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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Correggio auch die Vollkommenheit der Formen gelehrt habe, die in seinen
Werken bewundert wird, ob dieses ihn gelehrt habe, daß das Ge-
bäude der menschlichen Gestalt weder in rein geraden Linien noch in
Abwechslungen von krummen und geraden Linien, sondern in ab-
wechselnden Krümmungen bestehe, oder ob er umgekehrt durch Zeich-
nung, tiefe Kenntniß und genaue Nachahmung der Wahrheit in die
Geheimnisse des Helldunkels eingedrungen sey. Genug, er vereinigte
diese beiden Formen der Kunst ebenso in seinen Werken, wie sie in der
Natur selbst verbunden sind.

Aber Correggio hat das Höchste im Helldunkel nicht nur von
Seiten der Formen und der Körperlichkeiten überhaupt, sondern auch
in dem allgemeineren Theile erreicht, der in der Vertheilung der Lichter
und Schatten besteht. Kraft der ihm einzig eignen Verschmelzung und
Abstufung ist, wie das Licht jeder einzelnen Figur, so das Licht des
ganzen Bildes bei ihm Ein Licht. Ebenso die Schatten. Wie uns die
Natur niemals verschiedene Gegenstände mit einem und demselben Nach-
druck von Seiten des Lichts zeigt, und die verschiedenen Lagen und
Wendungen der Körper verschiedenes Licht hervorbringen, so hat Cor-
reggio im Inneren seiner Bilder und in der größten Identität des
Ganzen doch die größtmögliche Mannichfaltigkeit der Beleuchtung an-
gebracht und niemals dieselbe Stärke, es sey im Licht oder Schatten,
wiederholt. In dem schon oben bemerkten Fall, wo ein Körper durch
seinen Schatten das Licht eines andern verändert, ist es nicht gleich-
gültig, welche besondere Farbe der schattende Körper hat: auch dieß
findet sich mit der größten Ueberlegung in den Werken des Correggio
beobachtet. Außer diesen Theilen des Helldunkels übte er vorzüglich
die Kenntniß seiner Verminderung so wie der der Farben durch die
Entfernung, d. h. die Luftperspektive, und er kann auch hiervon als
der erste Schöpfer in der Kunst selbst betrachtet werden, obgleich der
tiefsinnige Leonardo da Vinci die ersten Gründe der Theorie vor ihm
enthüllt hatte, und die vollkommene Ausbildung der Luftperspektive erst
dadurch möglich war, daß sie unabhängig von den übrigen Theilen,
vorzüglich der Zeichnung, in der Landschaftsmalerei behandelt wurde,

Correggio auch die Vollkommenheit der Formen gelehrt habe, die in ſeinen
Werken bewundert wird, ob dieſes ihn gelehrt habe, daß das Ge-
bäude der menſchlichen Geſtalt weder in rein geraden Linien noch in
Abwechslungen von krummen und geraden Linien, ſondern in ab-
wechſelnden Krümmungen beſtehe, oder ob er umgekehrt durch Zeich-
nung, tiefe Kenntniß und genaue Nachahmung der Wahrheit in die
Geheimniſſe des Helldunkels eingedrungen ſey. Genug, er vereinigte
dieſe beiden Formen der Kunſt ebenſo in ſeinen Werken, wie ſie in der
Natur ſelbſt verbunden ſind.

