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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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lich gestörten Ruhe der Todten ausmorali-
siret wurden. Jn ein zierlich gebundenes
Buch schrieb ich der Prinzessin die ihr vor-
züglich gefallenden Gedichtstellen, mit unter
auch manches von meiner eignen Facon,
und ließ mich auch von ihr zu einem drama-
tischen Versuche bereden, zu dem ich den
Stoff aus dem 681sten Stück des englischen
Zuschauers nahm, der in der Folge unter
dem Titel: Julie, ein tragisches
Nachspiel,
gedruckt ist, aber den großen
Druckpapierweg so gegangen zu seyn scheint,
daß ich kein Exemplar zum nochmaligen An-
schauen des kleinen Wechselbalges habe auf-
treiben können. Antoniens Geschmack an
der Natur und ihr Gefallen an Poesie trug
nicht wenig zu meiner Ausbildung bey, un-
sre wechselseitige Freundschaft hätte aber
doch vielleicht eine üble Wendung für uns
alle beyde nehmen können, wenn mein Herz
nicht damals einem Mädchen ergeben gewe-
sen wäre, das zwar nicht vornehm, aber
sehr hübsch, sehr sittsam und mir äußerst
zugethan war, in der Folge aber einen an-
dern heyrathen mußte.

Jn manchen Stunden verglich ich die
mir vorkommenden Personen mit den im

lich geſtoͤrten Ruhe der Todten ausmorali-
ſiret wurden. Jn ein zierlich gebundenes
Buch ſchrieb ich der Prinzeſſin die ihr vor-
zuͤglich gefallenden Gedichtſtellen, mit unter
auch manches von meiner eignen Façon,
und ließ mich auch von ihr zu einem drama-
tiſchen Verſuche bereden, zu dem ich den
Stoff aus dem 681ſten Stuͤck des engliſchen
Zuſchauers nahm, der in der Folge unter
dem Titel: Julie, ein tragiſches
Nachſpiel,
gedruckt iſt, aber den großen
Druckpapierweg ſo gegangen zu ſeyn ſcheint,
daß ich kein Exemplar zum nochmaligen An-
ſchauen des kleinen Wechſelbalges habe auf-
treiben koͤnnen. Antoniens Geſchmack an
der Natur und ihr Gefallen an Poeſie trug
nicht wenig zu meiner Ausbildung bey, un-
ſre wechſelſeitige Freundſchaft haͤtte aber
doch vielleicht eine uͤble Wendung fuͤr uns
alle beyde nehmen koͤnnen, wenn mein Herz
nicht damals einem Maͤdchen ergeben gewe-
ſen waͤre, das zwar nicht vornehm, aber
ſehr huͤbſch, ſehr ſittſam und mir aͤußerſt
zugethan war, in der Folge aber einen an-
dern heyrathen mußte.

Jn manchen Stunden verglich ich die
mir vorkommenden Perſonen mit den im

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[76/0093] lich geſtoͤrten Ruhe der Todten ausmorali- ſiret wurden. Jn ein zierlich gebundenes Buch ſchrieb ich der Prinzeſſin die ihr vor- zuͤglich gefallenden Gedichtſtellen, mit unter auch manches von meiner eignen Façon, und ließ mich auch von ihr zu einem drama- tiſchen Verſuche bereden, zu dem ich den Stoff aus dem 681ſten Stuͤck des engliſchen Zuſchauers nahm, der in der Folge unter dem Titel: Julie, ein tragiſches Nachſpiel, gedruckt iſt, aber den großen Druckpapierweg ſo gegangen zu ſeyn ſcheint, daß ich kein Exemplar zum nochmaligen An- ſchauen des kleinen Wechſelbalges habe auf- treiben koͤnnen. Antoniens Geſchmack an der Natur und ihr Gefallen an Poeſie trug nicht wenig zu meiner Ausbildung bey, un- ſre wechſelſeitige Freundſchaft haͤtte aber doch vielleicht eine uͤble Wendung fuͤr uns alle beyde nehmen koͤnnen, wenn mein Herz nicht damals einem Maͤdchen ergeben gewe- ſen waͤre, das zwar nicht vornehm, aber ſehr huͤbſch, ſehr ſittſam und mir aͤußerſt zugethan war, in der Folge aber einen an- dern heyrathen mußte. Jn manchen Stunden verglich ich die mir vorkommenden Perſonen mit den im

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/93>, abgerufen am 24.11.2024.