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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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bedienen kann, den Wirkungen der Finsterniß weit näher kommen als
das Weiß denen des Lichts. Schon Leonardo da Vinci, der Vorläufer
des himmlischen Genies Correggio sagt: Maler, wenn du den Glanz
des Ruhmes begehrst, fürchte die Dunkelheit der Schatten nicht.

Jene Identität, zu welcher Licht und Dunkel verschmolzen werden
sollen, daß sie Ein Leib und Eine Seele sind, fordert von selbst schon,
daß sie zu großen Massen vereinigt, wie aus Einem Guß seyen.
Diese identische und nur in sich selbst sich abstufende Masse verleiht
dem Ganzen den Ausdruck tiefer Ruhe, und setzt das Auge, wie den
inneren Sinn, welchen weder das Licht allein noch das Dunkel allein
befriedigt, in jenen Zustand der aus der Differenz hergestellten In-
differenz, welcher die eigentlichste und wahrste Wirkung aller Kunst
seyn muß.

Soll für die Anschauung der höchste Gipfel in Erreichung der
Kunst des Helldunkels bezeichnet werden, so ist dieß nur durch Cor-
reggio
möglich. Ich habe schon des faden Vorurtheiles erwähnt,
welches diesen Künstler in der Zeichnung heruntersetzt. Wenn man
dieß von den Gegenständen seiner Zeichnung versteht, so ist es richtig,
daß er nicht die einfachen Formen der Alten gewählt hat: in ihm ist
das eigentlich romantische Princip der Malerei ausgesprochen, in ihm
herrscht für seine Kunst durchaus das Ideale, da in der Kunst der
Alten, in der Plastik, und sicher ebenso in der Malerei, das Reale
herrschend war. Ist die Rede davon, daß er nicht wie Michel Angelo
in die Tiefen der Zeichnung gedrungen, das Innere des Organismus
wie dieser entwickelt dargestellt, und im Nackten ebenso kühn gewesen
als Michel Angelo, so ist auch dieß gegründet. Aber in keinem seiner
Originalwerke ist etwas, das der wahren Zeichnung widerspräche. Dieß
ist selbst das Urtheil von Mengs, obgleich er Correggio übrigens als
Gegensatz betrachtete, und selbst den Eklektiker in der Kunst machte.

An und für sich schon ist das Helldunkel von der Zeichnung un-
zertrennlich, denn Zeichnung ohne Licht und Schatten kann niemals die
wahre Gestalt eines Dings ausdrücken. Dabei mag es nun immer
unentschieden bleiben, ob das tiefe Studium des Helldunkels den

bedienen kann, den Wirkungen der Finſterniß weit näher kommen als
das Weiß denen des Lichts. Schon Leonardo da Vinci, der Vorläufer
des himmliſchen Genies Correggio ſagt: Maler, wenn du den Glanz
des Ruhmes begehrſt, fürchte die Dunkelheit der Schatten nicht.

Jene Identität, zu welcher Licht und Dunkel verſchmolzen werden
ſollen, daß ſie Ein Leib und Eine Seele ſind, fordert von ſelbſt ſchon,
daß ſie zu großen Maſſen vereinigt, wie aus Einem Guß ſeyen.
Dieſe identiſche und nur in ſich ſelbſt ſich abſtufende Maſſe verleiht
dem Ganzen den Ausdruck tiefer Ruhe, und ſetzt das Auge, wie den
inneren Sinn, welchen weder das Licht allein noch das Dunkel allein
befriedigt, in jenen Zuſtand der aus der Differenz hergeſtellten In-
differenz, welcher die eigentlichſte und wahrſte Wirkung aller Kunſt
ſeyn muß.

