Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.Abendgesellschaften besucht' ich nicht und nach Verlassung des Kriegsdienstes in Begleitung
seiner pyladischgesinnten klugen Schwester in Frank- reich und Jtalien gewesen und von seinem Gön- ner, dem Minister von Hardenberg, zur Ausbil- dung im Finanzfach nach Königsberg geschickt war, oft in meinem Hause. Da in seinem Aeu- ßern etwas Finsteres und Sonderbares vorherrschte, so gab ein Fehler am Sprachorgan seinem Eifer in geistreichen Unterhaltungen einen Anschein von eigensinniger Härte, die seinem Charakter wohl nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe ent- steigender Taucher sich wenigstens in den ersten Augenblicken nicht auf alles Große und Schöne besinnt, was er in der Wasserwelt gesehen, und es nicht zu erzählen vermag, so schien es biswei- len bey Heinrich von Kleist der Fall zu seyn. Tiefsinn und Begeisterung, sich allein überlassen, bringen ihre Entwürfe oft nicht zur Vollendung. Dieses beweisen die vielen hochgenialen Stellen in den Kleistischen Schriften und aus seiner zu sorg- losen Hingebung an jene treffliche Eigenschaft läßt sich vielleicht die wunderlich tragischromantische Lebensbeendigung erklären, zu der sich dieser junge edle Mann, der ein Meisterschriftsteller Deutsch- lands hätte werden können, entschloß. Abendgeſellſchaften beſucht’ ich nicht und nach Verlaſſung des Kriegsdienſtes in Begleitung
ſeiner pyladiſchgeſinnten klugen Schweſter in Frank- reich und Jtalien geweſen und von ſeinem Goͤn- ner, dem Miniſter von Hardenberg, zur Ausbil- dung im Finanzfach nach Koͤnigsberg geſchickt war, oft in meinem Hauſe. Da in ſeinem Aeu- ßern etwas Finſteres und Sonderbares vorherrſchte, ſo gab ein Fehler am Sprachorgan ſeinem Eifer in geiſtreichen Unterhaltungen einen Anſchein von eigenſinniger Haͤrte, die ſeinem Charakter wohl nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe ent- ſteigender Taucher ſich wenigſtens in den erſten Augenblicken nicht auf alles Große und Schoͤne beſinnt, was er in der Waſſerwelt geſehen, und es nicht zu erzaͤhlen vermag, ſo ſchien es biswei- len bey Heinrich von Kleiſt der Fall zu ſeyn. Tiefſinn und Begeiſterung, ſich allein uͤberlaſſen, bringen ihre Entwuͤrfe oft nicht zur Vollendung. Dieſes beweiſen die vielen hochgenialen Stellen in den Kleiſtiſchen Schriften und aus ſeiner zu ſorg- loſen Hingebung an jene treffliche Eigenſchaft laͤßt ſich vielleicht die wunderlich tragiſchromantiſche Lebensbeendigung erklaͤren, zu der ſich dieſer junge edle Mann, der ein Meiſterſchriftſteller Deutſch- lands haͤtte werden koͤnnen, entſchloß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0255" n="238"/> Abendgeſellſchaften beſucht’ ich nicht und<lb/> gab auch keine. So lange <hi rendition="#g">Kant</hi> noch aus-<lb/> ging, war er beynah jedesmal unter meinen<lb/> Gaͤſten, ich aber habe nie zu ſeinen <hi rendition="#aq">com-<lb/> menſalibus <hi rendition="#g">regularibus</hi></hi> gehoͤrt. Es<lb/><note xml:id="seg2pn_20_2" prev="#seg2pn_20_1" place="foot" n="*)">nach Verlaſſung des Kriegsdienſtes in Begleitung<lb/> ſeiner pyladiſchgeſinnten klugen Schweſter in Frank-<lb/> reich und Jtalien geweſen und von ſeinem Goͤn-<lb/> ner, dem Miniſter von Hardenberg, zur Ausbil-<lb/> dung im Finanzfach nach Koͤnigsberg geſchickt<lb/> war, oft in meinem Hauſe. Da in ſeinem Aeu-<lb/> ßern etwas Finſteres und Sonderbares vorherrſchte,<lb/> ſo gab ein Fehler am Sprachorgan ſeinem Eifer<lb/> in geiſtreichen Unterhaltungen einen Anſchein von<lb/> eigenſinniger Haͤrte, die ſeinem Charakter wohl<lb/> nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe ent-<lb/> ſteigender Taucher ſich wenigſtens in den erſten<lb/> Augenblicken nicht auf alles Große und Schoͤne<lb/> beſinnt, was er in der Waſſerwelt geſehen, und<lb/> es nicht zu erzaͤhlen vermag, ſo ſchien es biswei-<lb/> len bey Heinrich von <hi rendition="#g">Kleiſt</hi> der Fall zu ſeyn.<lb/> Tiefſinn und Begeiſterung, ſich allein uͤberlaſſen,<lb/> bringen ihre Entwuͤrfe oft nicht zur Vollendung.<lb/> Dieſes beweiſen die vielen hochgenialen Stellen in<lb/> den Kleiſtiſchen Schriften und aus ſeiner zu ſorg-<lb/> loſen Hingebung an jene treffliche Eigenſchaft laͤßt<lb/> ſich vielleicht die wunderlich tragiſchromantiſche<lb/> Lebensbeendigung erklaͤren, zu der ſich dieſer junge<lb/> edle Mann, der ein Meiſterſchriftſteller Deutſch-<lb/> lands haͤtte werden koͤnnen, entſchloß.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [238/0255]
Abendgeſellſchaften beſucht’ ich nicht und
gab auch keine. So lange Kant noch aus-
ging, war er beynah jedesmal unter meinen
Gaͤſten, ich aber habe nie zu ſeinen com-
menſalibus regularibus gehoͤrt. Es
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*) nach Verlaſſung des Kriegsdienſtes in Begleitung
ſeiner pyladiſchgeſinnten klugen Schweſter in Frank-
reich und Jtalien geweſen und von ſeinem Goͤn-
ner, dem Miniſter von Hardenberg, zur Ausbil-
dung im Finanzfach nach Koͤnigsberg geſchickt
war, oft in meinem Hauſe. Da in ſeinem Aeu-
ßern etwas Finſteres und Sonderbares vorherrſchte,
ſo gab ein Fehler am Sprachorgan ſeinem Eifer
in geiſtreichen Unterhaltungen einen Anſchein von
eigenſinniger Haͤrte, die ſeinem Charakter wohl
nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe ent-
ſteigender Taucher ſich wenigſtens in den erſten
Augenblicken nicht auf alles Große und Schoͤne
beſinnt, was er in der Waſſerwelt geſehen, und
es nicht zu erzaͤhlen vermag, ſo ſchien es biswei-
len bey Heinrich von Kleiſt der Fall zu ſeyn.
Tiefſinn und Begeiſterung, ſich allein uͤberlaſſen,
bringen ihre Entwuͤrfe oft nicht zur Vollendung.
Dieſes beweiſen die vielen hochgenialen Stellen in
den Kleiſtiſchen Schriften und aus ſeiner zu ſorg-
loſen Hingebung an jene treffliche Eigenſchaft laͤßt
ſich vielleicht die wunderlich tragiſchromantiſche
Lebensbeendigung erklaͤren, zu der ſich dieſer junge
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