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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Denn da auch die Pflanze keinen ausgezeichneten individuellen, sondern
nur einen Gattungscharakter hat, so wäre hier so wenig als in An-
sehung des Anorgischen ein Grund der reellen Nachahmung (ein anderes
ist die ideelle in der Malerei, die mit Licht und Schatten die Farben
wiedergibt); wollte sie aber die Pflanze als Allegorie des höheren Thie-
rischen darstellen, so fiele sie wieder mit der Architektur zusammen.
Wenn endlich die Plastik die höheren Thiergattungen nachahmt, so ist
auch hier ihr Vermögen sehr durch den Gegenstand beschränkt. Denn
auch im Thierreich hat jedes Thier nur den Charakter seiner Gattung,
aber keinen individuellen. Wenn daher die Plastik Thiergestalten
bildet, so ist es nur in folgenden Rücksichten:

a) als die allgemeinste kann die angesehen werden, daß obgleich
das Thier keinen individuellen Charakter hat, doch die Gattung selbst
hier das Individuum ist. Alle verschiedenen Charaktere der Thiere,
welche immer ganzen Gattungen gemein sind, sind Negationen oder
Beschränkungen des absoluten Charakters der Erde; sie erscheinen als
besondere eben deßwegen, weil sie nicht die Totalität ausdrücken, welche
nur im Menschen erscheint. Jede Gattung ist also hier Individuum,
sowie dagegen im Menschengeschlecht jedes Individuum mehr oder
weniger Gattung ist, oder wenigstens seyn muß, wenn es Gegenstand
einer Kunstdarstellung seyn soll. Der Löwe z. B. ist nur großmüthig,
d. h. die ganze Gattung hat den Charakter eines Individuums, der
Fuchs ist nur listig und feig, der Tiger grausam. Wie also das Indi-
viduum der Menschengattung dargestellt wird, weil es als Individuum
zugleich Gattung ist, so kann die Sculptur von dem Thier zwar immer
nur die Gattung, aber diese doch deßwegen darstellen, weil sie an sich
eigentlich ein Individuum ist. Dieses Vcrhältniß der Thiercharaktere
ist z. B. der Grund ihres Gebrauchs in der Fabel, in welcher auch
das Thier nie als Individuum, sondern nur als Gattung auftritt.
Die Fabel erzählt nicht: ein Fuchs, sondern der Fuchs, nicht ein Löwe,
sondern der Löwe.

b) Eine andere Rücksicht, in der die Sculptur Thiergestalten bilden
kann, ist die Beziehung der Thiere auf den Menschen; in dieser

Denn da auch die Pflanze keinen ausgezeichneten individuellen, ſondern
nur einen Gattungscharakter hat, ſo wäre hier ſo wenig als in An-
ſehung des Anorgiſchen ein Grund der reellen Nachahmung (ein anderes
iſt die ideelle in der Malerei, die mit Licht und Schatten die Farben
wiedergibt); wollte ſie aber die Pflanze als Allegorie des höheren Thie-
riſchen darſtellen, ſo fiele ſie wieder mit der Architektur zuſammen.
Wenn endlich die Plaſtik die höheren Thiergattungen nachahmt, ſo iſt
auch hier ihr Vermögen ſehr durch den Gegenſtand beſchränkt. Denn
auch im Thierreich hat jedes Thier nur den Charakter ſeiner Gattung,
aber keinen individuellen. Wenn daher die Plaſtik Thiergeſtalten
bildet, ſo iſt es nur in folgenden Rückſichten:

