Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.schritten war, daher ich denn auch auf ih- ser Natur ihn erst ganz gefaßt; unsre philosophi-
sche Freundin sagte: die erhabne Sentimentali- tät Schillers lehrt uns die antike Frische -- in dieser geschraubten Bemerkung ist viel Wahr- heit. Schiller ist eigentlich ein Denker, und Göthe ein Dichter. Jn jenem war, über wie tiefe Sachen sich das Gespräch verbreitete, immer alles fertig, und ich habe nie bemerkt, daß er mit sei- nen Gedanken in irgend eine Verlegenheit kam, und in meinem Lieblinge wurde alles, man schuf mit ihm, wenn jener nur gab. Die Freundschaft beyder Männer war sehr schön und hatte einen großen Charakter. Keiner ordnete sich dem an- dern unter, und wenn Schiller wohl fühlte, daß die bildende Kraft in seinem Freunde unend- lich größer wie in ihm sey, wenn er im eigent- lichsten Sinn glaubte an die dämonische Gewalt desselben, so trat Göthe mit Ehrfurcht in das Gebiet der hohen Jdeen, worin Schiller seine Heimath hatte. -- -- Ueberhaupt ist der zarten Schonung, der Gutmüthigkeit in Göthe weit mehr, als die Menschen glauben, und ich meyne, daß in seinem Charakter weniger Härte sey, als in Schillers. Doch ist es freylich leichter, keine Härte an sich hervortreten zu lassen, wenn man in Lebensfülle, reicher Wohlbehaglichkeit und rü- stiger Gesundheit blüht, als doch im Ganzen von Göthe gilt, als wenn ein starker Geist seinem ſchritten war, daher ich denn auch auf ih- ſer Natur ihn erſt ganz gefaßt; unſre philoſophi-
ſche Freundin ſagte: die erhabne Sentimentali- taͤt Schillers lehrt uns die antike Friſche — in dieſer geſchraubten Bemerkung iſt viel Wahr- heit. Schiller iſt eigentlich ein Denker, und Goͤthe ein Dichter. Jn jenem war, uͤber wie tiefe Sachen ſich das Geſpraͤch verbreitete, immer alles fertig, und ich habe nie bemerkt, daß er mit ſei- nen Gedanken in irgend eine Verlegenheit kam, und in meinem Lieblinge wurde alles, man ſchuf mit ihm, wenn jener nur gab. Die Freundſchaft beyder Maͤnner war ſehr ſchoͤn und hatte einen großen Charakter. Keiner ordnete ſich dem an- dern unter, und wenn Schiller wohl fuͤhlte, daß die bildende Kraft in ſeinem Freunde unend- lich groͤßer wie in ihm ſey, wenn er im eigent- lichſten Sinn glaubte an die daͤmoniſche Gewalt deſſelben, ſo trat Goͤthe mit Ehrfurcht in das Gebiet der hohen Jdeen, worin Schiller ſeine Heimath hatte. — — Ueberhaupt iſt der zarten Schonung, der Gutmuͤthigkeit in Goͤthe weit mehr, als die Menſchen glauben, und ich meyne, daß in ſeinem Charakter weniger Haͤrte ſey, als in Schillers. Doch iſt es freylich leichter, keine Haͤrte an ſich hervortreten zu laſſen, wenn man in Lebensfuͤlle, reicher Wohlbehaglichkeit und ruͤ- ſtiger Geſundheit bluͤht, als doch im Ganzen von Goͤthe gilt, als wenn ein ſtarker Geiſt ſeinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0237" n="220"/> ſchritten war, daher ich denn auch auf ih-<lb/> ren ſpaͤtern Reiſen durch Koͤnigsberg immer<lb/> noch manches Hochgeſpannte bemerkte, wel-<lb/><note next="#seg2pn_18_5" xml:id="seg2pn_18_4" prev="#seg2pn_18_3" place="foot" n="*)">ſer Natur ihn erſt ganz gefaßt; unſre philoſophi-<lb/> ſche Freundin ſagte: die erhabne