Mit stummem Erstaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre sie beschwichtigend dazwischen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen.
Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und kläffendes Rüdengebell; langsam kam des Romeias hohe Gestalt ge- schritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumstrunk, sondern ein stattlicher Zehnender; der Hirsch hing ihm auf dem Rücken, sechs lebende Hasen, die der Klostermaier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefestigt am Gürtel.
Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erschaute, freute sich sein Herz; kein Wörtlein sprach er, wohl aber löste er der lebenden Häslein zwei i[h]rer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken schwingend, warf er sie so sicher durch die engen Klausfenster der Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electrisch am Haupte be- rührt, mit lautem Aufschrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte sich in währender Hitze des Zwiespruchs der schwarze Habit gelöst, der Hase fuhr ihr so plötzlich zwischen Hals und Kaputze und verfing sich in der Gewandung und suchte einen Ausweg und wußte nicht wohin, daß auch sie ein jäher Schreck überfiel. Da stellten Beide die Schel- tung ein, die Fensterläden schlossen sich, ruhig ward's auf dem Hügel.50)
Wir wollen heim, sprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede- stiftung so auferbaut, daß sie länger zu bleiben gewünscht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Faust den Rückzug angetreten.
Die Hasen gelten bei Euch nicht viel, sprach sie zum Wächter, daß Ihr sie so grob in die Welt hinauswerfet.
Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geschenk eines Dankes werth.
Zu selber Zeit hob sich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die hagere Gestalt ward zur Hälfte sichtbar, ein mäßiger Feldstein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Hasen.
Man ersieht daraus, daß die Formen geselligen Verkehrs mannig- fach von den heutigen verschieden waren.
Praxedis sprach ihr Befremden aus.
Mit ſtummem Erſtaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre ſie beſchwichtigend dazwiſchen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen.
Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und kläffendes Rüdengebell; langſam kam des Romeias hohe Geſtalt ge- ſchritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumſtrunk, ſondern ein ſtattlicher Zehnender; der Hirſch hing ihm auf dem Rücken, ſechs lebende Haſen, die der Kloſtermaier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefeſtigt am Gürtel.
Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erſchaute, freute ſich ſein Herz; kein Wörtlein ſprach er, wohl aber löste er der lebenden Häslein zwei i[h]rer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken ſchwingend, warf er ſie ſo ſicher durch die engen Klausfenſter der Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electriſch am Haupte be- rührt, mit lautem Aufſchrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte ſich in währender Hitze des Zwieſpruchs der ſchwarze Habit gelöst, der Haſe fuhr ihr ſo plötzlich zwiſchen Hals und Kaputze und verfing ſich in der Gewandung und ſuchte einen Ausweg und wußte nicht wohin, daß auch ſie ein jäher Schreck überfiel. Da ſtellten Beide die Schel- tung ein, die Fenſterläden ſchloſſen ſich, ruhig ward's auf dem Hügel.50)
Wir wollen heim, ſprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede- ſtiftung ſo auferbaut, daß ſie länger zu bleiben gewünſcht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Fauſt den Rückzug angetreten.
Die Haſen gelten bei Euch nicht viel, ſprach ſie zum Wächter, daß Ihr ſie ſo grob in die Welt hinauswerfet.
Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geſchenk eines Dankes werth.
Zu ſelber Zeit hob ſich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die hagere Geſtalt ward zur Hälfte ſichtbar, ein mäßiger Feldſtein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Haſen.
Man erſieht daraus, daß die Formen geſelligen Verkehrs mannig- fach von den heutigen verſchieden waren.
Praxedis ſprach ihr Befremden aus.
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[34/0056]
Mit ſtummem Erſtaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre
ſie beſchwichtigend dazwiſchen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um
Schneidiges zu trennen.
Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und
kläffendes Rüdengebell; langſam kam des Romeias hohe Geſtalt ge-
ſchritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein
Baumſtrunk, ſondern ein ſtattlicher Zehnender; der Hirſch hing ihm
auf dem Rücken, ſechs lebende Haſen, die der Kloſtermaier von Tablatt
in Schlingen gefangen, trug er gefeſtigt am Gürtel.
Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erſchaute, freute ſich
ſein Herz; kein Wörtlein ſprach er, wohl aber löste er der lebenden
Häslein zwei ihrer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken
ſchwingend, warf er ſie ſo ſicher durch die engen Klausfenſter der
Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electriſch am Haupte be-
rührt, mit lautem Aufſchrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte
ſich in währender Hitze des Zwieſpruchs der ſchwarze Habit gelöst, der
Haſe fuhr ihr ſo plötzlich zwiſchen Hals und Kaputze und verfing ſich
in der Gewandung und ſuchte einen Ausweg und wußte nicht wohin,
daß auch ſie ein jäher Schreck überfiel. Da ſtellten Beide die Schel-
tung ein, die Fenſterläden ſchloſſen ſich, ruhig ward's auf dem Hügel.
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Wir wollen heim, ſprach Romeias zur Griechin, es will Abend
werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede-
ſtiftung ſo auferbaut, daß ſie länger zu bleiben gewünſcht hätte. Ihre
Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Fauſt den Rückzug angetreten.
Die Haſen gelten bei Euch nicht viel, ſprach ſie zum Wächter,
daß Ihr ſie ſo grob in die Welt hinauswerfet.
Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geſchenk eines Dankes
werth.
Zu ſelber Zeit hob ſich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die
hagere Geſtalt ward zur Hälfte ſichtbar, ein mäßiger Feldſtein flog
über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für
den Haſen.
Man erſieht daraus, daß die Formen geſelligen Verkehrs mannig-
fach von den heutigen verſchieden waren.
Praxedis ſprach ihr Befremden aus.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/56>, abgerufen am 23.11.2024.
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