a) als die allgemeinſte kann die angeſehen werden, daß obgleich
das Thier keinen individuellen Charakter hat, doch die Gattung ſelbſt
hier das Individuum iſt. Alle verſchiedenen Charaktere der Thiere,
welche immer ganzen Gattungen gemein ſind, ſind Negationen oder
Beſchränkungen des abſoluten Charakters der Erde; ſie erſcheinen als
beſondere eben deßwegen, weil ſie nicht die Totalität ausdrücken, welche
nur im Menſchen erſcheint. Jede Gattung iſt alſo hier Individuum,
ſowie dagegen im Menſchengeſchlecht jedes Individuum mehr oder
weniger Gattung iſt, oder wenigſtens ſeyn muß, wenn es Gegenſtand
einer Kunſtdarſtellung ſeyn ſoll. Der Löwe z. B. iſt nur großmüthig,
d. h. die ganze Gattung hat den Charakter eines Individuums, der
Fuchs iſt nur liſtig und feig, der Tiger grauſam. Wie alſo das Indi-
viduum der Menſchengattung dargeſtellt wird, weil es als Individuum
zugleich Gattung iſt, ſo kann die Sculptur von dem Thier zwar immer
nur die Gattung, aber dieſe doch deßwegen darſtellen, weil ſie an ſich
eigentlich ein Individuum iſt. Dieſes Vcrhältniß der Thiercharaktere
iſt z. B. der Grund ihres Gebrauchs in der Fabel, in welcher auch
das Thier nie als Individuum, ſondern nur als Gattung auftritt.
Die Fabel erzählt nicht: ein Fuchs, ſondern der Fuchs, nicht ein Löwe,
ſondern der Löwe.

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kann, iſt die Beziehung der Thiere auf den Menſchen; in dieſer

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[603/0279] Denn da auch die Pflanze keinen ausgezeichneten individuellen, ſondern nur einen Gattungscharakter hat, ſo wäre hier ſo wenig als in An- ſehung des Anorgiſchen ein Grund der reellen Nachahmung (ein anderes iſt die ideelle in der Malerei, die mit Licht und Schatten die Farben wiedergibt); wollte ſie aber die Pflanze als Allegorie des höheren Thie- riſchen darſtellen, ſo fiele ſie wieder mit der Architektur zuſammen. Wenn endlich die Plaſtik die höheren Thiergattungen nachahmt, ſo iſt auch hier ihr Vermögen ſehr durch den Gegenſtand beſchränkt. Denn auch im Thierreich hat jedes Thier nur den Charakter ſeiner Gattung, aber keinen individuellen. Wenn daher die Plaſtik Thiergeſtalten bildet, ſo iſt es nur in folgenden Rückſichten: a) als die allgemeinſte kann die angeſehen werden, daß obgleich das Thier keinen individuellen Charakter hat, doch die Gattung ſelbſt hier das Individuum iſt. Alle verſchiedenen Charaktere der Thiere, welche immer ganzen Gattungen gemein ſind, ſind Negationen oder Beſchränkungen des abſoluten Charakters der Erde; ſie erſcheinen als beſondere eben deßwegen, weil ſie nicht die Totalität ausdrücken, welche nur im Menſchen erſcheint. Jede Gattung iſt alſo hier Individuum, ſowie dagegen im Menſchengeſchlecht jedes Individuum mehr oder weniger Gattung iſt, oder wenigſtens ſeyn muß, wenn es Gegenſtand einer Kunſtdarſtellung ſeyn ſoll. Der Löwe z. B. iſt nur großmüthig, d. h. die ganze Gattung hat den Charakter eines Individuums, der Fuchs iſt nur liſtig und feig, der Tiger grauſam. Wie alſo das Indi- viduum der Menſchengattung dargeſtellt wird, weil es als Individuum zugleich Gattung iſt, ſo kann die Sculptur von dem Thier zwar immer nur die Gattung, aber dieſe doch deßwegen darſtellen, weil ſie an ſich eigentlich ein Individuum iſt. Dieſes Vcrhältniß der Thiercharaktere iſt z. B. der Grund ihres Gebrauchs in der Fabel, in welcher auch das Thier nie als Individuum, ſondern nur als Gattung auftritt. Die Fabel erzählt nicht: ein Fuchs, ſondern der Fuchs, nicht ein Löwe, ſondern der Löwe. b) Eine andere Rückſicht, in der die Sculptur Thiergeſtalten bilden kann, iſt die Beziehung der Thiere auf den Menſchen; in dieſer

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/279>, abgerufen am 22.11.2024.