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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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geliebten Leben für eine ihr von Gott besonders
erwiesene Wohlthat. Würde sie mir doch
zu Theil, da mir der Lebensverlust ohne-
dem nicht der wichtigste scheint.

Die Feyer meines Geburtstages war
für Sie ein Geschäft, auf das Sie sich schon
viele Wochen vorher zubereitete. An den
heutigen hatte Sie auch schon gedacht. An
den vorigen erwacht' ich jedesmal herzlich
froh und freute mich der Thränen, die
ihren Glückwunsch zum wiedererlebten beglei-
teten: wie verschieden werden heut meine
Empfindungen am Tische des Landhofmeisters
von Auerswald seyn, der heut zu seiner
Feyer einige unsrer Freunde in die Loge ein-
geladen hat, wie verschieden von denen, die
mein Herz unter den wenigen Freunden
fühlte, die Sie zur Feyer dieses Tages an
ihrem Haustisch zu versammlen pflegte! Jch
kann mit Recht sagen, alles ist bei mir
anders geworden, seitdem diese Eine von
mir geschieden ist, so gewiß ich glaube, daß
sie jetzt glücklicher lebt, als sie hier hätte
leben können.

Der Mensch ist zu selbstsüchtig, möcht
ich sagen, um im Denken an das Glück
andrer wahren Trost über sein Verlornes

geliebten Leben fuͤr eine ihr von Gott beſonders
erwieſene Wohlthat. Wuͤrde ſie mir doch
zu Theil, da mir der Lebensverluſt ohne-
dem nicht der wichtigſte ſcheint.

Die Feyer meines Geburtstages war
fuͤr Sie ein Geſchaͤft, auf das Sie ſich ſchon
viele Wochen vorher zubereitete. An den
heutigen hatte Sie auch ſchon gedacht. An
den vorigen erwacht’ ich jedesmal herzlich
froh und freute mich der Thraͤnen, die
ihren Gluͤckwunſch zum wiedererlebten beglei-
teten: wie verſchieden werden heut meine
Empfindungen am Tiſche des Landhofmeiſters
von Auerswald ſeyn, der heut zu ſeiner
Feyer einige unſrer Freunde in die Loge ein-
geladen hat, wie verſchieden von denen, die
mein Herz unter den wenigen Freunden
fuͤhlte, die Sie zur Feyer dieſes Tages an
ihrem Haustiſch zu verſammlen pflegte! Jch
kann mit Recht ſagen, alles iſt bei mir
anders geworden, ſeitdem dieſe Eine von
mir geſchieden iſt, ſo gewiß ich glaube, daß
ſie jetzt gluͤcklicher lebt, als ſie hier haͤtte
leben koͤnnen.

Der Menſch iſt zu ſelbſtſuͤchtig, moͤcht
ich ſagen, um im Denken an das Gluͤck
andrer wahren Troſt uͤber ſein Verlornes

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[457/0474] geliebten Leben fuͤr eine ihr von Gott beſonders erwieſene Wohlthat. Wuͤrde ſie mir doch zu Theil, da mir der Lebensverluſt ohne- dem nicht der wichtigſte ſcheint. Die Feyer meines Geburtstages war fuͤr Sie ein Geſchaͤft, auf das Sie ſich ſchon viele Wochen vorher zubereitete. An den heutigen hatte Sie auch ſchon gedacht. An den vorigen erwacht’ ich jedesmal herzlich froh und freute mich der Thraͤnen, die ihren Gluͤckwunſch zum wiedererlebten beglei- teten: wie verſchieden werden heut meine Empfindungen am Tiſche des Landhofmeiſters von Auerswald ſeyn, der heut zu ſeiner Feyer einige unſrer Freunde in die Loge ein- geladen hat, wie verſchieden von denen, die mein Herz unter den wenigen Freunden fuͤhlte, die Sie zur Feyer dieſes Tages an ihrem Haustiſch zu verſammlen pflegte! Jch kann mit Recht ſagen, alles iſt bei mir anders geworden, ſeitdem dieſe Eine von mir geſchieden iſt, ſo gewiß ich glaube, daß ſie jetzt gluͤcklicher lebt, als ſie hier haͤtte leben koͤnnen. Der Menſch iſt zu ſelbſtſuͤchtig, moͤcht ich ſagen, um im Denken an das Gluͤck andrer wahren Troſt uͤber ſein Verlornes

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/474>, abgerufen am 22.11.2024.