Aber Correggio hat das Höchſte im Helldunkel nicht nur von
Seiten der Formen und der Körperlichkeiten überhaupt, ſondern auch
in dem allgemeineren Theile erreicht, der in der Vertheilung der Lichter
und Schatten beſteht. Kraft der ihm einzig eignen Verſchmelzung und
Abſtufung iſt, wie das Licht jeder einzelnen Figur, ſo das Licht des
ganzen Bildes bei ihm Ein Licht. Ebenſo die Schatten. Wie uns die
Natur niemals verſchiedene Gegenſtände mit einem und demſelben Nach-
druck von Seiten des Lichts zeigt, und die verſchiedenen Lagen und
Wendungen der Körper verſchiedenes Licht hervorbringen, ſo hat Cor-
reggio im Inneren ſeiner Bilder und in der größten Identität des
Ganzen doch die größtmögliche Mannichfaltigkeit der Beleuchtung an-
gebracht und niemals dieſelbe Stärke, es ſey im Licht oder Schatten,
wiederholt. In dem ſchon oben bemerkten Fall, wo ein Körper durch
ſeinen Schatten das Licht eines andern verändert, iſt es nicht gleich-
gültig, welche beſondere Farbe der ſchattende Körper hat: auch dieß
findet ſich mit der größten Ueberlegung in den Werken des Correggio
beobachtet. Außer dieſen Theilen des Helldunkels übte er vorzüglich
die Kenntniß ſeiner Verminderung ſo wie der der Farben durch die
Entfernung, d. h. die Luftperſpektive, und er kann auch hiervon als
der erſte Schöpfer in der Kunſt ſelbſt betrachtet werden, obgleich der
tiefſinnige Leonardo da Vinci die erſten Gründe der Theorie vor ihm
enthüllt hatte, und die vollkommene Ausbildung der Luftperſpektive erſt
dadurch möglich war, daß ſie unabhängig von den übrigen Theilen,
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[535/0211] Correggio auch die Vollkommenheit der Formen gelehrt habe, die in ſeinen Werken bewundert wird, ob dieſes ihn gelehrt habe, daß das Ge- bäude der menſchlichen Geſtalt weder in rein geraden Linien noch in Abwechslungen von krummen und geraden Linien, ſondern in ab- wechſelnden Krümmungen beſtehe, oder ob er umgekehrt durch Zeich- nung, tiefe Kenntniß und genaue Nachahmung der Wahrheit in die Geheimniſſe des Helldunkels eingedrungen ſey. Genug, er vereinigte dieſe beiden Formen der Kunſt ebenſo in ſeinen Werken, wie ſie in der Natur ſelbſt verbunden ſind. Aber Correggio hat das Höchſte im Helldunkel nicht nur von Seiten der Formen und der Körperlichkeiten überhaupt, ſondern auch in dem allgemeineren Theile erreicht, der in der Vertheilung der Lichter und Schatten beſteht. Kraft der ihm einzig eignen Verſchmelzung und Abſtufung iſt, wie das Licht jeder einzelnen Figur, ſo das Licht des ganzen Bildes bei ihm Ein Licht. Ebenſo die Schatten. Wie uns die Natur niemals verſchiedene Gegenſtände mit einem und demſelben Nach- druck von Seiten des Lichts zeigt, und die verſchiedenen Lagen und Wendungen der Körper verſchiedenes Licht hervorbringen, ſo hat Cor- reggio im Inneren ſeiner Bilder und in der größten Identität des Ganzen doch die größtmögliche Mannichfaltigkeit der Beleuchtung an- gebracht und niemals dieſelbe Stärke, es ſey im Licht oder Schatten, wiederholt. In dem ſchon oben bemerkten Fall, wo ein Körper durch ſeinen Schatten das Licht eines andern verändert, iſt es nicht gleich- gültig, welche beſondere Farbe der ſchattende Körper hat: auch dieß findet ſich mit der größten Ueberlegung in den Werken des Correggio beobachtet. Außer dieſen Theilen des Helldunkels übte er vorzüglich die Kenntniß ſeiner Verminderung ſo wie der der Farben durch die Entfernung, d. h. die Luftperſpektive, und er kann auch hiervon als der erſte Schöpfer in der Kunſt ſelbſt betrachtet werden, obgleich der tiefſinnige Leonardo da Vinci die erſten Gründe der Theorie vor ihm enthüllt hatte, und die vollkommene Ausbildung der Luftperſpektive erſt dadurch möglich war, daß ſie unabhängig von den übrigen Theilen, vorzüglich der Zeichnung, in der Landſchaftsmalerei behandelt wurde,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/211>, abgerufen am 24.11.2024.