Soll für die Anſchauung der höchſte Gipfel in Erreichung der
Kunſt des Helldunkels bezeichnet werden, ſo iſt dieß nur durch Cor-
reggio
möglich. Ich habe ſchon des faden Vorurtheiles erwähnt,
welches dieſen Künſtler in der Zeichnung herunterſetzt. Wenn man
dieß von den Gegenſtänden ſeiner Zeichnung verſteht, ſo iſt es richtig,
daß er nicht die einfachen Formen der Alten gewählt hat: in ihm iſt
das eigentlich romantiſche Princip der Malerei ausgeſprochen, in ihm
herrſcht für ſeine Kunſt durchaus das Ideale, da in der Kunſt der
Alten, in der Plaſtik, und ſicher ebenſo in der Malerei, das Reale
herrſchend war. Iſt die Rede davon, daß er nicht wie Michel Angelo
in die Tiefen der Zeichnung gedrungen, das Innere des Organismus
wie dieſer entwickelt dargeſtellt, und im Nackten ebenſo kühn geweſen
als Michel Angelo, ſo iſt auch dieß gegründet. Aber in keinem ſeiner
Originalwerke iſt etwas, das der wahren Zeichnung widerſpräche. Dieß
iſt ſelbſt das Urtheil von Mengs, obgleich er Correggio übrigens als
Gegenſatz betrachtete, und ſelbſt den Eklektiker in der Kunſt machte.

An und für ſich ſchon iſt das Helldunkel von der Zeichnung un-
zertrennlich, denn Zeichnung ohne Licht und Schatten kann niemals die
wahre Geſtalt eines Dings ausdrücken. Dabei mag es nun immer
unentſchieden bleiben, ob das tiefe Studium des Helldunkels den

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[534/0210] bedienen kann, den Wirkungen der Finſterniß weit näher kommen als das Weiß denen des Lichts. Schon Leonardo da Vinci, der Vorläufer des himmliſchen Genies Correggio ſagt: Maler, wenn du den Glanz des Ruhmes begehrſt, fürchte die Dunkelheit der Schatten nicht. Jene Identität, zu welcher Licht und Dunkel verſchmolzen werden ſollen, daß ſie Ein Leib und Eine Seele ſind, fordert von ſelbſt ſchon, daß ſie zu großen Maſſen vereinigt, wie aus Einem Guß ſeyen. Dieſe identiſche und nur in ſich ſelbſt ſich abſtufende Maſſe verleiht dem Ganzen den Ausdruck tiefer Ruhe, und ſetzt das Auge, wie den inneren Sinn, welchen weder das Licht allein noch das Dunkel allein befriedigt, in jenen Zuſtand der aus der Differenz hergeſtellten In- differenz, welcher die eigentlichſte und wahrſte Wirkung aller Kunſt ſeyn muß. Soll für die Anſchauung der höchſte Gipfel in Erreichung der Kunſt des Helldunkels bezeichnet werden, ſo iſt dieß nur durch Cor- reggio möglich. Ich habe ſchon des faden Vorurtheiles erwähnt, welches dieſen Künſtler in der Zeichnung herunterſetzt. Wenn man dieß von den Gegenſtänden ſeiner Zeichnung verſteht, ſo iſt es richtig, daß er nicht die einfachen Formen der Alten gewählt hat: in ihm iſt das eigentlich romantiſche Princip der Malerei ausgeſprochen, in ihm herrſcht für ſeine Kunſt durchaus das Ideale, da in der Kunſt der Alten, in der Plaſtik, und ſicher ebenſo in der Malerei, das Reale herrſchend war. Iſt die Rede davon, daß er nicht wie Michel Angelo in die Tiefen der Zeichnung gedrungen, das Innere des Organismus wie dieſer entwickelt dargeſtellt, und im Nackten ebenſo kühn geweſen als Michel Angelo, ſo iſt auch dieß gegründet. Aber in keinem ſeiner Originalwerke iſt etwas, das der wahren Zeichnung widerſpräche. Dieß iſt ſelbſt das Urtheil von Mengs, obgleich er Correggio übrigens als Gegenſatz betrachtete, und ſelbſt den Eklektiker in der Kunſt machte. An und für ſich ſchon iſt das Helldunkel von der Zeichnung un- zertrennlich, denn Zeichnung ohne Licht und Schatten kann niemals die wahre Geſtalt eines Dings ausdrücken. Dabei mag es nun immer unentſchieden bleiben, ob das tiefe Studium des Helldunkels den

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/210>, abgerufen am 24.11.2024.