L'Estocqs Gattin besaß eine für ihre Zeiten ganz ausgezeichnete Bildung, vermöge welcher sie manche wunderliche und pedanti- sche Falte ausplättete, die wir unter den Händen ihres Mannes bekamen und leicht kenntlich hätten behalten können. Musika- lisch war das ganze Haus, und mein Lehr- patron war ein leidenschaftlicher Tänzer, in- dessen gewann ich doch weder an Tanz noch an Musik Geschmack -- mehr am Fechten, worin uns Unterricht gab ein gewisser Matern, der vor und auch nach seiner Fechtmeisterschaft verschiedene junge Stan- despersonen auf großen Reisen begleitet hatte. Ein Mann vom herrlichsten Charakter, ob- gleich in äußern Manieren sehr unfechtmei- sterlich süß und empfindsam. Jn der Folge lebte er von Pensionen, die ihm seine Reise- gefährten ausgesetzt hatten, mit dem Hof- rathstitel in Königsberg, wo er auch starb.
Gegen das Tanzen, worin sich mein Freund Wilhelm besonders auszeichnete, hatt' ich sogar eine Abneigung, vermuthlich, weil ich erst im achtzehnten Jahre, aus Verdruß über eine mich beschämende Verlegenheit, tanzen gelernt hatte und überhaupt von je her etwas Steifes in meinem Betragen ge-
L’Eſtocqs Gattin beſaß eine fuͤr ihre Zeiten ganz ausgezeichnete Bildung, vermoͤge welcher ſie manche wunderliche und pedanti- ſche Falte ausplaͤttete, die wir unter den Haͤnden ihres Mannes bekamen und leicht kenntlich haͤtten behalten koͤnnen. Muſika- liſch war das ganze Haus, und mein Lehr- patron war ein leidenſchaftlicher Taͤnzer, in- deſſen gewann ich doch weder an Tanz noch an Muſik Geſchmack — mehr am Fechten, worin uns Unterricht gab ein gewiſſer Matern, der vor und auch nach ſeiner Fechtmeiſterſchaft verſchiedene junge Stan- desperſonen auf großen Reiſen begleitet hatte. Ein Mann vom herrlichſten Charakter, ob- gleich in aͤußern Manieren ſehr unfechtmei- ſterlich ſuͤß und empfindſam. Jn der Folge lebte er von Penſionen, die ihm ſeine Reiſe- gefaͤhrten ausgeſetzt hatten, mit dem Hof- rathstitel in Koͤnigsberg, wo er auch ſtarb.
Gegen das Tanzen, worin ſich mein Freund Wilhelm beſonders auszeichnete, hatt’ ich ſogar eine Abneigung, vermuthlich, weil ich erſt im achtzehnten Jahre, aus Verdruß uͤber eine mich beſchaͤmende Verlegenheit, tanzen gelernt hatte und uͤberhaupt von je her etwas Steifes in meinem Betragen ge-
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L’Eſtocqs Gattin beſaß eine fuͤr ihre
Zeiten ganz ausgezeichnete Bildung, vermoͤge
welcher ſie manche wunderliche und pedanti-
ſche Falte ausplaͤttete, die wir unter den
Haͤnden ihres Mannes bekamen und leicht
kenntlich haͤtten behalten koͤnnen. Muſika-
liſch war das ganze Haus, und mein Lehr-
patron war ein leidenſchaftlicher Taͤnzer, in-
deſſen gewann ich doch weder an Tanz noch
an Muſik Geſchmack — mehr am Fechten,
worin uns Unterricht gab ein gewiſſer
Matern, der vor und auch nach ſeiner
Fechtmeiſterſchaft verſchiedene junge Stan-
desperſonen auf großen Reiſen begleitet hatte.
Ein Mann vom herrlichſten Charakter, ob-
gleich in aͤußern Manieren ſehr unfechtmei-
ſterlich ſuͤß und empfindſam. Jn der Folge
lebte er von Penſionen, die ihm ſeine Reiſe-
gefaͤhrten ausgeſetzt hatten, mit dem Hof-
rathstitel in Koͤnigsberg, wo er auch ſtarb.
Gegen das Tanzen, worin ſich mein
Freund Wilhelm beſonders auszeichnete, hatt’
ich ſogar eine Abneigung, vermuthlich, weil
ich erſt im achtzehnten Jahre, aus Verdruß
uͤber eine mich beſchaͤmende Verlegenheit,
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/78>, abgerufen am 25.11.2024.
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