Während meines dortigen Aufenthalts sucht ich auch meine geschwächte Gesundheit durch fleißiges Baden in der See wieder herzustellen, und in keinem Zeitpunkt mei- nes Lebens hat es in meiner Seele ange- nehmer gewogt, ohne die mindeste Störung des innern Friedens, als wenn ich früh Mor- gens ganz allein in der See saß, ihre schäu- menden Wellen über mich wegschlagen ließ, oder am Meergestade nach dem Bade her- umwandelte. Der Anblick hoher Berge hat etwas Majestätisches, aber das beschwerliche Hinaufsehen und die mancherley Gebirgs- einschnitte wirken ganz anders auf die Seele, als ein wellenschlagendes oder spiegelglattes Meer, das seine Färbung von der Wolken- farbe annimmt. Die Meerschau veranlaßt eine Art von Zerfließen, die Bergschan ein Zusammenziehen, das eher Furcht vor dem Herabstürzen, als jene Furcht vor dem Er- trinken hervorbringt. Die Seebäder heilten mich von den Krämpfen, die mich manchmal vom fröhlichsten Gesellschaftsgenuß in die Nachbarschaft des Grabes gebracht hatten. Vielleicht ist die Dankbarkeit für den Nutzen, den mir diese Bäder brachten, der Grund meiner Vorliebe für die See und des Glau-
Waͤhrend meines dortigen Aufenthalts ſucht ich auch meine geſchwaͤchte Geſundheit durch fleißiges Baden in der See wieder herzuſtellen, und in keinem Zeitpunkt mei- nes Lebens hat es in meiner Seele ange- nehmer gewogt, ohne die mindeſte Stoͤrung des innern Friedens, als wenn ich fruͤh Mor- gens ganz allein in der See ſaß, ihre ſchaͤu- menden Wellen uͤber mich wegſchlagen ließ, oder am Meergeſtade nach dem Bade her- umwandelte. Der Anblick hoher Berge hat etwas Majeſtaͤtiſches, aber das beſchwerliche Hinaufſehen und die mancherley Gebirgs- einſchnitte wirken ganz anders auf die Seele, als ein wellenſchlagendes oder ſpiegelglattes Meer, das ſeine Faͤrbung von der Wolken- farbe annimmt. Die Meerſchau veranlaßt eine Art von Zerfließen, die Bergſchan ein Zuſammenziehen, das eher Furcht vor dem Herabſtuͤrzen, als jene Furcht vor dem Er- trinken hervorbringt. Die Seebaͤder heilten mich von den Kraͤmpfen, die mich manchmal vom froͤhlichſten Geſellſchaftsgenuß in die Nachbarſchaft des Grabes gebracht hatten. Vielleicht iſt die Dankbarkeit fuͤr den Nutzen, den mir dieſe Baͤder brachten, der Grund meiner Vorliebe fuͤr die See und des Glau-
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Waͤhrend meines dortigen Aufenthalts
ſucht ich auch meine geſchwaͤchte Geſundheit
durch fleißiges Baden in der See wieder
herzuſtellen, und in keinem Zeitpunkt mei-
nes Lebens hat es in meiner Seele ange-
nehmer gewogt, ohne die mindeſte Stoͤrung
des innern Friedens, als wenn ich fruͤh Mor-
gens ganz allein in der See ſaß, ihre ſchaͤu-
menden Wellen uͤber mich wegſchlagen ließ,
oder am Meergeſtade nach dem Bade her-
umwandelte. Der Anblick hoher Berge hat
etwas Majeſtaͤtiſches, aber das beſchwerliche
Hinaufſehen und die mancherley Gebirgs-
einſchnitte wirken ganz anders auf die Seele,
als ein wellenſchlagendes oder ſpiegelglattes
Meer, das ſeine Faͤrbung von der Wolken-
farbe annimmt. Die Meerſchau veranlaßt
eine Art von Zerfließen, die Bergſchan ein
Zuſammenziehen, das eher Furcht vor dem
Herabſtuͤrzen, als jene Furcht vor dem Er-
trinken hervorbringt. Die Seebaͤder heilten
mich von den Kraͤmpfen, die mich manchmal
vom froͤhlichſten Geſellſchaftsgenuß in die
Nachbarſchaft des Grabes gebracht hatten.
Vielleicht iſt die Dankbarkeit fuͤr den Nutzen,
den mir dieſe Baͤder brachten, der Grund
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/192>, abgerufen am 27.11.2024.
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