F;amkeit.</p><lb/>
        <p>Romeias klopfte mit &#x017F;einem Jagd&#x017F;pieß an den Fen&#x017F;terladen, der<lb/>
blieb, wie er war, angelehnt; das P&#x017F;almodiren tönte fort. Da &#x017F;prach<lb/>
der Wächter: Wir mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie anderweitig herausklopfen!</p><lb/>
        <p>Romeias war ein Mann von unge&#x017F;chliffener Lebensart, &#x017F;on&#x017F;t hätte<lb/>
er nicht gethan, was er jetzt that.</p><lb/>
        <p>Er begann ein Lied zu &#x017F;ingen, womit er oftmals die Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler<lb/>
ergötzte, wenn &#x017F;ie in &#x017F;eine Thurm&#x017F;tube entwi&#x017F;chten, ihn am Bart zu<lb/>
zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu &#x017F;pielen. Es war eine<lb/>
jener Cantilenen, wie deren, &#x017F;eit daß es eine deut&#x017F;che Zunge gibt, auf<lb/>
freier Heer&#x017F;traße, an Weg&#x017F;cheiden und Waldecken und draus auf weiter<lb/>
Heide &#x017F;chon manches gute Tau&#x017F;end in Wind ge&#x017F;ungen und wieder ver-<lb/>
weht worden, und lautete al&#x017F;o:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Ich weiß einen Stamm im Eichen&#x017F;chlag,</l><lb/>
            <l>Der &#x017F;teht im grün&#x017F;ten Laube,</l><lb/>
            <l>Dort lockt und lacht den ganzen Tag</l><lb/>
            <l>Eine &#x017F;chöne wilde Taube.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Ich weiß einen Fels, draus &#x017F;chillt und &#x017F;challt</l><lb/>
            <l>Nur Krächzen und Geheule,</l><lb/>
            <l>Dort haust fahlgrau und mißge&#x017F;talt</l><lb/>
            <l>Eine hei&#x017F;'re Schleiereule.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Des Jägers Horn bringt &#x017F;üßen Klang,</l><lb/>
            <l>Des Jägers Pfeil Verderben:</l><lb/>
            <l>Die Taube grüß ich mit Ge&#x017F;ang,</l><lb/>
            <l>Die Eul' muß mir er&#x017F;terben!</l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <p>Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen<lb/>
Feld&#x017F;tein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald er&#x017F;chien eine Ge-<lb/>
&#x017F;talt an der viereckigen Fen&#x017F;teröffnung, auf hagerem Hal&#x017F;e hob &#x017F;ich<lb/>
ein bla&#x017F;&#x017F;es, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feind&#x017F;elige<lb/>
Richtung aufwärts gegen die Na&#x017F;e genommen; von dunklem Schleier<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0048] verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen- licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit. Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen! Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte er nicht gethan, was er jetzt that. Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver- weht worden, und lautete alſo: Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag, Der ſteht im grünſten Laube, Dort lockt und lacht den ganzen Tag Eine ſchöne wilde Taube. Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt Nur Krächzen und Geheule, Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt Eine heiſ're Schleiereule. Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang, Des Jägers Pfeil Verderben: Die Taube grüß ich mit Geſang, Die Eul' muß mir erſterben! Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge- ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/48
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/48>, abgerufen am 21.11.2024.