Einheit begriffene Einbildung der Einheit in die Vielheit oder reale Einheit ist der Rhythmus.
Denn, um mich jetzt zum Behuf des Beweises nur des allgemein- sten Begriffs von Rhythmus zu bedienen, so ist er in diesem Sinn nichts anderes als eine periodische Eintheilung des Gleichartigen, wo- durch das Einförmige desselben mit Mannichfaltigkeit, die Einheit also mit Vielheit verbunden wird. Z. B. die Empfindung, welche ein Ton- stück im Ganzen erregt, ist eine durchaus homogene, einartige; sie ist z. B. fröhlich oder traurig, allein diese Empfindung, die für sich durch- aus homogen gewesen wäre, bekommt durch die rhythmischen Einthei- lungen Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Der Rhythmus gehört zu den bewundernswürdigsten Geheimnissen der Natur und der Kunst, und keine Erfindung scheint den Menschen unmittelbarer durch die Natur selbst inspirirt zu seyn.
Die Alten haben durchaus dem Rhythmus die größte ästhetische Kraft zugeschrieben; auch wird schwerlich jemand leugnen, daß alles, was man in Musik oder Tanz (etc.) wahrhaft schön nennen kann, eigent- lich von dem Rhythmus herrühre. Wir müssen aber, um den Rhythmus rein zu fassen, vorerst alles absondern, was die Musik etwa außerdem Reizendes und Erregendes hat. Die Töne z. B. haben auch an sich eine Bedeutung, sie können für sich fröhlich, zärtlich, traurig oder schmerzhaft seyn. Hievon wird bei der Betrachtung des Rhythmus ganz abstrahirt, seine Schönheit ist nicht stoffartig und bedarf der bloß na- türlichen Rührungen, die etwa in Tönen an und für sich liegen, nicht, um absolut wohlzugefallen und eine dafür empfängliche Seele zu entzücken. Um dieß recht deutlich zu sehen, denke man sich anfänglich die Elemente des Rhythmus als an sich ganz gleichgültige, wie z. B. die einzelnen Töne einer Saite für sich, oder wie der Schlag einer Trommel ist. Wodurch kann eine Folge solcher Schläge bedeutend, aufregend, wohlgefällig werden? -- Schläge oder Töne, die sich ohne die geringste Ordnung succedirten, sind von keiner Wirkung auf uns. Sobald aber selbst in die ihrer Natur oder dem Stoff nach bedeutungs- losesten, nicht einmal an sich angenehmen Töne eine Regelmäßigkeit
Einheit begriffene Einbildung der Einheit in die Vielheit oder reale Einheit iſt der Rhythmus.
Denn, um mich jetzt zum Behuf des Beweiſes nur des allgemein- ſten Begriffs von Rhythmus zu bedienen, ſo iſt er in dieſem Sinn nichts anderes als eine periodiſche Eintheilung des Gleichartigen, wo- durch das Einförmige deſſelben mit Mannichfaltigkeit, die Einheit alſo mit Vielheit verbunden wird. Z. B. die Empfindung, welche ein Ton- ſtück im Ganzen erregt, iſt eine durchaus homogene, einartige; ſie iſt z. B. fröhlich oder traurig, allein dieſe Empfindung, die für ſich durch- aus homogen geweſen wäre, bekommt durch die rhythmiſchen Einthei- lungen Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Der Rhythmus gehört zu den bewundernswürdigſten Geheimniſſen der Natur und der Kunſt, und keine Erfindung ſcheint den Menſchen unmittelbarer durch die Natur ſelbſt inſpirirt zu ſeyn.
