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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Tellern nicht bey Seite legt. Selbst in ei-
nem fremden Zimmer ist es mir unange-
nehm, die Stühle nach ihrem Gebrauch
nicht gleich wieder an Ort und Stelle ge-
setzt zu sehen. Kant dachte in diesem Stück
anders; die Wände seines Wohnzimmers
waren von Staub und vom Rauch seiner
Morgenpfeife grau überzogen, und als ich
einmal während dem Zuhören seines Ge-
sprächs mit Hippel einige Züge mit dem
Finger an der Wand machte, wodurch der
weiße Grund wieder sichtbar wurde, da
sagte Kant: "Freund, warum wollen sie den
"Alterthumsrost zerstören? Jst eine solche
"von selbst entstandene Tapete nicht besser,
"als eine gekaufte?"

Um anständig und doch nicht zu theuer
zu wohnen, miethete ich mir mit einem, Na-
mens Perkuhn, der nachher als Doktor
Medicinä gestorben ist, ein paar Stuben,
von denen die Eine beständig aufgeputzt blei-
ben sollte, worüber ich mit meinem überaus
gutmüthigen und bloß auf Kleiderputz hal-
tenden Contubernal manchen kleinen Zwist
hatte.

Ein Paar betriebsame Amanuenses war-
ben mich für ihre gelehrten Chefs zur Logik,

Tellern nicht bey Seite legt. Selbſt in ei-
nem fremden Zimmer iſt es mir unange-
nehm, die Stuͤhle nach ihrem Gebrauch
nicht gleich wieder an Ort und Stelle ge-
ſetzt zu ſehen. Kant dachte in dieſem Stuͤck
anders; die Waͤnde ſeines Wohnzimmers
waren von Staub und vom Rauch ſeiner
Morgenpfeife grau uͤberzogen, und als ich
einmal waͤhrend dem Zuhoͤren ſeines Ge-
ſpraͤchs mit Hippel einige Zuͤge mit dem
Finger an der Wand machte, wodurch der
weiße Grund wieder ſichtbar wurde, da
ſagte Kant: „Freund, warum wollen ſie den
„Alterthumsroſt zerſtoͤren? Jſt eine ſolche
„von ſelbſt entſtandene Tapete nicht beſſer,
„als eine gekaufte?“

Um anſtaͤndig und doch nicht zu theuer
zu wohnen, miethete ich mir mit einem, Na-
mens Perkuhn, der nachher als Doktor
Medicinaͤ geſtorben iſt, ein paar Stuben,
von denen die Eine beſtaͤndig aufgeputzt blei-
ben ſollte, woruͤber ich mit meinem uͤberaus
gutmuͤthigen und bloß auf Kleiderputz hal-
tenden Contubernal manchen kleinen Zwiſt
hatte.

Ein Paar betriebſame Amanuenſes war-
ben mich fuͤr ihre gelehrten Chefs zur Logik,

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[37/0054] Tellern nicht bey Seite legt. Selbſt in ei- nem fremden Zimmer iſt es mir unange- nehm, die Stuͤhle nach ihrem Gebrauch nicht gleich wieder an Ort und Stelle ge- ſetzt zu ſehen. Kant dachte in dieſem Stuͤck anders; die Waͤnde ſeines Wohnzimmers waren von Staub und vom Rauch ſeiner Morgenpfeife grau uͤberzogen, und als ich einmal waͤhrend dem Zuhoͤren ſeines Ge- ſpraͤchs mit Hippel einige Zuͤge mit dem Finger an der Wand machte, wodurch der weiße Grund wieder ſichtbar wurde, da ſagte Kant: „Freund, warum wollen ſie den „Alterthumsroſt zerſtoͤren? Jſt eine ſolche „von ſelbſt entſtandene Tapete nicht beſſer, „als eine gekaufte?“ Um anſtaͤndig und doch nicht zu theuer zu wohnen, miethete ich mir mit einem, Na- mens Perkuhn, der nachher als Doktor Medicinaͤ geſtorben iſt, ein paar Stuben, von denen die Eine beſtaͤndig aufgeputzt blei- ben ſollte, woruͤber ich mit meinem uͤberaus gutmuͤthigen und bloß auf Kleiderputz hal- tenden Contubernal manchen kleinen Zwiſt hatte. Ein Paar betriebſame Amanuenſes war- ben mich fuͤr ihre gelehrten Chefs zur Logik,

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/54>, abgerufen am 22.11.2024.