haft an ihm hinauf, denn er überragte sie um eines Kopfes Länge, und sprach: Wohl bekomm's!
Rudimann that einen langen frommen vergleichenden Zug, so daß ihm der Neue auf den Lippen schmelzen mochte wie Schnee in der Märzensonne; alle miteinander werden süß und gut, sprach er, und seine Augen hoben sich gerührt, und daß sie an der Obermagd strah- lendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeister kaum Schuld, denn diese hätte sich inzwischen auch zurückziehen können.
Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anschaue, Kerhildis, so wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet wie der Klosterwein in diesem Herbst und Eure Bäcklein sind roth wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiset mit mir des Jahrgangs Güte, getreuste aller Mägde!
Und der Kellermeister schlang seinen Arm um der schwarzbraunen Ober- magd Hüfte,99) die wehrte sich dessen nicht groß -- was liegt an einem Kuß im Herbste? -- und sie wußte daß Rudimann ein Mann von reifen Sit- ten war und Alles mäßig that, wie es einem Kellermeister geziemt.
Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus seinem Schlummer. Ein eigenthümlich Geräusch, das von nichts Anderem herrühren kann als von einem wohlaufgesetzten verständigen Kuß, schlug an sein Ohr, er schaute zwischen den Fässern durch, da sah er des Kellermeisters Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu diesem Habit gehörten ... er richtete sich auf, ein ungestümer Zorn kam über ihn, denn Ekkehard war jung und eifrig und in Sanct-Gallen war strenge Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeschwebt, daß ein Mann im Ordenskleid ein Weib küssen möge.
Sein wuchtiger Haselstock ruhte ihm noch im Arm; itzt sprang er vor und schlug dem Kellermeister einen wohlgefügen Streich, der zog sich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und saß fest und gut wie ein auf Bestellung gelieferter Rock -- und bevor sich Jener der ersten Ueberraschung erholt, folgte ein zweiter und dritter von gleichem Schrot ... er ließ sein steinern Geschirr fallen, daß es am Pflaster zerschellte; Kerhildis entfloh.
Beim Krug von der Hochzeit zu Cana! rief Rudimann, was ist das? und wandte sich gegen den Angreifer. Jetzt erst schauten sich die Beiden von Angesicht zu Angesicht.
haft an ihm hinauf, denn er überragte ſie um eines Kopfes Länge, und ſprach: Wohl bekomm's!
Rudimann that einen langen frommen vergleichenden Zug, ſo daß ihm der Neue auf den Lippen ſchmelzen mochte wie Schnee in der Märzenſonne; alle miteinander werden ſüß und gut, ſprach er, und ſeine Augen hoben ſich gerührt, und daß ſie an der Obermagd ſtrah- lendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeiſter kaum Schuld, denn dieſe hätte ſich inzwiſchen auch zurückziehen können.
Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anſchaue, Kerhildis, ſo wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet wie der Kloſterwein in dieſem Herbſt und Eure Bäcklein ſind roth wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiſet mit mir des Jahrgangs Güte, getreuſte aller Mägde!
Und der Kellermeiſter ſchlang ſeinen Arm um der ſchwarzbraunen Ober- magd Hüfte,99) die wehrte ſich deſſen nicht groß — was liegt an einem Kuß im Herbſte? — und ſie wußte daß Rudimann ein Mann von reifen Sit- ten war und Alles mäßig that, wie es einem Kellermeiſter geziemt.
Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus ſeinem Schlummer. Ein eigenthümlich Geräuſch, das von nichts Anderem herrühren kann als von einem wohlaufgeſetzten verſtändigen Kuß, ſchlug an ſein Ohr, er ſchaute zwiſchen den Fäſſern durch, da ſah er des Kellermeiſters Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu dieſem Habit gehörten ... er richtete ſich auf, ein ungeſtümer Zorn kam über ihn, denn Ekkehard war jung und eifrig und in Sanct-Gallen war ſtrenge Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeſchwebt, daß ein Mann im Ordenskleid ein Weib küſſen möge.
Sein wuchtiger Haſelſtock ruhte ihm noch im Arm; itzt ſprang er vor und ſchlug dem Kellermeiſter einen wohlgefügen Streich, der zog ſich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und ſaß feſt und gut wie ein auf Beſtellung gelieferter Rock — und bevor ſich Jener der erſten Ueberraſchung erholt, folgte ein zweiter und dritter von gleichem Schrot ... er ließ ſein ſteinern Geſchirr fallen, daß es am Pflaſter zerſchellte; Kerhildis entfloh.
Beim Krug von der Hochzeit zu Cana! rief Rudimann, was iſt das? und wandte ſich gegen den Angreifer. Jetzt erſt ſchauten ſich die Beiden von Angeſicht zu Angeſicht.
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Rudimann that einen langen frommen vergleichenden Zug, ſo daß
ihm der Neue auf den Lippen ſchmelzen mochte wie Schnee in der
Märzenſonne; alle miteinander werden ſüß und gut, ſprach er, und
ſeine Augen hoben ſich gerührt, und daß ſie an der Obermagd ſtrah-
lendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeiſter kaum
Schuld, denn dieſe hätte ſich inzwiſchen auch zurückziehen können.
Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anſchaue,
Kerhildis, ſo wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet
wie der Kloſterwein in dieſem Herbſt und Eure Bäcklein ſind roth
wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiſet mit mir des
Jahrgangs Güte, getreuſte aller Mägde!
Und der Kellermeiſter ſchlang ſeinen Arm um der ſchwarzbraunen Ober-
magd Hüfte,
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die wehrte ſich deſſen nicht groß — was liegt an einem Kuß
im Herbſte? — und ſie wußte daß Rudimann ein Mann von reifen Sit-
ten war und Alles mäßig that, wie es einem Kellermeiſter geziemt.
Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus ſeinem Schlummer.
Ein eigenthümlich Geräuſch, das von nichts Anderem herrühren kann
als von einem wohlaufgeſetzten verſtändigen Kuß, ſchlug an ſein Ohr,
er ſchaute zwiſchen den Fäſſern durch, da ſah er des Kellermeiſters
Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu dieſem Habit
gehörten ... er richtete ſich auf, ein ungeſtümer Zorn kam über ihn,
denn Ekkehard war jung und eifrig und in Sanct-Gallen war ſtrenge
Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeſchwebt, daß ein
Mann im Ordenskleid ein Weib küſſen möge.
Sein wuchtiger Haſelſtock ruhte ihm noch im Arm; itzt ſprang er
vor und ſchlug dem Kellermeiſter einen wohlgefügen Streich, der zog
ſich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und ſaß feſt und
gut wie ein auf Beſtellung gelieferter Rock — und bevor ſich Jener
der erſten Ueberraſchung erholt, folgte ein zweiter und dritter von
gleichem Schrot ... er ließ ſein ſteinern Geſchirr fallen, daß es am
Pflaſter zerſchellte; Kerhildis entfloh.
Beim Krug von der Hochzeit zu Cana! rief Rudimann, was iſt
das? und wandte ſich gegen den Angreifer. Jetzt erſt ſchauten ſich
die Beiden von Angeſicht zu Angeſicht.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/86>, abgerufen am 23.11.2024.
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