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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Von Zeit zu Zeit nahmen gute Freunde
mich mit bey ihren Ausflüchten in die um-
liegenden Gegenden, unter andern einmal
nach dem 6 Meilen entfernten forellenrei-
chen Städtchen Neustadt, dessen roman-
tische Natur noch dadurch gehoben war, daß
ein aus dem gelobten Lande zurückgepilger-
ter Herr von Weiher zum Andenken seiner
überflüßigen Wanderschaft alle bey Jerusa-
lem befindlichen Andachtsstationen nach dort
genommenen Maaßen in Capellen, Brücken,
Cruzifixen und Gemälden hatte nachmachen
lassen, und zu welcher Copie häufige Wall-
fahrten von Menschen und Heiligenbildern
andrer Oerter unternommen wurden, deren
Prozessionen sich gut ausnahmen und durch
den Klang ihrer Gesänge in verschiedenen
Thälern ganz eigne Empfindungen, auch in
protestantischen Gemüthern, zu erregen ver-
mochten. Einmal traf ich beym Besuch des
Calvarienberges einen gemeinen Pohlen vor
dem Kreuz knieend, von dem mein sprach-
kundiger Begleiter mich versicherte, daß er
nach keinem Formular, sondern rein aus dem
Herzen betete. Die mit Andachtsentzückung
und bereuender Zerknirschung gepaarte bren-
nende Sehnsucht nach himmlischer Gnade,

Von Zeit zu Zeit nahmen gute Freunde
mich mit bey ihren Ausfluͤchten in die um-
liegenden Gegenden, unter andern einmal
nach dem 6 Meilen entfernten forellenrei-
chen Staͤdtchen Neuſtadt, deſſen roman-
tiſche Natur noch dadurch gehoben war, daß
ein aus dem gelobten Lande zuruͤckgepilger-
ter Herr von Weiher zum Andenken ſeiner
uͤberfluͤßigen Wanderſchaft alle bey Jeruſa-
lem befindlichen Andachtsſtationen nach dort
genommenen Maaßen in Capellen, Bruͤcken,
Cruzifixen und Gemaͤlden hatte nachmachen
laſſen, und zu welcher Copie haͤufige Wall-
fahrten von Menſchen und Heiligenbildern
andrer Oerter unternommen wurden, deren
Prozeſſionen ſich gut ausnahmen und durch
den Klang ihrer Geſaͤnge in verſchiedenen
Thaͤlern ganz eigne Empfindungen, auch in
proteſtantiſchen Gemuͤthern, zu erregen ver-
mochten. Einmal traf ich beym Beſuch des
Calvarienberges einen gemeinen Pohlen vor
dem Kreuz knieend, von dem mein ſprach-
kundiger Begleiter mich verſicherte, daß er
nach keinem Formular, ſondern rein aus dem
Herzen betete. Die mit Andachtsentzuͤckung
und bereuender Zerknirſchung gepaarte bren-
nende Sehnſucht nach himmliſcher Gnade,

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[170/0187] Von Zeit zu Zeit nahmen gute Freunde mich mit bey ihren Ausfluͤchten in die um- liegenden Gegenden, unter andern einmal nach dem 6 Meilen entfernten forellenrei- chen Staͤdtchen Neuſtadt, deſſen roman- tiſche Natur noch dadurch gehoben war, daß ein aus dem gelobten Lande zuruͤckgepilger- ter Herr von Weiher zum Andenken ſeiner uͤberfluͤßigen Wanderſchaft alle bey Jeruſa- lem befindlichen Andachtsſtationen nach dort genommenen Maaßen in Capellen, Bruͤcken, Cruzifixen und Gemaͤlden hatte nachmachen laſſen, und zu welcher Copie haͤufige Wall- fahrten von Menſchen und Heiligenbildern andrer Oerter unternommen wurden, deren Prozeſſionen ſich gut ausnahmen und durch den Klang ihrer Geſaͤnge in verſchiedenen Thaͤlern ganz eigne Empfindungen, auch in proteſtantiſchen Gemuͤthern, zu erregen ver- mochten. Einmal traf ich beym Beſuch des Calvarienberges einen gemeinen Pohlen vor dem Kreuz knieend, von dem mein ſprach- kundiger Begleiter mich verſicherte, daß er nach keinem Formular, ſondern rein aus dem Herzen betete. Die mit Andachtsentzuͤckung und bereuender Zerknirſchung gepaarte bren- nende Sehnſucht nach himmliſcher Gnade,

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/187>, abgerufen am 27.11.2024.