vermummt, beugte sie sich weit aus dem Fensterlein, die Augen glänz- ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief sie.
Da trat Romeias vor und sprach mit gemüthlichem Ausdruck: Der böse Feind weiß keine so schönen Lieder wie Romeias, der Kloster- wächter. Beruhigt Euch, Schwester Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloster lassen sie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen sein.
Hebet Euch weg, ihr Truggestalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Versucher legt. Weichet, weichet!
Praxedis aber näherte sich der Zelle und neigte sich sittig vor der dürren Bewohnerin: sie komme nicht aus der Hölle, sondern vom hohen Twiel herüber, setzte sie ihr auseinand. Ein wenig falsch konnte das Griechenkind auch sein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der Klause im Schwarzathal sich erst von heute herschrieb, fügte sie doch bei, sie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schwester Wiborad schon so viel vernommen, daß sie die erste Gelegenheit genutzt, bei ihr anzusprechen.
Da schien es, als wollten sich einige Runzeln auf Wiborad's Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! sprach sie und reckte ihren Arm zum Fensterlein hinaus. Die Kutte streifte sich ein We- niges zurück, da war er in seiner ganzen fleischlosen Magerkeit dem Sonnenschein ausgesetzt.
Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsschlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anschlug, ward sie langsam von der Griechin Menschlichkeit überzeugt.
Romeias merkte die Wendung zum Besseren, er wälzte etliche Felsstücke unter das Fenster der Zelle. In zwei Stunden hol' ich Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! sprach er. Und er- schreckt nicht, wenn sie in Verzuckung kommt, flüsterte er der Griechin zu.
Hiemit pfiff Romeias seinen Hunden und schritt in's Waldesdickigt. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann drehte er sein struppig Haupt und wandte den ganzen Menschen um; auf den Spieß gestemmt, schaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klause, als hätt' er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelassen.
Praxedis lächelte und warf dem gröbsten aller Wächter eine Kuß- hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte seinen Spieß schultern,
vermummt, beugte ſie ſich weit aus dem Fenſterlein, die Augen glänz- ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief ſie.
Da trat Romeias vor und ſprach mit gemüthlichem Ausdruck: Der böſe Feind weiß keine ſo ſchönen Lieder wie Romeias, der Kloſter- wächter. Beruhigt Euch, Schweſter Wiborad, ich bring ein paar feine Jungfräulein, die Herren im Kloſter laſſen ſie Euch zu annehmlicher Unterhaltung empfohlen ſein.
Hebet Euch weg, ihr Truggeſtalten! rief die Klausnerin. Wir kennen die Schlingen, die der Verſucher legt. Weichet, weichet!
Praxedis aber näherte ſich der Zelle und neigte ſich ſittig vor der dürren Bewohnerin: ſie komme nicht aus der Hölle, ſondern vom hohen Twiel herüber, ſetzte ſie ihr auseinand. Ein wenig falſch konnte das Griechenkind auch ſein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der Klauſe im Schwarzathal ſich erſt von heute herſchrieb, fügte ſie doch bei, ſie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schweſter Wiborad ſchon ſo viel vernommen, daß ſie die erſte Gelegenheit genutzt, bei ihr anzuſprechen.
Da ſchien es, als wollten ſich einige Runzeln auf Wiborad's Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! ſprach ſie und reckte ihren Arm zum Fenſterlein hinaus. Die Kutte ſtreifte ſich ein We- niges zurück, da war er in ſeiner ganzen fleiſchloſen Magerkeit dem Sonnenſchein ausgeſetzt.
Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme Pulsſchlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anſchlug, ward ſie langſam von der Griechin Menſchlichkeit überzeugt.
Romeias merkte die Wendung zum Beſſeren, er wälzte etliche Felsſtücke unter das Fenſter der Zelle. In zwei Stunden hol' ich Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! ſprach er. Und er- ſchreckt nicht, wenn ſie in Verzuckung kommt, flüſterte er der Griechin zu.
Hiemit pfiff Romeias ſeinen Hunden und ſchritt in's Waldesdickigt. Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann drehte er ſein ſtruppig Haupt und wandte den ganzen Menſchen um; auf den Spieß geſtemmt, ſchaute er unverrückt nach dem Platz vor der Klauſe, als hätt' er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelaſſen.
Praxedis lächelte und warf dem gröbſten aller Wächter eine Kuß- hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte ſeinen Spieß ſchultern,
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vermummt, beugte ſie ſich weit aus dem Fenſterlein, die Augen glänz-
ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief ſie.
Da trat Romeias vor und ſprach mit gemüthlichem Ausdruck:
Der böſe Feind weiß keine ſo ſchönen Lieder wie Romeias, der Kloſter-
wächter. Beruhigt Euch, Schweſter Wiborad, ich bring ein paar feine
Jungfräulein, die Herren im Kloſter laſſen ſie Euch zu annehmlicher
Unterhaltung empfohlen ſein.
Hebet Euch weg, ihr Truggeſtalten! rief die Klausnerin. Wir
kennen die Schlingen, die der Verſucher legt. Weichet, weichet!
Praxedis aber näherte ſich der Zelle und neigte ſich ſittig vor
der dürren Bewohnerin: ſie komme nicht aus der Hölle, ſondern vom
hohen Twiel herüber, ſetzte ſie ihr auseinand. Ein wenig falſch konnte
das Griechenkind auch ſein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der
Klauſe im Schwarzathal ſich erſt von heute herſchrieb, fügte ſie doch
bei, ſie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schweſter Wiborad
ſchon ſo viel vernommen, daß ſie die erſte Gelegenheit genutzt, bei ihr
anzuſprechen.
Da ſchien es, als wollten ſich einige Runzeln auf Wiborad's
Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! ſprach ſie und reckte
ihren Arm zum Fenſterlein hinaus. Die Kutte ſtreifte ſich ein We-
niges zurück, da war er in ſeiner ganzen fleiſchloſen Magerkeit dem
Sonnenſchein ausgeſetzt.
Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme
Pulsſchlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anſchlug,
ward ſie langſam von der Griechin Menſchlichkeit überzeugt.
Romeias merkte die Wendung zum Beſſeren, er wälzte etliche
Felsſtücke unter das Fenſter der Zelle. In zwei Stunden hol' ich
Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! ſprach er. Und er-
ſchreckt nicht, wenn ſie in Verzuckung kommt, flüſterte er der Griechin zu.
Hiemit pfiff Romeias ſeinen Hunden und ſchritt in's Waldesdickigt.
Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann
drehte er ſein ſtruppig Haupt und wandte den ganzen Menſchen um;
auf den Spieß geſtemmt, ſchaute er unverrückt nach dem Platz vor
der Klauſe, als hätt' er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelaſſen.
Praxedis lächelte und warf dem gröbſten aller Wächter eine Kuß-
hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte ſeinen Spieß ſchultern,
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/49>, abgerufen am 23.11.2024.
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