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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Das Amt des Vorlesers68) vor dem Imbiß stund in dieser Woche
bei Ekkehard dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den
vier und vierzigsten Psalm erkoren; er trat auf und sprach einlei-
tend: "Herr öffne meine Lippen auf daß mein Mund dein Lob ver-
künde," und Alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu
seiner Lesung.

Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die
Schrift selber einen lieblichen Gesang nennet:

Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Ge-
dicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers.

Der schönste bist du von den Söhnen des Menschen, Anmuth ist
gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig.

Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und
deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit,
Milde und des Rechts.

Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien ge-
schärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des
Königs sind.

Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Scepter
ist der Scepter deines Reichs.

Du liebest das Recht und hassest das Unrecht, drum hat dich Gott
dein Gott gesalbt mit dem Oel der Freude, mehr denn alle Genossen,
Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeiner-
nen Pallästen erfreuen Saiten dich ... 69)

Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie
selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre
Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da
gab er ein Zeichen abzubrechen und der Psalm blieb unbeendet, als
sich männiglich zu Tisch setzte.

Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig
dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es
war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem
alten Decan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Muthe
als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau
Hadwig's seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel ge-
pflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen

Das Amt des Vorleſers68) vor dem Imbiß ſtund in dieſer Woche
bei Ekkehard dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den
vier und vierzigſten Pſalm erkoren; er trat auf und ſprach einlei-
tend: „Herr öffne meine Lippen auf daß mein Mund dein Lob ver-
künde,“ und Alle ſprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu
ſeiner Leſung.

Nun erhub er ſeine Stimme und begann den Pſalm, den die
Schrift ſelber einen lieblichen Geſang nennet:

Es quillet mein Herz eine ſchöne Rede, ich will reden mein Ge-
dicht dem Könige, meine Zunge ſei der Griffel des Geſchwindſchreibers.

Der ſchönſte biſt du von den Söhnen des Menſchen, Anmuth iſt
gegoſſen über deine Lippen, denn Gott hat dich geſegnet ewig.

Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und
deinen Schmuck. Und geſchmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit,
Milde und des Rechts.

Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile ſeien ge-
ſchärft, Völker ſollen unter dir ſtürzen, die im Herzen Feinde des
Königs ſind.

Dein Thron vor Gott ſteht immer und ewig, ein gerechter Scepter
iſt der Scepter deines Reichs.

Du liebeſt das Recht und haſſeſt das Unrecht, drum hat dich Gott
dein Gott geſalbt mit dem Oel der Freude, mehr denn alle Genoſſen,
Myrrhen, Aloe und Caſſia duften all deine Kleider, aus elfenbeiner-
nen Palläſten erfreuen Saiten dich ... 69)

Die Herzogin ſchien die Huldigung zu verſtehen; als wenn ſie
ſelber mit den Worten des Pſalms angeredet wäre, hefteten ſich ihre
Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da
gab er ein Zeichen abzubrechen und der Pſalm blieb unbeendet, als
ſich männiglich zu Tiſch ſetzte.

Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig
dem emſigen Vorleſer befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es
war zwar der Rangſtufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem
alten Decan Gozbert zugedacht, aber dem war's ſchon lang zu Muthe
als käm' er auf glühende Kohlen zu ſitzen, denn er hatte mit Frau
Hadwig's ſeligem Gemahl dereinſt einen gröblichen Wortwechſel ge-
pflogen, wie der dem Kloſterſchatz das unfreiwillige Kriegsanlehen

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[45/0067] Das Amt des Vorleſers ⁶⁸⁾ vor dem Imbiß ſtund in dieſer Woche bei Ekkehard dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den vier und vierzigſten Pſalm erkoren; er trat auf und ſprach einlei- tend: „Herr öffne meine Lippen auf daß mein Mund dein Lob ver- künde,“ und Alle ſprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu ſeiner Leſung. Nun erhub er ſeine Stimme und begann den Pſalm, den die Schrift ſelber einen lieblichen Geſang nennet: Es quillet mein Herz eine ſchöne Rede, ich will reden mein Ge- dicht dem Könige, meine Zunge ſei der Griffel des Geſchwindſchreibers. Der ſchönſte biſt du von den Söhnen des Menſchen, Anmuth iſt gegoſſen über deine Lippen, denn Gott hat dich geſegnet ewig. Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geſchmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts. Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile ſeien ge- ſchärft, Völker ſollen unter dir ſtürzen, die im Herzen Feinde des Königs ſind. Dein Thron vor Gott ſteht immer und ewig, ein gerechter Scepter iſt der Scepter deines Reichs. Du liebeſt das Recht und haſſeſt das Unrecht, drum hat dich Gott dein Gott geſalbt mit dem Oel der Freude, mehr denn alle Genoſſen, Myrrhen, Aloe und Caſſia duften all deine Kleider, aus elfenbeiner- nen Palläſten erfreuen Saiten dich ... ⁶⁹⁾ Die Herzogin ſchien die Huldigung zu verſtehen; als wenn ſie ſelber mit den Worten des Pſalms angeredet wäre, hefteten ſich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen und der Pſalm blieb unbeendet, als ſich männiglich zu Tiſch ſetzte. Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig dem emſigen Vorleſer befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangſtufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Decan Gozbert zugedacht, aber dem war's ſchon lang zu Muthe als käm' er auf glühende Kohlen zu ſitzen, denn er hatte mit Frau Hadwig's ſeligem Gemahl dereinſt einen gröblichen Wortwechſel ge- pflogen, wie der dem Kloſterſchatz das unfreiwillige Kriegsanlehen

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/67>, abgerufen am 27.11.2024.