Die Alten haben durchaus dem Rhythmus die größte äſthetiſche Kraft zugeſchrieben; auch wird ſchwerlich jemand leugnen, daß alles, was man in Muſik oder Tanz (ꝛc.) wahrhaft ſchön nennen kann, eigent- lich von dem Rhythmus herrühre. Wir müſſen aber, um den Rhythmus rein zu faſſen, vorerſt alles abſondern, was die Muſik etwa außerdem Reizendes und Erregendes hat. Die Töne z. B. haben auch an ſich eine Bedeutung, ſie können für ſich fröhlich, zärtlich, traurig oder ſchmerzhaft ſeyn. Hievon wird bei der Betrachtung des Rhythmus ganz abſtrahirt, ſeine Schönheit iſt nicht ſtoffartig und bedarf der bloß na- türlichen Rührungen, die etwa in Tönen an und für ſich liegen, nicht, um abſolut wohlzugefallen und eine dafür empfängliche Seele zu entzücken. Um dieß recht deutlich zu ſehen, denke man ſich anfänglich die Elemente des Rhythmus als an ſich ganz gleichgültige, wie z. B. die einzelnen Töne einer Saite für ſich, oder wie der Schlag einer Trommel iſt. Wodurch kann eine Folge ſolcher Schläge bedeutend, aufregend, wohlgefällig werden? — Schläge oder Töne, die ſich ohne die geringſte Ordnung ſuccedirten, ſind von keiner Wirkung auf uns. Sobald aber ſelbſt in die ihrer Natur oder dem Stoff nach bedeutungs- loſeſten, nicht einmal an ſich angenehmen Töne eine Regelmäßigkeit
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Einheit begriffene Einbildung der Einheit in die Vielheit
oder reale Einheit iſt der Rhythmus.
Denn, um mich jetzt zum Behuf des Beweiſes nur des allgemein-
ſten Begriffs von Rhythmus zu bedienen, ſo iſt er in dieſem Sinn
nichts anderes als eine periodiſche Eintheilung des Gleichartigen, wo-
durch das Einförmige deſſelben mit Mannichfaltigkeit, die Einheit alſo
mit Vielheit verbunden wird. Z. B. die Empfindung, welche ein Ton-
ſtück im Ganzen erregt, iſt eine durchaus homogene, einartige; ſie iſt
z. B. fröhlich oder traurig, allein dieſe Empfindung, die für ſich durch-
aus homogen geweſen wäre, bekommt durch die rhythmiſchen Einthei-
lungen Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Der Rhythmus gehört zu
den bewundernswürdigſten Geheimniſſen der Natur und der Kunſt, und
keine Erfindung ſcheint den Menſchen unmittelbarer durch die Natur
ſelbſt inſpirirt zu ſeyn.
Die Alten haben durchaus dem Rhythmus die größte äſthetiſche
Kraft zugeſchrieben; auch wird ſchwerlich jemand leugnen, daß alles,
was man in Muſik oder Tanz (ꝛc.) wahrhaft ſchön nennen kann, eigent-
lich von dem Rhythmus herrühre. Wir müſſen aber, um den Rhythmus
rein zu faſſen, vorerſt alles abſondern, was die Muſik etwa außerdem
Reizendes und Erregendes hat. Die Töne z. B. haben auch an ſich
eine Bedeutung, ſie können für ſich fröhlich, zärtlich, traurig oder
ſchmerzhaft ſeyn. Hievon wird bei der Betrachtung des Rhythmus ganz
abſtrahirt, ſeine Schönheit iſt nicht ſtoffartig und bedarf der bloß na-
türlichen Rührungen, die etwa in Tönen an und für ſich liegen, nicht,
um abſolut wohlzugefallen und eine dafür empfängliche Seele zu
entzücken. Um dieß recht deutlich zu ſehen, denke man ſich anfänglich
die Elemente des Rhythmus als an ſich ganz gleichgültige, wie z. B.
die einzelnen Töne einer Saite für ſich, oder wie der Schlag einer
Trommel iſt. Wodurch kann eine Folge ſolcher Schläge bedeutend,
aufregend, wohlgefällig werden? — Schläge oder Töne, die ſich ohne
die geringſte Ordnung ſuccedirten, ſind von keiner Wirkung auf uns.
Sobald aber ſelbſt in die ihrer Natur oder dem Stoff nach bedeutungs-
loſeſten, nicht einmal an ſich angenehmen Töne eine Regelmäßigkeit
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/168>, abgerufen am 24.11.2024.
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