ches sie aber nicht hinderte, eine für Reli- giosität, Kunst und Wissenschaft ernstlich lebende, und deshalb sehr ehr- und liebens- werthe Frau zu seyn, die, wenn ihre Ehe ihren Gesinnungen besser zugesprochen hätte, und ein sehr lieber Bruder nicht in einer Zeitperiode gestorben wäre, während welcher man ihre empfindliche Seele in eine ihr nicht ganz natürliche Situation geschroben hätte, auch eine gesundere, herrliche, glück- liche Hausfrau geworden seyn würde.
Die Beweise ihres fortwährenden freund- schaftlichen Andenkens, die ich noch 1809
Körper, in welchem das Leben untergraben ist, die lebendigste Anstrengung abtrotzen muß. Wie hab ich Schillern leiden gesehen, und wenn sein Auge von den physischen Schmerzen wie er- loschen war, brauchte nur irgend eine große Em- pfindung, ein tiefer Gedanke in ihm aufzukom- mem, so trat plötzlich ein scharfes Licht in das sanfte Blau seines Blickes, er hob die eingefallne Brust, das Haupt eine milde Röthe stieg von den gefurchten Wangen in die sinnige Tiefe der Schläfe, und seine gewölbte Stirn ward strah- lend. Diese Stirn konnt' ich nie genug betrach- ten, denn in ihrer untern Hälfte schien mir viel Phantasie zu seyn, und in der obern drängte sich darüber herrschend die Denkkraft hervor.
ches ſie aber nicht hinderte, eine fuͤr Reli- gioſitaͤt, Kunſt und Wiſſenſchaft ernſtlich lebende, und deshalb ſehr ehr- und liebens- werthe Frau zu ſeyn, die, wenn ihre Ehe ihren Geſinnungen beſſer zugeſprochen haͤtte, und ein ſehr lieber Bruder nicht in einer Zeitperiode geſtorben waͤre, waͤhrend welcher man ihre empfindliche Seele in eine ihr nicht ganz natuͤrliche Situation geſchroben haͤtte, auch eine geſundere, herrliche, gluͤck- liche Hausfrau geworden ſeyn wuͤrde.
Die Beweiſe ihres fortwaͤhrenden freund- ſchaftlichen Andenkens, die ich noch 1809
Koͤrper, in welchem das Leben untergraben iſt, die lebendigſte Anſtrengung abtrotzen muß. Wie hab ich Schillern leiden geſehen, und wenn ſein Auge von den phyſiſchen Schmerzen wie er- loſchen war, brauchte nur irgend eine große Em- pfindung, ein tiefer Gedanke in ihm aufzukom- mem, ſo trat ploͤtzlich ein ſcharfes Licht in das ſanfte Blau ſeines Blickes, er hob die eingefallne Bruſt, das Haupt eine milde Roͤthe ſtieg von den gefurchten Wangen in die ſinnige Tiefe der Schlaͤfe, und ſeine gewoͤlbte Stirn ward ſtrah- lend. Dieſe Stirn konnt’ ich nie genug betrach- ten, denn in ihrer untern Haͤlfte ſchien mir viel Phantaſie zu ſeyn, und in der obern draͤngte ſich daruͤber herrſchend die Denkkraft hervor.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="221"/>
ches ſie aber nicht hinderte, eine fuͤr Reli-<lb/>
gioſitaͤt, Kunſt und Wiſſenſchaft ernſtlich<lb/>
lebende, und deshalb ſehr ehr- und liebens-<lb/>
werthe Frau zu ſeyn, die, wenn ihre Ehe<lb/>
ihren Geſinnungen beſſer zugeſprochen haͤtte,<lb/>
und ein ſehr lieber Bruder nicht in einer<lb/>
Zeitperiode geſtorben waͤre, waͤhrend welcher<lb/>
man ihre empfindliche Seele in eine ihr<lb/>
nicht ganz natuͤrliche Situation geſchroben<lb/>
haͤtte, auch eine geſundere, herrliche, gluͤck-<lb/>
liche Hausfrau geworden ſeyn wuͤrde.</p><lb/><p>Die Beweiſe ihres fortwaͤhrenden freund-<lb/>ſchaftlichen Andenkens, die ich noch 1809<lb/><notexml:id="seg2pn_18_5"prev="#seg2pn_18_4"place="foot"n="*)">Koͤrper, in welchem das Leben untergraben iſt,<lb/>
die lebendigſte Anſtrengung abtrotzen muß. Wie<lb/>
hab ich <hirendition="#g">Schillern</hi> leiden geſehen, und wenn<lb/>ſein Auge von den phyſiſchen Schmerzen wie er-<lb/>
loſchen war, brauchte nur irgend eine große Em-<lb/>
pfindung, ein tiefer Gedanke in ihm aufzukom-<lb/>
mem, ſo trat ploͤtzlich ein ſcharfes Licht in das<lb/>ſanfte Blau ſeines Blickes, er hob die eingefallne<lb/>
Bruſt, das Haupt eine milde Roͤthe ſtieg von<lb/>
den gefurchten Wangen in die ſinnige Tiefe der<lb/>
Schlaͤfe, und ſeine gewoͤlbte Stirn ward ſtrah-<lb/>
lend. Dieſe Stirn konnt’ ich nie genug betrach-<lb/>
ten, denn in ihrer untern Haͤlfte ſchien mir viel<lb/>
Phantaſie zu ſeyn, und in der obern draͤngte ſich<lb/>
daruͤber herrſchend die Denkkraft hervor.</note><lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0238]
ches ſie aber nicht hinderte, eine fuͤr Reli-
gioſitaͤt, Kunſt und Wiſſenſchaft ernſtlich
lebende, und deshalb ſehr ehr- und liebens-
werthe Frau zu ſeyn, die, wenn ihre Ehe
ihren Geſinnungen beſſer zugeſprochen haͤtte,
und ein ſehr lieber Bruder nicht in einer
Zeitperiode geſtorben waͤre, waͤhrend welcher
man ihre empfindliche Seele in eine ihr
nicht ganz natuͤrliche Situation geſchroben
haͤtte, auch eine geſundere, herrliche, gluͤck-
liche Hausfrau geworden ſeyn wuͤrde.
Die Beweiſe ihres fortwaͤhrenden freund-
ſchaftlichen Andenkens, die ich noch 1809
*)
*) Koͤrper, in welchem das Leben untergraben iſt,
die lebendigſte Anſtrengung abtrotzen muß. Wie
hab ich Schillern leiden geſehen, und wenn
ſein Auge von den phyſiſchen Schmerzen wie er-
loſchen war, brauchte nur irgend eine große Em-
pfindung, ein tiefer Gedanke in ihm aufzukom-
mem, ſo trat ploͤtzlich ein ſcharfes Licht in das
ſanfte Blau ſeines Blickes, er hob die eingefallne
Bruſt, das Haupt eine milde Roͤthe ſtieg von
den gefurchten Wangen in die ſinnige Tiefe der
Schlaͤfe, und ſeine gewoͤlbte Stirn ward ſtrah-
lend. Dieſe Stirn konnt’ ich nie genug betrach-
ten, denn in ihrer untern Haͤlfte ſchien mir viel
Phantaſie zu ſeyn, und in der obern draͤngte ſich
daruͤber herrſchend die Denkkraft hervor.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/238>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.