Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch die Natur, kann man sagen, hat eine Manier in diesem
Sinn oder einen gedoppelten Styl. Sie hat Manier in allem, was
auf die Hineinbildung des Besonderen ins Allgemeine geht, z. B. in
der Färbung der Körper, vorzüglich in der organischen Welt, wo sie
in der männlichen Gestalt offenbar Styl hat, dagegen sie in der weib-
lichen Schönheit, wo so viele Besonderheiten mit in die Bildung auf-
genommen werden mußten, in gewissem Sinn manierirt ist. Aber eben
dieß ist Beweis, daß auch in dieser Richtung Schönheit, demnach Styl
möglich ist. Es hat daher jemand sehr geistreich gesagt, daß, wenn
z. B. Schakespeare Manier hätte, unser Herrgott auch Manier haben
müßte. Man kann es von den Modernen nicht hinwegnehmen, daß
sie nur in der Richtung vom Besonderen zum Allgemeinen Styl
haben.

Aber ebensowenig kann man den Neueren absprechen, daß sie in
dieser Richtung
Styl erreicht haben und zu erreichen fähig sind, so
sehr, daß selbst innerhalb der modernen Kunst wieder die zwei Richtun-
gen erkennbar sind. So ist derjenige der Modernen, der in der bilden-
den Kunst Styl vor allen hat, ohne Zweifel Michel Angelo: sein Ent-
gegengesetztester unter den großen Meistern ist ohne Zweifel Correggio;
es wäre gewiß falsch, diesem Künstler unbedingt Manier zuzuschreiben,
obgleich es ebenso unmöglich ist, ihm einen andern als den Styl der
zweiten Gattung zuzuschreiben; er ist vielleicht das anschaulichste Bei-
spiel davon, daß auch in der Richtung vom Besonderen zum Allge-
meinen Styl möglich ist.

Allgemein können wir nun die Manier im verwerflichen Sinne,
demnach die Manierirtheit, erklären als ein Geltendmachen der be-
sonderen Form statt der allgemeinen. Da dem Künstler überhaupt nur
die Form zu Gebot steht, so daß er allein durch diese das Wesen er-
reicht, dem Wesen aber nur die absolute Form adäquat ist, so löst
sich mit der Manier in diesem Sinne unmittelbar auch das Wesen der
Kunst selbst auf. Am meisten zeigt sich Manierirtheit in einem Be-
streben nach oberflächlicher, nur ungeübte Augen blendender Eleganz
und schwächlicher Schönheit, in dem Geleckten, Verwaschenen mancher

Auch die Natur, kann man ſagen, hat eine Manier in dieſem
Sinn oder einen gedoppelten Styl. Sie hat Manier in allem, was
auf die Hineinbildung des Beſonderen ins Allgemeine geht, z. B. in
der Färbung der Körper, vorzüglich in der organiſchen Welt, wo ſie
in der männlichen Geſtalt offenbar Styl hat, dagegen ſie in der weib-
lichen Schönheit, wo ſo viele Beſonderheiten mit in die Bildung auf-
genommen werden mußten, in gewiſſem Sinn manierirt iſt. Aber eben
dieß iſt Beweis, daß auch in dieſer Richtung Schönheit, demnach Styl
möglich iſt. Es hat daher jemand ſehr geiſtreich geſagt, daß, wenn
z. B. Schakeſpeare Manier hätte, unſer Herrgott auch Manier haben
müßte. Man kann es von den Modernen nicht hinwegnehmen, daß
ſie nur in der Richtung vom Beſonderen zum Allgemeinen Styl
haben.

