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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Wer die Gedanken so fein auszuspinneu
und abzuhaspeln versteht, wie der geheime
Rath Herr Jacobi, wird sich alles selbst deut-
lich erklären und nun nicht weiter Wider-
sprüche zwischen Hippels Schriften und den
Aeußerungen seiner Freunde über ihn finden.
Kein Autor ist, glaub ich, klüger wie sein
Buch, aber oft viel besser oder schlechter.
Ganz unerklärlich bleibt mir aber der Um-
stand, warum Hippel in seiner vielwöchent-
lichen Krankheit, von der er zu genesen nicht
hoffen konnte, nicht die Papiere vernichtet,
die wider seine Lebenswerke zeugten, und
deren Durchsicht von vielen Augen zu er-
warten war? Sollte seine excentrische Theo-
rie über Wahrheit ihn dazu bewogen haben,
damit ihr wenigstens nach seinem Tode das
Recht wiederführe, daß er ihr im Leben zu
lassen nicht Kraft genug gehabt hatte? Eine
vernünftigere und edlere Ursache dieser Un-
terlassung und Hingebung weiß ich mir nicht
zu denken, und bin daher aus fortdauren-
der Anhänglichkeit an diesen merkwürdigen
Todten geneigt, sie für wahr zu halten. Ein
recht böser Mensch hätte alles irgend Ver-
dächtige bey Seite geschafft, um seinen Ruhm-
nimbus nicht bleicher werden zu lassen. Daß

Wer die Gedanken ſo fein auszuſpinneu
und abzuhaſpeln verſteht, wie der geheime
Rath Herr Jacobi, wird ſich alles ſelbſt deut-
lich erklaͤren und nun nicht weiter Wider-
ſpruͤche zwiſchen Hippels Schriften und den
Aeußerungen ſeiner Freunde uͤber ihn finden.
Kein Autor iſt, glaub ich, kluͤger wie ſein
Buch, aber oft viel beſſer oder ſchlechter.
Ganz unerklaͤrlich bleibt mir aber der Um-
ſtand, warum Hippel in ſeiner vielwoͤchent-
lichen Krankheit, von der er zu geneſen nicht
hoffen konnte, nicht die Papiere vernichtet,
die wider ſeine Lebenswerke zeugten, und
deren Durchſicht von vielen Augen zu er-
warten war? Sollte ſeine excentriſche Theo-
rie uͤber Wahrheit ihn dazu bewogen haben,
damit ihr wenigſtens nach ſeinem Tode das
Recht wiederfuͤhre, daß er ihr im Leben zu
laſſen nicht Kraft genug gehabt hatte? Eine
vernuͤnftigere und edlere Urſache dieſer Un-
terlaſſung und Hingebung weiß ich mir nicht
zu denken, und bin daher aus fortdauren-
der Anhaͤnglichkeit an dieſen merkwuͤrdigen
Todten geneigt, ſie fuͤr wahr zu halten. Ein
recht boͤſer Menſch haͤtte alles irgend Ver-
daͤchtige bey Seite geſchafft, um ſeinen Ruhm-
nimbus nicht bleicher werden zu laſſen. Daß

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[132/0149] Wer die Gedanken ſo fein auszuſpinneu und abzuhaſpeln verſteht, wie der geheime Rath Herr Jacobi, wird ſich alles ſelbſt deut- lich erklaͤren und nun nicht weiter Wider- ſpruͤche zwiſchen Hippels Schriften und den Aeußerungen ſeiner Freunde uͤber ihn finden. Kein Autor iſt, glaub ich, kluͤger wie ſein Buch, aber oft viel beſſer oder ſchlechter. Ganz unerklaͤrlich bleibt mir aber der Um- ſtand, warum Hippel in ſeiner vielwoͤchent- lichen Krankheit, von der er zu geneſen nicht hoffen konnte, nicht die Papiere vernichtet, die wider ſeine Lebenswerke zeugten, und deren Durchſicht von vielen Augen zu er- warten war? Sollte ſeine excentriſche Theo- rie uͤber Wahrheit ihn dazu bewogen haben, damit ihr wenigſtens nach ſeinem Tode das Recht wiederfuͤhre, daß er ihr im Leben zu laſſen nicht Kraft genug gehabt hatte? Eine vernuͤnftigere und edlere Urſache dieſer Un- terlaſſung und Hingebung weiß ich mir nicht zu denken, und bin daher aus fortdauren- der Anhaͤnglichkeit an dieſen merkwuͤrdigen Todten geneigt, ſie fuͤr wahr zu halten. Ein recht boͤſer Menſch haͤtte alles irgend Ver- daͤchtige bey Seite geſchafft, um ſeinen Ruhm- nimbus nicht bleicher werden zu laſſen. Daß

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/149>, abgerufen am 19.05.2024.