habt habe, um deswillen mich die französi- schen Mädchen in Berlin l'homme de bois nannten, ohne mich dadurch geschmeidiger zu machen.
Für die große Musik, in der meine Un- wissenheit auch in der Folge unglaublich ge- blieben, hatt' ich auch damals keine Ohren, ob mich gleich ein Handstück, besonders wenn dazu gesungen wird, und eine Phan- tasie, wie ich sie in der Folge manchmal vom genialischlockern Himmel spielen ge- hört, oft entzückt haben und auch noch jetzt rühren können, dagegen konnt ich so schön pfeifen, als Lichtenberg es je mag ge- konnt haben, bis ich im zwanzigsten Jahre durch einen Fall zwey Vorderzähne verlor -- und wie kam ich zu dem Fall? Jch lief vor zwey adelichen Frauenzimmern, die eine so große Lust hatten, mich kennen zu lernen, wie ich, nicht von ihnen gesehen zu werden.
Mit Wilhelm ward ich bald Ein Herz und Eine Seele, und wir lebten wie die inseparabeln Vögel ohne Sorgen. Mein Hang *) zum Versemachen bekam
*)Was ich ohne Dich, wäre, ich weiß es nicht -- aber mir grauet Seh' ich, was ohne Dich Hundert und Tausende sind. Schiller.
habt habe, um deswillen mich die franzoͤſi- ſchen Maͤdchen in Berlin l’homme de bois nannten, ohne mich dadurch geſchmeidiger zu machen.
Fuͤr die große Muſik, in der meine Un- wiſſenheit auch in der Folge unglaublich ge- blieben, hatt’ ich auch damals keine Ohren, ob mich gleich ein Handſtuͤck, beſonders wenn dazu geſungen wird, und eine Phan- taſie, wie ich ſie in der Folge manchmal vom genialiſchlockern Himmel ſpielen ge- hoͤrt, oft entzuͤckt haben und auch noch jetzt ruͤhren koͤnnen, dagegen konnt ich ſo ſchoͤn pfeifen, als Lichtenberg es je mag ge- konnt haben, bis ich im zwanzigſten Jahre durch einen Fall zwey Vorderzaͤhne verlor — und wie kam ich zu dem Fall? Jch lief vor zwey adelichen Frauenzimmern, die eine ſo große Luſt hatten, mich kennen zu lernen, wie ich, nicht von ihnen geſehen zu werden.
Mit Wilhelm ward ich bald Ein Herz und Eine Seele, und wir lebten wie die inſeparabeln Voͤgel ohne Sorgen. Mein Hang *) zum Verſemachen bekam
*)Was ich ohne Dich, waͤre, ich weiß es nicht — aber mir grauet Seh’ ich, was ohne Dich Hundert und Tauſende ſind. Schiller.
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habt habe, um deswillen mich die franzoͤſi-
ſchen Maͤdchen in Berlin l’homme de bois
nannten, ohne mich dadurch geſchmeidiger zu
machen.
Fuͤr die große Muſik, in der meine Un-
wiſſenheit auch in der Folge unglaublich ge-
blieben, hatt’ ich auch damals keine Ohren,
ob mich gleich ein Handſtuͤck, beſonders
wenn dazu geſungen wird, und eine Phan-
taſie, wie ich ſie in der Folge manchmal
vom genialiſchlockern Himmel ſpielen ge-
hoͤrt, oft entzuͤckt haben und auch noch jetzt
ruͤhren koͤnnen, dagegen konnt ich ſo ſchoͤn
pfeifen, als Lichtenberg es je mag ge-
konnt haben, bis ich im zwanzigſten Jahre
durch einen Fall zwey Vorderzaͤhne verlor —
und wie kam ich zu dem Fall? Jch lief vor
zwey adelichen Frauenzimmern, die eine ſo
große Luſt hatten, mich kennen zu lernen, wie
ich, nicht von ihnen geſehen zu werden.
Mit Wilhelm ward ich bald Ein Herz
und Eine Seele, und wir lebten wie die
inſeparabeln Voͤgel ohne Sorgen.
Mein Hang *) zum Verſemachen bekam
*) Was ich ohne Dich, waͤre, ich weiß es nicht —
aber mir grauet
Seh’ ich, was ohne Dich Hundert und Tauſende ſind.
Schiller.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/79>, abgerufen am 25.11.2024.
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