Sentimentali-<lb/> taͤt <hi rendition="#g">Schillers</hi> lehrt uns die antike Friſche —<lb/> in dieſer geſchraubten Bemerkung iſt viel Wahr-<lb/> heit. <hi rendition="#g">Schiller</hi> iſt eigentlich ein Denker, und<lb/><hi rendition="#g">Goͤthe</hi> ein Dichter. Jn jenem war, uͤber wie<lb/> tiefe Sachen ſich das Geſpraͤch verbreitete, immer<lb/> alles fertig, und ich habe nie bemerkt, daß er mit ſei-<lb/> nen Gedanken in irgend eine Verlegenheit kam,<lb/> und in meinem Lieblinge wurde alles, man ſchuf<lb/> mit ihm, wenn jener nur gab. Die Freundſchaft<lb/> beyder Maͤnner war ſehr ſchoͤn und hatte einen<lb/> großen Charakter. Keiner ordnete ſich dem an-<lb/> dern unter, und wenn <hi rendition="#g">Schiller</hi> wohl fuͤhlte,<lb/> daß die bildende Kraft in ſeinem Freunde unend-<lb/> lich groͤßer wie in ihm ſey, wenn er im eigent-<lb/> lichſten Sinn glaubte an die daͤmoniſche Gewalt<lb/> deſſelben, ſo trat Goͤthe mit Ehrfurcht in das<lb/> Gebiet der hohen Jdeen, worin Schiller ſeine<lb/> Heimath hatte. — — Ueberhaupt iſt der zarten<lb/> Schonung, der Gutmuͤthigkeit in <hi rendition="#g">Goͤthe</hi> weit<lb/> mehr, als die Menſchen glauben, und ich meyne,<lb/> daß in ſeinem Charakter weniger Haͤrte ſey, als<lb/> in <hi rendition="#g">Schillers</hi>. Doch iſt es freylich leichter, keine<lb/> Haͤrte an ſich hervortreten zu laſſen, wenn man<lb/> in Lebensfuͤlle, reicher Wohlbehaglichkeit und ruͤ-<lb/> ſtiger Geſundheit bluͤht, als doch im Ganzen von<lb/><hi rendition="#g">Goͤthe</hi> gilt, als wenn ein ſtarker Geiſt ſeinem</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0237]
ſchritten war, daher ich denn auch auf ih-
ren ſpaͤtern Reiſen durch Koͤnigsberg immer
noch manches Hochgeſpannte bemerkte, wel-
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*) ſer Natur ihn erſt ganz gefaßt; unſre philoſophi-
ſche Freundin ſagte: die erhabne Sentimentali-
taͤt Schillers lehrt uns die antike Friſche —
in dieſer geſchraubten Bemerkung iſt viel Wahr-
heit. Schiller iſt eigentlich ein Denker, und
Goͤthe ein Dichter. Jn jenem war, uͤber wie
tiefe Sachen ſich das Geſpraͤch verbreitete, immer
alles fertig, und ich habe nie bemerkt, daß er mit ſei-
nen Gedanken in irgend eine Verlegenheit kam,
und in meinem Lieblinge wurde alles, man ſchuf
mit ihm, wenn jener nur gab. Die Freundſchaft
beyder Maͤnner war ſehr ſchoͤn und hatte einen
großen Charakter. Keiner ordnete ſich dem an-
dern unter, und wenn Schiller wohl fuͤhlte,
daß die bildende Kraft in ſeinem Freunde unend-
lich groͤßer wie in ihm ſey, wenn er im eigent-
lichſten Sinn glaubte an die daͤmoniſche Gewalt
deſſelben, ſo trat Goͤthe mit Ehrfurcht in das
Gebiet der hohen Jdeen, worin Schiller ſeine
Heimath hatte. — — Ueberhaupt iſt der zarten
Schonung, der Gutmuͤthigkeit in Goͤthe weit
mehr, als die Menſchen glauben, und ich meyne,
daß in ſeinem Charakter weniger Haͤrte ſey, als
in Schillers. Doch iſt es freylich leichter, keine
Haͤrte an ſich hervortreten zu laſſen, wenn man
in Lebensfuͤlle, reicher Wohlbehaglichkeit und ruͤ-
ſtiger Geſundheit bluͤht, als doch im Ganzen von
Goͤthe gilt, als wenn ein ſtarker Geiſt ſeinem
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