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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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sich also durch Beobachtung des harmonischen Theils der organischen
Schönheit, und da sie in Ansehung dieser nur allegorisch seyn kann,
so ist die Harmonie eigentlich der ideale Theil dieser Kunst. (Ueber
die Harmonie in der Architektur ist vorzüglich Vitruvius zu lesen.)
Die Architektur schließt sich auch dadurch ganz an die Musik an, so
daß ein schönes Gebäude in der That nichts anderes als eine mit dem
Aug empfundene Musik, ein nicht in der Zeit-, sondern in der Raum-
folge aufgefaßtes (simultanes) Concert von Harmonien und harmonischen
Verbindungen ist.

Zusatz 1. Die Harmonie ist der herrschende Theil der Archi-
tektur. -- Denn sie ist ihrer Natur nach ideal und allegorisch, und
nähert sich als Musik im Raum wieder der Malerei als der idealen
Kunstform, und in dieser derjenigen Gattung, welche vorzugsweise auf
Harmonie (nicht auf Zeichnung) geht, -- der Landschaft. Die Har-
monie als die ideale Form ist also in ihr, die selbst ihrer Natur nach
ideal ist, nothwendig die herrschende.

Zusatz 2. Die jonische Säulenordnung ist die vorzugsweise
harmonische. -- Der Beweis liegt in der Schönheit aller Proportionen.
Sie bildet den wahren Indifferenzpunkt zwischen der noch strengen Art
der dorischen Ordnung und der überfließenden Ueppigkeit der korin-
thischen. Vitruvius 1 berichtet, daß die jonischen Griechen, als sie den
Tempel der Diana zu Ephesus bauen wollten, die Verhältnisse der alt-
griechischen oder dorischen Ordnung, deren sie sich bisher bedient hatten,
nicht zierlich und schön genug fanden, da diese mehr nach den Verhältnissen
der männlichen Gestalt eingerichtet gewesen, indem die Säule mit Kapitäl
(ohne Fuß) um sechsmal höher als die Dicke an dem untersten Ende
des Stammes war. Sie gaben also ihrer Säulenordnung ein schöneres
Verhältniß, indem sie dieselbe (mit dem Fuß) achtmal höher machten,
als der Stamm dick war, welches dann die Proportionen der weib-
lichen Gestalt gab. Aus diesem Grunde haben sie auch die Vo-
luten
nach Aehnlichkeit des weiblichen Haarputzes an den Schläfen

1 Lib. IV, cap. 1.

ſich alſo durch Beobachtung des harmoniſchen Theils der organiſchen
Schönheit, und da ſie in Anſehung dieſer nur allegoriſch ſeyn kann,
ſo iſt die Harmonie eigentlich der ideale Theil dieſer Kunſt. (Ueber
die Harmonie in der Architektur iſt vorzüglich Vitruvius zu leſen.)
Die Architektur ſchließt ſich auch dadurch ganz an die Muſik an, ſo
daß ein ſchönes Gebäude in der That nichts anderes als eine mit dem
Aug empfundene Muſik, ein nicht in der Zeit-, ſondern in der Raum-
folge aufgefaßtes (ſimultanes) Concert von Harmonien und harmoniſchen
Verbindungen iſt.

Zuſatz 1. Die Harmonie iſt der herrſchende Theil der Archi-
tektur. — Denn ſie iſt ihrer Natur nach ideal und allegoriſch, und
nähert ſich als Muſik im Raum wieder der Malerei als der idealen
Kunſtform, und in dieſer derjenigen Gattung, welche vorzugsweiſe auf
Harmonie (nicht auf Zeichnung) geht, — der Landſchaft. Die Har-
monie als die ideale Form iſt alſo in ihr, die ſelbſt ihrer Natur nach
ideal iſt, nothwendig die herrſchende.