Aber ebenſowenig kann man den Neueren abſprechen, daß ſie in
dieſer Richtung
Styl erreicht haben und zu erreichen fähig ſind, ſo
ſehr, daß ſelbſt innerhalb der modernen Kunſt wieder die zwei Richtun-
gen erkennbar ſind. So iſt derjenige der Modernen, der in der bilden-
den Kunſt Styl vor allen hat, ohne Zweifel Michel Angelo: ſein Ent-
gegengeſetzteſter unter den großen Meiſtern iſt ohne Zweifel Correggio;
es wäre gewiß falſch, dieſem Künſtler unbedingt Manier zuzuſchreiben,
obgleich es ebenſo unmöglich iſt, ihm einen andern als den Styl der
zweiten Gattung zuzuſchreiben; er iſt vielleicht das anſchaulichſte Bei-
ſpiel davon, daß auch in der Richtung vom Beſonderen zum Allge-
meinen Styl möglich iſt.

Allgemein können wir nun die Manier im verwerflichen Sinne,
demnach die Manierirtheit, erklären als ein Geltendmachen der be-
ſonderen Form ſtatt der allgemeinen. Da dem Künſtler überhaupt nur
die Form zu Gebot ſteht, ſo daß er allein durch dieſe das Weſen er-
reicht, dem Weſen aber nur die abſolute Form adäquat iſt, ſo löst
ſich mit der Manier in dieſem Sinne unmittelbar auch das Weſen der
Kunſt ſelbſt auf. Am meiſten zeigt ſich Manierirtheit in einem Be-
ſtreben nach oberflächlicher, nur ungeübte Augen blendender Eleganz
und ſchwächlicher Schönheit, in dem Geleckten, Verwaſchenen mancher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0152" n="476"/>
            <p>Auch die Natur, kann man &#x017F;agen, hat eine Manier in die&#x017F;em<lb/>
Sinn oder einen gedoppelten Styl. Sie hat Manier in allem, was<lb/>
auf die Hineinbildung des Be&#x017F;onderen ins Allgemeine geht, z. B. in<lb/>
der Färbung der Körper, vorzüglich in der organi&#x017F;chen Welt, wo &#x017F;ie<lb/>
in der männlichen Ge&#x017F;talt offenbar Styl hat, dagegen &#x017F;ie in der weib-<lb/>
lichen Schönheit, wo &#x017F;o viele Be&#x017F;onderheiten mit in die Bildung auf-<lb/>
genommen werden mußten, in gewi&#x017F;&#x017F;em Sinn manierirt i&#x017F;t. Aber eben<lb/>
dieß i&#x017F;t Beweis, daß auch in die&#x017F;er Richtung Schönheit, demnach Styl<lb/>
möglich i&#x017F;t. Es hat daher jemand &#x017F;ehr gei&#x017F;treich ge&#x017F;agt, daß, wenn<lb/>
z. B. Schake&#x017F;peare Manier hätte, un&#x017F;er Herrgott auch Manier haben<lb/>
müßte. Man kann es von den Modernen nicht hinwegnehmen, daß<lb/>
&#x017F;ie nur in der Richtung vom Be&#x017F;onderen zum Allgemeinen Styl<lb/>
haben.</p><lb/>
            <p>Aber eben&#x017F;owenig kann man den Neueren ab&#x017F;prechen, daß &#x017F;ie <hi rendition="#g">in<lb/>
die&#x017F;er Richtung</hi> Styl erreicht haben und zu erreichen fähig &#x017F;ind, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr, daß &#x017F;elb&#x017F;t innerhalb der modernen Kun&#x017F;t wieder die zwei Richtun-<lb/>
gen erkennbar &#x017F;ind. So i&#x017F;t derjenige der Modernen, der in der bilden-<lb/>
den Kun&#x017F;t Styl vor allen hat, ohne Zweifel Michel Angelo: &#x017F;ein Ent-<lb/>
gegenge&#x017F;etzte&#x017F;ter unter den großen Mei&#x017F;tern i&#x017F;t ohne Zweifel Correggio;<lb/>
es wäre gewiß fal&#x017F;ch, die&#x017F;em Kün&#x017F;tler unbedingt Manier zuzu&#x017F;chreiben,<lb/>
obgleich es eben&#x017F;o unmöglich i&#x017F;t, ihm einen andern als den Styl der<lb/>
zweiten Gattung zuzu&#x017F;chreiben; er i&#x017F;t vielleicht das an&#x017F;chaulich&#x017F;te Bei-<lb/>
