fentlicher Lehrer zu werden: sobald ver- schwindet all jener süße Reitz. Man sieht in den Pflanzen nichts mehr als die Werk- zeuge unserer Leidenschaften, findet kein wahres Vergnügen mehr in ihrer Erfor- schung; man will nicht mehr lernen, son- dern nur zeigen, wie viel man weiß, und ist mitten im Gehölze gleichsam schon ge- wissermaßen auf der Bühne der Welt, und einzig und allein mit dem Gedanken sich daselbst bewundert zu sehen, beschäftiget. Schränkt man sich aber auf die Botanik des Zimmers, oder höchstens etwa des Gartens ein, und beschäftigt sich, Statt die Pflanzen in der Natur zu beobachten, nur mit Lehrgebäuden und willkührlichen Anordnungen: so giebt das bloß zu ewi- gen Streitigkeiten Anlaß. Auf diese Art wird die liebenswürdigste Kenntniß ihres ursprünglichen Reitzes beraubet, und in das Treibhaus der Städte und Akademien
fentlicher Lehrer zu werden: ſobald ver- ſchwindet all jener ſuͤße Reitz. Man ſieht in den Pflanzen nichts mehr als die Werk- zeuge unſerer Leidenſchaften, findet kein wahres Vergnuͤgen mehr in ihrer Erfor- ſchung; man will nicht mehr lernen, ſon- dern nur zeigen, wie viel man weiß, und iſt mitten im Gehoͤlze gleichſam ſchon ge- wiſſermaßen auf der Buͤhne der Welt, und einzig und allein mit dem Gedanken ſich daſelbſt bewundert zu ſehen, beſchaͤftiget. Schraͤnkt man ſich aber auf die Botanik des Zimmers, oder hoͤchſtens etwa des Gartens ein, und beſchaͤftigt ſich, Statt die Pflanzen in der Natur zu beobachten, nur mit Lehrgebaͤuden und willkuͤhrlichen Anordnungen: ſo giebt das bloß zu ewi- gen Streitigkeiten Anlaß. Auf dieſe Art wird die liebenswuͤrdigſte Kenntniß ihres urſpruͤnglichen Reitzes beraubet, und in das Treibhaus der Staͤdte und Akademien
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0275"n="271"/>
fentlicher Lehrer zu werden: ſobald ver-<lb/>ſchwindet all jener ſuͤße Reitz. Man ſieht<lb/>
in den Pflanzen nichts mehr als die Werk-<lb/>
zeuge unſerer Leidenſchaften, findet kein<lb/>
wahres Vergnuͤgen mehr in ihrer Erfor-<lb/>ſchung; man will nicht mehr lernen, ſon-<lb/>
dern nur zeigen, wie viel man weiß, und<lb/>
iſt mitten im Gehoͤlze gleichſam ſchon ge-<lb/>
wiſſermaßen auf der Buͤhne der Welt, und<lb/>
einzig und allein mit dem Gedanken ſich<lb/>
daſelbſt bewundert zu ſehen, beſchaͤftiget.<lb/>
Schraͤnkt man ſich aber auf die Botanik<lb/>
des Zimmers, oder hoͤchſtens etwa des<lb/>
Gartens ein, und beſchaͤftigt ſich, Statt<lb/>
die Pflanzen in der Natur zu beobachten,<lb/>
nur mit Lehrgebaͤuden und willkuͤhrlichen<lb/>
Anordnungen: ſo giebt das bloß zu ewi-<lb/>
gen Streitigkeiten Anlaß. Auf dieſe Art<lb/>
wird die liebenswuͤrdigſte Kenntniß ihres<lb/>
urſpruͤnglichen Reitzes beraubet, und in<lb/>
das Treibhaus der Staͤdte und Akademien<lb/></p></div></body></text></TEI>
[271/0275]
fentlicher Lehrer zu werden: ſobald ver-
ſchwindet all jener ſuͤße Reitz. Man ſieht
in den Pflanzen nichts mehr als die Werk-
zeuge unſerer Leidenſchaften, findet kein
wahres Vergnuͤgen mehr in ihrer Erfor-
ſchung; man will nicht mehr lernen, ſon-
dern nur zeigen, wie viel man weiß, und
iſt mitten im Gehoͤlze gleichſam ſchon ge-
wiſſermaßen auf der Buͤhne der Welt, und
einzig und allein mit dem Gedanken ſich
daſelbſt bewundert zu ſehen, beſchaͤftiget.
Schraͤnkt man ſich aber auf die Botanik
des Zimmers, oder hoͤchſtens etwa des
Gartens ein, und beſchaͤftigt ſich, Statt
die Pflanzen in der Natur zu beobachten,
nur mit Lehrgebaͤuden und willkuͤhrlichen
Anordnungen: ſo giebt das bloß zu ewi-
gen Streitigkeiten Anlaß. Auf dieſe Art
wird die liebenswuͤrdigſte Kenntniß ihres
urſpruͤnglichen Reitzes beraubet, und in
das Treibhaus der Staͤdte und Akademien
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelle, Karl Gottlob: Die Spatziergänge oder die Kunst spatzieren zu gehen. Leipzig, 1802, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelle_spatziergaenge_1802/275>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.