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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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zu finden. Die Jugend schüttelt, vermittelst
ihrer Lebhaftigkeit, Freude und Leid bald
ab, beyde brausen in ihr auf und laufen
über. Die Theilnahme im Alter, besonders
die traurende, ist andrer Art und benimmt
sich anders. Das Zittern des Alters ver-
anlaßt kein Ueberlaufen, aber es schüttelt
die Masse, besonders die des Trauerstoffes,
desto dichter zusammen.

Das Sterben meiner Gattin hat bey-
nah alle Erinnrung an die Ereignisse des
zurückgelegten Jahres aus meinem Gedächt-
nisse vertilgt, und wenn ich die, wohl in
keinem vernünftig vaterländischgesinnten Kopf
und Herzen je verlöschenden Gefühle und
Ueberzeugungen über eine bis zum Erstau-
nen kostspielige Staatsverwaltung, als ein
vor der Hand leider unheilbares Uebel, über-
sehe, und mit freylich sauer werdender Ge-
duld und Ergebung mittrage, so scheint
nichts vorgefallen zu seyn, als etwa, daß
ich mancherley der Zeit angemessene Verse
gemacht habe, von denen auch einige unter
dem Titel: Ein Vierblattsklee, ge-
wachsen unter Eis und Schnee,
ge-
druckt sind, daß ich den Minister Stein
wiedergesehen, und mit dem nicht mit Un-

zu finden. Die Jugend ſchuͤttelt, vermittelſt
ihrer Lebhaftigkeit, Freude und Leid bald
ab, beyde brauſen in ihr auf und laufen
uͤber. Die Theilnahme im Alter, beſonders
die traurende, iſt andrer Art und benimmt
ſich anders. Das Zittern des Alters ver-
anlaßt kein Ueberlaufen, aber es ſchuͤttelt
die Maſſe, beſonders die des Trauerſtoffes,
deſto dichter zuſammen.

Das Sterben meiner Gattin hat bey-
nah alle Erinnrung an die Ereigniſſe des
zuruͤckgelegten Jahres aus meinem Gedaͤcht-
niſſe vertilgt, und wenn ich die, wohl in
keinem vernuͤnftig vaterlaͤndiſchgeſinnten Kopf
und Herzen je verloͤſchenden Gefuͤhle und
Ueberzeugungen uͤber eine bis zum Erſtau-
nen koſtſpielige Staatsverwaltung, als ein
vor der Hand leider unheilbares Uebel, uͤber-
ſehe, und mit freylich ſauer werdender Ge-
duld und Ergebung mittrage, ſo ſcheint
nichts vorgefallen zu ſeyn, als etwa, daß
ich mancherley der Zeit angemeſſene Verſe
gemacht habe, von denen auch einige unter
dem Titel: Ein Vierblattsklee, ge-
wachſen unter Eis und Schnee,
ge-
druckt ſind, daß ich den Miniſter Stein
wiedergeſehen, und mit dem nicht mit Un-

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[458/0475] zu finden. Die Jugend ſchuͤttelt, vermittelſt ihrer Lebhaftigkeit, Freude und Leid bald ab, beyde brauſen in ihr auf und laufen uͤber. Die Theilnahme im Alter, beſonders die traurende, iſt andrer Art und benimmt ſich anders. Das Zittern des Alters ver- anlaßt kein Ueberlaufen, aber es ſchuͤttelt die Maſſe, beſonders die des Trauerſtoffes, deſto dichter zuſammen. Das Sterben meiner Gattin hat bey- nah alle Erinnrung an die Ereigniſſe des zuruͤckgelegten Jahres aus meinem Gedaͤcht- niſſe vertilgt, und wenn ich die, wohl in keinem vernuͤnftig vaterlaͤndiſchgeſinnten Kopf und Herzen je verloͤſchenden Gefuͤhle und Ueberzeugungen uͤber eine bis zum Erſtau- nen koſtſpielige Staatsverwaltung, als ein vor der Hand leider unheilbares Uebel, uͤber- ſehe, und mit freylich ſauer werdender Ge- duld und Ergebung mittrage, ſo ſcheint nichts vorgefallen zu ſeyn, als etwa, daß ich mancherley der Zeit angemeſſene Verſe gemacht habe, von denen auch einige unter dem Titel: Ein Vierblattsklee, ge- wachſen unter Eis und Schnee, ge- druckt ſind, daß ich den Miniſter Stein wiedergeſehen, und mit dem nicht mit Un-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/475>, abgerufen am 22.11.2024.