&#x017F;piel davon, daß auch in der Richtung vom Be&#x017F;onderen zum Allge-<lb/>
meinen Styl möglich i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Allgemein können wir nun die Manier im verwerflichen Sinne,<lb/>
demnach die <hi rendition="#g">Manierirtheit</hi>, erklären als ein Geltendmachen der be-<lb/>
&#x017F;onderen Form &#x017F;tatt der allgemeinen. Da dem Kün&#x017F;tler überhaupt nur<lb/>
die Form zu Gebot &#x017F;teht, &#x017F;o daß er allein durch die&#x017F;e das We&#x017F;en er-<lb/>
reicht, dem We&#x017F;en aber nur die ab&#x017F;olute Form adäquat i&#x017F;t, &#x017F;o löst<lb/>
&#x017F;ich mit der Manier in die&#x017F;em Sinne unmittelbar auch das We&#x017F;en der<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t auf. Am mei&#x017F;ten zeigt &#x017F;ich Manierirtheit in einem Be-<lb/>
&#x017F;treben nach oberflächlicher, nur ungeübte Augen blendender Eleganz<lb/>
und &#x017F;chwächlicher Schönheit, in dem Geleckten, Verwa&#x017F;chenen mancher<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[476/0152] Auch die Natur, kann man ſagen, hat eine Manier in dieſem Sinn oder einen gedoppelten Styl. Sie hat Manier in allem, was auf die Hineinbildung des Beſonderen ins Allgemeine geht, z. B. in der Färbung der Körper, vorzüglich in der organiſchen Welt, wo ſie in der männlichen Geſtalt offenbar Styl hat, dagegen ſie in der weib- lichen Schönheit, wo ſo viele Beſonderheiten mit in die Bildung auf- genommen werden mußten, in gewiſſem Sinn manierirt iſt. Aber eben dieß iſt Beweis, daß auch in dieſer Richtung Schönheit, demnach Styl möglich iſt. Es hat daher jemand ſehr geiſtreich geſagt, daß, wenn z. B. Schakeſpeare Manier hätte, unſer Herrgott auch Manier haben müßte. Man kann es von den Modernen nicht hinwegnehmen, daß ſie nur in der Richtung vom Beſonderen zum Allgemeinen Styl haben. Aber ebenſowenig kann man den Neueren abſprechen, daß ſie in dieſer Richtung Styl erreicht haben und zu erreichen fähig ſind, ſo ſehr, daß ſelbſt innerhalb der modernen Kunſt wieder die zwei Richtun- gen erkennbar ſind. So iſt derjenige der Modernen, der in der bilden- den Kunſt Styl vor allen hat, ohne Zweifel Michel Angelo: ſein Ent- gegengeſetzteſter unter den großen Meiſtern iſt ohne Zweifel Correggio; es wäre gewiß falſch, dieſem Künſtler unbedingt Manier zuzuſchreiben, obgleich es ebenſo unmöglich iſt, ihm einen andern als den Styl der zweiten Gattung zuzuſchreiben; er iſt vielleicht das anſchaulichſte Bei- ſpiel davon, daß auch in der Richtung vom Beſonderen zum Allge- meinen Styl möglich iſt. Allgemein können wir nun die Manier im verwerflichen Sinne, demnach die Manierirtheit, erklären als ein Geltendmachen der be- ſonderen Form ſtatt der allgemeinen. Da dem Künſtler überhaupt nur die Form zu Gebot ſteht, ſo daß er allein durch dieſe das Weſen er- reicht, dem Weſen aber nur die abſolute Form adäquat iſt, ſo löst ſich mit der Manier in dieſem Sinne unmittelbar auch das Weſen der Kunſt ſelbſt auf. Am meiſten zeigt ſich Manierirtheit in einem Be- ſtreben nach oberflächlicher, nur ungeübte Augen blendender Eleganz und ſchwächlicher Schönheit, in dem Geleckten, Verwaſchenen mancher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/152
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/152>, abgerufen am 24.11.2024.