Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernste und die komische. Beide Gattungen fordern die Würde eines sittlichen Cha- rakters, wie er sich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Persius ausspricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geistes, der Verhältnisse und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu sehen weiß, da eben auf der Contrastirung des Allgemeinen und Be- sonderen die vorzüglichste Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutsch- land diejenigen, die selbst die Karrikaturen oder die Geschöpfe des Zeit- alters sind, je und je in sich den Kitzel empfinden, mit einer groben Feder satyrische Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, ist nicht mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menschen, die weder die Welt, noch irgend einen Gegenstand derselben erkannt haben, sich zur Poesie und den edelsten Gattungen derselben fähig glauben.
Für die komische Satyre hatten die Griechen eigne Repräsentanten in den besonderen Gattungen halb thierischer, halb menschlicher Wesen, von welchen, wie das Wahrscheinlichste ist, die Satyre den Namen hat. Es ist bekannt, daß Aeschylos auch Satyrspiele geschrieben hat, wie späterhin Euripides. Das Gesetz der komischen Satyre ist in diesem Ursprung gleichsam ausgesprochen. Wenn die ernste Satyre das Laster, besonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, so muß die komische dagegen ihren Gegenständen soviel möglich Schuld und Verdienst nehmen, sie ganz willenlos, soviel möglich thierisch und ganz und gar sinnlich zu machen suchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden ist, erweckt nur Ekel und widrige Empfindung, sie kann daher nie Gegenstand poetischer Laune seyn. Dieß wird sie nur durch gänzliche Beraubung des Mensch- lichen und völlige Umkehrung, in der sie rein komisch erscheint, ohne ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenstand am tiefsten herabsetzt.
Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epischen Formen durch- laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti- schen Epos zu reden, und auch dieses in seine besondern Ausbildungen zu verfolgen.
Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernſte und die komiſche. Beide Gattungen fordern die Würde eines ſittlichen Cha- rakters, wie er ſich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Perſius ausſpricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geiſtes, der Verhältniſſe und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu ſehen weiß, da eben auf der Contraſtirung des Allgemeinen und Be- ſonderen die vorzüglichſte Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutſch- land diejenigen, die ſelbſt die Karrikaturen oder die Geſchöpfe des Zeit- alters ſind, je und je in ſich den Kitzel empfinden, mit einer groben Feder ſatyriſche Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, iſt nicht mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menſchen, die weder die Welt, noch irgend einen Gegenſtand derſelben erkannt haben, ſich zur Poeſie und den edelſten Gattungen derſelben fähig glauben.
Für die komiſche Satyre hatten die Griechen eigne Repräſentanten in den beſonderen Gattungen halb thieriſcher, halb menſchlicher Weſen, von welchen, wie das Wahrſcheinlichſte iſt, die Satyre den Namen hat. Es iſt bekannt, daß Aeſchylos auch Satyrſpiele geſchrieben hat, wie ſpäterhin Euripides. Das Geſetz der komiſchen Satyre iſt in dieſem Urſprung gleichſam ausgeſprochen. Wenn die ernſte Satyre das Laſter, beſonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, ſo muß die komiſche dagegen ihren Gegenſtänden ſoviel möglich Schuld und Verdienſt nehmen, ſie ganz willenlos, ſoviel möglich thieriſch und ganz und gar ſinnlich zu machen ſuchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden iſt, erweckt nur Ekel und widrige Empfindung, ſie kann daher nie Gegenſtand poetiſcher Laune ſeyn. Dieß wird ſie nur durch gänzliche Beraubung des Menſch- lichen und völlige Umkehrung, in der ſie rein komiſch erſcheint, ohne ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenſtand am tiefſten herabſetzt.
Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epiſchen Formen durch- laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti- ſchen Epos zu reden, und auch dieſes in ſeine beſondern Ausbildungen zu verfolgen.
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Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernſte und
die komiſche. Beide Gattungen fordern die Würde eines ſittlichen Cha-
rakters, wie er ſich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Perſius
ausſpricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geiſtes, der
Verhältniſſe und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu
ſehen weiß, da eben auf der Contraſtirung des Allgemeinen und Be-
ſonderen die vorzüglichſte Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutſch-
land diejenigen, die ſelbſt die Karrikaturen oder die Geſchöpfe des Zeit-
alters ſind, je und je in ſich den Kitzel empfinden, mit einer groben
Feder ſatyriſche Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, iſt nicht
mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menſchen, die weder die
Welt, noch irgend einen Gegenſtand derſelben erkannt haben, ſich zur
Poeſie und den edelſten Gattungen derſelben fähig glauben.
Für die komiſche Satyre hatten die Griechen eigne Repräſentanten
in den beſonderen Gattungen halb thieriſcher, halb menſchlicher Weſen,
von welchen, wie das Wahrſcheinlichſte iſt, die Satyre den Namen hat.
Es iſt bekannt, daß Aeſchylos auch Satyrſpiele geſchrieben hat, wie
ſpäterhin Euripides. Das Geſetz der komiſchen Satyre iſt in dieſem
Urſprung gleichſam ausgeſprochen. Wenn die ernſte Satyre das Laſter,
beſonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, ſo muß die komiſche
dagegen ihren Gegenſtänden ſoviel möglich Schuld und Verdienſt nehmen,
ſie ganz willenlos, ſoviel möglich thieriſch und ganz und gar ſinnlich
zu machen ſuchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die
mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden iſt, erweckt nur Ekel
und widrige Empfindung, ſie kann daher nie Gegenſtand poetiſcher
Laune ſeyn. Dieß wird ſie nur durch gänzliche Beraubung des Menſch-
lichen und völlige Umkehrung, in der ſie rein komiſch erſcheint, ohne
ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenſtand
am tiefſten herabſetzt.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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