Zuſatz 2. Die joniſche Säulenordnung iſt die vorzugsweiſe
harmoniſche. — Der Beweis liegt in der Schönheit aller Proportionen.
Sie bildet den wahren Indifferenzpunkt zwiſchen der noch ſtrengen Art
der doriſchen Ordnung und der überfließenden Ueppigkeit der korin-
thiſchen. Vitruvius 1 berichtet, daß die joniſchen Griechen, als ſie den
Tempel der Diana zu Epheſus bauen wollten, die Verhältniſſe der alt-
griechiſchen oder doriſchen Ordnung, deren ſie ſich bisher bedient hatten,
nicht zierlich und ſchön genug fanden, da dieſe mehr nach den Verhältniſſen
der männlichen Geſtalt eingerichtet geweſen, indem die Säule mit Kapitäl
(ohne Fuß) um ſechsmal höher als die Dicke an dem unterſten Ende
des Stammes war. Sie gaben alſo ihrer Säulenordnung ein ſchöneres
Verhältniß, indem ſie dieſelbe (mit dem Fuß) achtmal höher machten,
als der Stamm dick war, welches dann die Proportionen der weib-
lichen Geſtalt gab. Aus dieſem Grunde haben ſie auch die Vo-
luten
nach Aehnlichkeit des weiblichen Haarputzes an den Schläfen

1 Lib. IV, cap. 1.
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[595/0271] ſich alſo durch Beobachtung des harmoniſchen Theils der organiſchen Schönheit, und da ſie in Anſehung dieſer nur allegoriſch ſeyn kann, ſo iſt die Harmonie eigentlich der ideale Theil dieſer Kunſt. (Ueber die Harmonie in der Architektur iſt vorzüglich Vitruvius zu leſen.) Die Architektur ſchließt ſich auch dadurch ganz an die Muſik an, ſo daß ein ſchönes Gebäude in der That nichts anderes als eine mit dem Aug empfundene Muſik, ein nicht in der Zeit-, ſondern in der Raum- folge aufgefaßtes (ſimultanes) Concert von Harmonien und harmoniſchen Verbindungen iſt. Zuſatz 1. Die Harmonie iſt der herrſchende Theil der Archi- tektur. — Denn ſie iſt ihrer Natur nach ideal und allegoriſch, und nähert ſich als Muſik im Raum wieder der Malerei als der idealen Kunſtform, und in dieſer derjenigen Gattung, welche vorzugsweiſe auf Harmonie (nicht auf Zeichnung) geht, — der Landſchaft. Die Har- monie als die ideale Form iſt alſo in ihr, die ſelbſt ihrer Natur nach ideal iſt, nothwendig die herrſchende. Zuſatz 2. Die joniſche Säulenordnung iſt die vorzugsweiſe harmoniſche. — Der Beweis liegt in der Schönheit aller Proportionen. Sie bildet den wahren Indifferenzpunkt zwiſchen der noch ſtrengen Art der doriſchen Ordnung und der überfließenden Ueppigkeit der korin- thiſchen. Vitruvius 1 berichtet, daß die joniſchen Griechen, als ſie den Tempel der Diana zu Epheſus bauen wollten, die Verhältniſſe der alt- griechiſchen oder doriſchen Ordnung, deren ſie ſich bisher bedient hatten, nicht zierlich und ſchön genug fanden, da dieſe mehr nach den Verhältniſſen der männlichen Geſtalt eingerichtet geweſen, indem die Säule mit Kapitäl (ohne Fuß) um ſechsmal höher als die Dicke an dem unterſten Ende des Stammes war. Sie gaben alſo ihrer Säulenordnung ein ſchöneres Verhältniß, indem ſie dieſelbe (mit dem Fuß) achtmal höher machten, als der Stamm dick war, welches dann die Proportionen der weib- lichen Geſtalt gab. Aus dieſem Grunde haben ſie auch die Vo- luten nach Aehnlichkeit des weiblichen Haarputzes an den Schläfen 1 Lib. IV, cap. 1.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/271>, abgerufen am 22.11.2024.