Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernste und
die komische. Beide Gattungen fordern die Würde eines sittlichen Cha-
rakters, wie er sich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Persius
ausspricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geistes, der
Verhältnisse und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu
sehen weiß, da eben auf der Contrastirung des Allgemeinen und Be-
sonderen die vorzüglichste Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutsch-
land diejenigen, die selbst die Karrikaturen oder die Geschöpfe des Zeit-
alters sind, je und je in sich den Kitzel empfinden, mit einer groben
Feder satyrische Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, ist nicht
mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menschen, die weder die
Welt, noch irgend einen Gegenstand derselben erkannt haben, sich zur
Poesie und den edelsten Gattungen derselben fähig glauben.

Für die komische Satyre hatten die Griechen eigne Repräsentanten
in den besonderen Gattungen halb thierischer, halb menschlicher Wesen,
von welchen, wie das Wahrscheinlichste ist, die Satyre den Namen hat.
Es ist bekannt, daß Aeschylos auch Satyrspiele geschrieben hat, wie
späterhin Euripides. Das Gesetz der komischen Satyre ist in diesem
Ursprung gleichsam ausgesprochen. Wenn die ernste Satyre das Laster,
besonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, so muß die komische
dagegen ihren Gegenständen soviel möglich Schuld und Verdienst nehmen,
sie ganz willenlos, soviel möglich thierisch und ganz und gar sinnlich
zu machen suchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die
mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden ist, erweckt nur Ekel
und widrige Empfindung, sie kann daher nie Gegenstand poetischer
Laune seyn. Dieß wird sie nur durch gänzliche Beraubung des Mensch-
lichen und völlige Umkehrung, in der sie rein komisch erscheint, ohne
ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenstand
am tiefsten herabsetzt.

Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epischen Formen durch-
laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti-
schen
Epos zu reden, und auch dieses in seine besondern Ausbildungen
zu verfolgen.

Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernſte und
die komiſche. Beide Gattungen fordern die Würde eines ſittlichen Cha-
rakters, wie er ſich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Perſius
ausſpricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geiſtes, der
Verhältniſſe und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu
ſehen weiß, da eben auf der Contraſtirung des Allgemeinen und Be-
ſonderen die vorzüglichſte Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutſch-
land diejenigen, die ſelbſt die Karrikaturen oder die Geſchöpfe des Zeit-
alters ſind, je und je in ſich den Kitzel empfinden, mit einer groben
Feder ſatyriſche Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, iſt nicht
mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menſchen, die weder die
Welt, noch irgend einen Gegenſtand derſelben erkannt haben, ſich zur
Poeſie und den edelſten Gattungen derſelben fähig glauben.

Für die komiſche Satyre hatten die Griechen eigne Repräſentanten
in den beſonderen Gattungen halb thieriſcher, halb menſchlicher Weſen,
von welchen, wie das Wahrſcheinlichſte iſt, die Satyre den Namen hat.
Es iſt bekannt, daß Aeſchylos auch Satyrſpiele geſchrieben hat, wie
ſpäterhin Euripides. Das Geſetz der komiſchen Satyre iſt in dieſem
Urſprung gleichſam ausgeſprochen. Wenn die ernſte Satyre das Laſter,
beſonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, ſo muß die komiſche
dagegen ihren Gegenſtänden ſoviel möglich Schuld und Verdienſt nehmen,
ſie ganz willenlos, ſoviel möglich thieriſch und ganz und gar ſinnlich
zu machen ſuchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die
mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden iſt, erweckt nur Ekel
und widrige Empfindung, ſie kann daher nie Gegenſtand poetiſcher
Laune ſeyn. Dieß wird ſie nur durch gänzliche Beraubung des Menſch-
lichen und völlige Umkehrung, in der ſie rein komiſch erſcheint, ohne
ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenſtand
am tiefſten herabſetzt.

Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epiſchen Formen durch-
laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti-
ſchen
Epos zu reden, und auch dieſes in ſeine beſondern Ausbildungen
zu verfolgen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0344" n="668"/>
              <p>Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ern&#x017F;te und<lb/>
die komi&#x017F;che. Beide Gattungen fordern die Würde eines &#x017F;ittlichen Cha-<lb/>
rakters, wie er &#x017F;ich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Per&#x017F;ius<lb/>
aus&#x017F;pricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Gei&#x017F;tes, der<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu<lb/>
&#x017F;ehen weiß, da eben auf der Contra&#x017F;tirung des Allgemeinen und Be-<lb/>
&#x017F;onderen die vorzüglich&#x017F;te Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deut&#x017F;ch-<lb/>
land diejenigen, die &#x017F;elb&#x017F;t die Karrikaturen oder die Ge&#x017F;chöpfe des Zeit-<lb/>
alters &#x017F;ind, je und je in &#x017F;ich den Kitzel empfinden, mit einer groben<lb/>
Feder &#x017F;atyri&#x017F;che Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, i&#x017F;t nicht<lb/>
mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Men&#x017F;chen, die weder die<lb/>
Welt, noch irgend einen Gegen&#x017F;tand der&#x017F;elben erkannt haben, &#x017F;ich zur<lb/>
Poe&#x017F;ie und den edel&#x017F;ten Gattungen der&#x017F;elben fähig glauben.</p><lb/>
              <p>Für die komi&#x017F;che Satyre hatten die Griechen eigne Reprä&#x017F;entanten<lb/>
in den be&#x017F;onderen Gattungen halb thieri&#x017F;cher, halb men&#x017F;chlicher We&#x017F;en,<lb/>
von welchen, wie das Wahr&#x017F;cheinlich&#x017F;te i&#x017F;t, die Satyre den Namen hat.<lb/>
Es i&#x017F;t bekannt, daß Ae&#x017F;chylos auch Satyr&#x017F;piele ge&#x017F;chrieben hat, wie<lb/>
&#x017F;päterhin Euripides. Das Ge&#x017F;etz der komi&#x017F;chen Satyre i&#x017F;t in die&#x017F;em<lb/>
Ur&#x017F;prung gleich&#x017F;am ausge&#x017F;prochen. Wenn die ern&#x017F;te Satyre das La&#x017F;ter,<lb/>
be&#x017F;onders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, &#x017F;o muß die komi&#x017F;che<lb/>
dagegen ihren Gegen&#x017F;tänden &#x017F;oviel möglich Schuld und Verdien&#x017F;t nehmen,<lb/>
&#x017F;ie ganz willenlos, &#x017F;oviel möglich thieri&#x017F;ch und ganz und gar &#x017F;innlich<lb/>
zu machen &#x017F;uchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die<lb/>
mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden i&#x017F;t, erweckt nur Ekel<lb/>
und widrige Empfindung, &#x017F;ie kann daher nie Gegen&#x017F;tand poeti&#x017F;cher<lb/>
Laune &#x017F;eyn. Dieß wird &#x017F;ie nur durch gänzliche Beraubung des Men&#x017F;ch-<lb/>
lichen und völlige Umkehrung, in der &#x017F;ie rein komi&#x017F;ch er&#x017F;cheint, ohne<lb/>
ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegen&#x017F;tand<lb/>
am tief&#x017F;ten herab&#x017F;etzt.</p><lb/>
              <p>Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epi&#x017F;chen Formen durch-<lb/>
laufen. Wir haben nun noch von dem <hi rendition="#g">modernen</hi> oder <hi rendition="#g">romanti-<lb/>
&#x017F;chen</hi> Epos zu reden, und auch die&#x017F;es in &#x017F;eine be&#x017F;ondern Ausbildungen<lb/>
zu verfolgen.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[668/0344] Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernſte und die komiſche. Beide Gattungen fordern die Würde eines ſittlichen Cha- rakters, wie er ſich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Perſius ausſpricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geiſtes, der Verhältniſſe und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu ſehen weiß, da eben auf der Contraſtirung des Allgemeinen und Be- ſonderen die vorzüglichſte Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutſch- land diejenigen, die ſelbſt die Karrikaturen oder die Geſchöpfe des Zeit- alters ſind, je und je in ſich den Kitzel empfinden, mit einer groben Feder ſatyriſche Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, iſt nicht mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menſchen, die weder die Welt, noch irgend einen Gegenſtand derſelben erkannt haben, ſich zur Poeſie und den edelſten Gattungen derſelben fähig glauben. Für die komiſche Satyre hatten die Griechen eigne Repräſentanten in den beſonderen Gattungen halb thieriſcher, halb menſchlicher Weſen, von welchen, wie das Wahrſcheinlichſte iſt, die Satyre den Namen hat. Es iſt bekannt, daß Aeſchylos auch Satyrſpiele geſchrieben hat, wie ſpäterhin Euripides. Das Geſetz der komiſchen Satyre iſt in dieſem Urſprung gleichſam ausgeſprochen. Wenn die ernſte Satyre das Laſter, beſonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, ſo muß die komiſche dagegen ihren Gegenſtänden ſoviel möglich Schuld und Verdienſt nehmen, ſie ganz willenlos, ſoviel möglich thieriſch und ganz und gar ſinnlich zu machen ſuchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden iſt, erweckt nur Ekel und widrige Empfindung, ſie kann daher nie Gegenſtand poetiſcher Laune ſeyn. Dieß wird ſie nur durch gänzliche Beraubung des Menſch- lichen und völlige Umkehrung, in der ſie rein komiſch erſcheint, ohne ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenſtand am tiefſten herabſetzt. Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epiſchen Formen durch- laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti- ſchen Epos zu reden, und auch dieſes in ſeine beſondern Ausbildungen zu verfolgen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/344
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/344>, abgerufen am 22.11.2024.