Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.Sentimentales in der Poesie, sondern wir statuiren allgemein zwei Es ist bekannt, daß Schiller diesen Gegensatz zuerst in einem Auf- "Naiv ist zu erklären als Natur oder Erscheinung der Natur, so- "Das Naive ist Natur, das Sentimentale sucht die Natur". "Das naive Gemüth empfindet natürlich, das sentimentale em- Am auffallendsten ist dieser Gegensatz wieder in der Vergleichung Man kann den ganzen Unterschied des naiven und sentimentalen Sentimentales in der Poeſie, ſondern wir ſtatuiren allgemein zwei Es iſt bekannt, daß Schiller dieſen Gegenſatz zuerſt in einem Auf- „Naiv iſt zu erklären als Natur oder Erſcheinung der Natur, ſo- „Das Naive iſt Natur, das Sentimentale ſucht die Natur“. „Das naive Gemüth empfindet natürlich, das ſentimentale em- Am auffallendſten iſt dieſer Gegenſatz wieder in der Vergleichung Man kann den ganzen Unterſchied des naiven und ſentimentalen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0147" n="471"/> Sentimentales in der Poeſie, ſondern wir ſtatuiren allgemein <hi rendition="#g">zwei<lb/> Richtungen</hi> in der Poeſie, die, wo das Allgemeine als ins Beſon-<lb/> dere gebildet erſcheint, und die, wo das Beſondere ins Allgemeine<lb/> gebildet. In der Abſolutheit müßten beide eins, d. h., nachdem naiv der<lb/> einzige Ausdruck iſt, den wir für die Abſolutheit haben, beide müßten<lb/> naiv ſeyn. Sentimental iſt alſo nur der Ausdruck der andern Richtung<lb/> in ihrer Mangelhaftigkeit, inſofern alſo das Verhältniß von Naiv zu<lb/> Sentimental keineswegs wie das im vorigen Satze von Erhabenheit<lb/> zu Schönheit, wo jede für ſich ein Abſolutes bezeichnet.</p><lb/> <p>Es iſt bekannt, daß <hi rendition="#g">Schiller</hi> dieſen Gegenſatz zuerſt in einem Auf-<lb/> ſatz über naive und ſentimentaliſche Dichtung geltend gemacht hat, der<lb/> außer dieſem ſehr reich iſt an fruchtbaren Ideen. Ich entlehne hier<lb/> folgende Sätze aus demſelben, welche am beſten dazu dienen, jenen<lb/> Gegenſatz deutlich zu machen.</p><lb/> <p>„Naiv iſt zu erklären als Natur oder Erſcheinung der Natur, ſo-<lb/> fern ſie die Kunſt beſchämt“. (Dieſe Erklärung befaßt die Bedeutung<lb/> des Worts in Verhältniſſen des Umgangs <hi rendition="#g">und</hi> die höhere, welche ihm<lb/> hier in Beziehung auf Kunſt gegeben wird. Schon daß der Grundcha-<lb/> rakter des Naiven der iſt, daß es <hi rendition="#g">Natur</hi> ſeyn muß, beweist, daß es<lb/> dem erſten der beiden Gegenſätze urſprünglich entſpreche.)</p><lb/> <p>„Das Naive <hi rendition="#g">iſt</hi> Natur, das Sentimentale <hi rendition="#g">ſucht</hi> die Natur“.</p><lb/> <p>„Das naive Gemüth empfindet natürlich, das ſentimentale em-<lb/> pfindet <hi rendition="#g">das</hi> Natürliche“.</p><lb/> <p>Am auffallendſten iſt dieſer Gegenſatz wieder in der Vergleichung<lb/> des Antiken und Modernen, wie dieß Schiller ebenfalls ſehr ſchön<lb/> nachweist. Die Anſchauung des Erhabenen in der Natur z. B. iſt bei<lb/> dem Griechen durchaus nicht die empfindſame, welche die bloße Rührung<lb/> davon empfindet, ohne bis zur freien, kalten Betrachtung zu gehen. Da-<lb/> gegen iſt das rein bloß ſubjektive Intereſſe an der Natur ohne alle Ob-<lb/> jektivität der Anſchauung oder des Denkens Grundzug im Charakter der<lb/> Modernen, und ſie ſelbſt ſind in dem Verhältniß entfernt von der Natur,<lb/> in welchem ſie die Natur empfinden, nicht anſchauen oder darſtellen.</p><lb/> <p>Man kann den ganzen Unterſchied des naiven und ſentimentalen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [471/0147]
Sentimentales in der Poeſie, ſondern wir ſtatuiren allgemein zwei
Richtungen in der Poeſie, die, wo das Allgemeine als ins Beſon-
dere gebildet erſcheint, und die, wo das Beſondere ins Allgemeine
gebildet. In der Abſolutheit müßten beide eins, d. h., nachdem naiv der
einzige Ausdruck iſt, den wir für die Abſolutheit haben, beide müßten
naiv ſeyn. Sentimental iſt alſo nur der Ausdruck der andern Richtung
in ihrer Mangelhaftigkeit, inſofern alſo das Verhältniß von Naiv zu
Sentimental keineswegs wie das im vorigen Satze von Erhabenheit
zu Schönheit, wo jede für ſich ein Abſolutes bezeichnet.
Es iſt bekannt, daß Schiller dieſen Gegenſatz zuerſt in einem Auf-
ſatz über naive und ſentimentaliſche Dichtung geltend gemacht hat, der
außer dieſem ſehr reich iſt an fruchtbaren Ideen. Ich entlehne hier
folgende Sätze aus demſelben, welche am beſten dazu dienen, jenen
Gegenſatz deutlich zu machen.
„Naiv iſt zu erklären als Natur oder Erſcheinung der Natur, ſo-
fern ſie die Kunſt beſchämt“. (Dieſe Erklärung befaßt die Bedeutung
des Worts in Verhältniſſen des Umgangs und die höhere, welche ihm
hier in Beziehung auf Kunſt gegeben wird. Schon daß der Grundcha-
rakter des Naiven der iſt, daß es Natur ſeyn muß, beweist, daß es
dem erſten der beiden Gegenſätze urſprünglich entſpreche.)
„Das Naive iſt Natur, das Sentimentale ſucht die Natur“.
„Das naive Gemüth empfindet natürlich, das ſentimentale em-
pfindet das Natürliche“.
Am auffallendſten iſt dieſer Gegenſatz wieder in der Vergleichung
des Antiken und Modernen, wie dieß Schiller ebenfalls ſehr ſchön
nachweist. Die Anſchauung des Erhabenen in der Natur z. B. iſt bei
dem Griechen durchaus nicht die empfindſame, welche die bloße Rührung
davon empfindet, ohne bis zur freien, kalten Betrachtung zu gehen. Da-
gegen iſt das rein bloß ſubjektive Intereſſe an der Natur ohne alle Ob-
jektivität der Anſchauung oder des Denkens Grundzug im Charakter der
Modernen, und ſie ſelbſt ſind in dem Verhältniß entfernt von der Natur,
in welchem ſie die Natur empfinden, nicht anſchauen oder darſtellen.
Man kann den ganzen Unterſchied des naiven und ſentimentalen
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