Bild und Ueberschrift ganz anders lauteten. Die Toleranz, die er gegen seinen eignen Verstand übte, verleitete ihn, so wie den ersten Kirchenvater St. Paul, vieles zu thun, was er eben nicht thun wollte. Seine früh- ste Leidenschaft war der Ehrgeiz, dem die Ueberzeugung vom Werth und von der Kraft seines Kopfes reichliche Nahrung gab: als ihn aber die Erfahrung belehrt, wie sehr der Reichthum dem Ehrgeiz die Befriedigungs- mittel erleichtert, so wurd' er auch geldgei- zig, und weil er über die Sittlichkeit des letztern mit seinem eignen Gewissen nicht recht fertig werden konnte, so suchte er seine Erwerbsucht fast noch mehr zu verheimlichen als seinen Hang zum Genuß körperlicher Wollust. Keine Leidenschaft mag aber die Vergütung des durch sie aktive oder passive angerichteten Schadens aus sich selbst her- nehmen und sich etwas entziehen, sondern greist lieber zu einem außer ihrem eignen Gebiet liegenden Befriedigungsmittel, und so griff denn auch Hippel zur Religiosität und stürzte sich in eine Andachtsbrandung, die der Leser um das Eyland seiner Schrif- ten schäumen sieht."
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Bild und Ueberſchrift ganz anders lauteten. Die Toleranz, die er gegen ſeinen eignen Verſtand uͤbte, verleitete ihn, ſo wie den erſten Kirchenvater St. Paul, vieles zu thun, was er eben nicht thun wollte. Seine fruͤh- ſte Leidenſchaft war der Ehrgeiz, dem die Ueberzeugung vom Werth und von der Kraft ſeines Kopfes reichliche Nahrung gab: als ihn aber die Erfahrung belehrt, wie ſehr der Reichthum dem Ehrgeiz die Befriedigungs- mittel erleichtert, ſo wurd’ er auch geldgei- zig, und weil er uͤber die Sittlichkeit des letztern mit ſeinem eignen Gewiſſen nicht recht fertig werden konnte, ſo ſuchte er ſeine Erwerbſucht faſt noch mehr zu verheimlichen als ſeinen Hang zum Genuß koͤrperlicher Wolluſt. Keine Leidenſchaft mag aber die Verguͤtung des durch ſie aktive oder paſſive angerichteten Schadens aus ſich ſelbſt her- nehmen und ſich etwas entziehen, ſondern greiſt lieber zu einem außer ihrem eignen Gebiet liegenden Befriedigungsmittel, und ſo griff denn auch Hippel zur Religioſitaͤt und ſtuͤrzte ſich in eine Andachtsbrandung, die der Leſer um das Eyland ſeiner Schrif- ten ſchaͤumen ſieht.“
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Bild und Ueberſchrift ganz anders lauteten.
Die Toleranz, die er gegen ſeinen eignen
Verſtand uͤbte, verleitete ihn, ſo wie den
erſten Kirchenvater St. Paul, vieles zu thun,
was er eben nicht thun wollte. Seine fruͤh-
ſte Leidenſchaft war der Ehrgeiz, dem die
Ueberzeugung vom Werth und von der Kraft
ſeines Kopfes reichliche Nahrung gab: als
ihn aber die Erfahrung belehrt, wie ſehr der
Reichthum dem Ehrgeiz die Befriedigungs-
mittel erleichtert, ſo wurd’ er auch geldgei-
zig, und weil er uͤber die Sittlichkeit des
letztern mit ſeinem eignen Gewiſſen nicht
recht fertig werden konnte, ſo ſuchte er ſeine
Erwerbſucht faſt noch mehr zu verheimlichen
als ſeinen Hang zum Genuß koͤrperlicher
Wolluſt. Keine Leidenſchaft mag aber die
Verguͤtung des durch ſie aktive oder paſſive
angerichteten Schadens aus ſich ſelbſt her-
nehmen und ſich etwas entziehen, ſondern
greiſt lieber zu einem außer ihrem eignen
Gebiet liegenden Befriedigungsmittel, und
ſo griff denn auch Hippel zur Religioſitaͤt
und ſtuͤrzte ſich in eine Andachtsbrandung,
die der Leſer um das Eyland ſeiner Schrif-
ten ſchaͤumen ſieht.“
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/148>, abgerufen am 23.11.2024.
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