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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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unauflöslichste Mischung, die vollkommenste Durchdringung von allem;
es ist nicht als dieses einzelne (denn insofern eignet auch dieses
Gedicht der Zeit), aber es ist als Gattung allgemeinster Repräsentant
der modernen Poesie, nicht ein einzelnes Gedicht, sondern das Gedicht
aller Gedichte, die Poesie der modernen Poesie selbst.

Dieß ist der Grund, warum ich die göttliche Komödie des Dante
zum Gegenstand einer besondern Betrachtung mache, sie unter keine
Gattung subsumire, sondern hiemit als Gattung für sich selbst con-
stituire. 1


Von dem epischen Gedicht, welches wir bisher sowohl an sich selbst
als in den Gattungen, die es durch Mischung mit andern Formen
bildet, betrachtet haben -- von dem epischen Gedicht als der Identität
ging die Poesie aus, gleichsam als von einem Stande der Unschuld,
wo alles noch beisammen und eins ist, was später nur zerstreut existirt,
oder nur aus der Zerstreuung wieder zur Einheit kommt. Diese Iden-
tität entzündete sich im Fortgang der Bildung im lyrischen Gedicht zum
Widerstreit, und erst die reifste Frucht der späteren Bildung war es,
wodurch, auf einer höheren Stufe, die Einheit selbst mit dem Wider-
streit sich versöhnte, und beide wieder in einer vollkommneren Bildung
eins wurden. Diese höhere Identität ist das Drama, welches, die
Naturen beider entgegengesetzten Gattungen in sich begreifend, die höchste
Erscheinung des An-sich und des Wesens aller Kunst ist.

So gesetzmäßig ist der Gang aller natürlichen Bildung, daß, was
die letzte Synthese der Idee nach, die Vereinigung aller Gegensätze
zur Totalität ist, auch die letzte Erscheinung der Zeit nach ist.

Daß der allgemeine Gegensatz des Unendlichen und Endlichen für
die Kunst in der höchsten Potenz sich als Gegensatz der Nothwendigkeit

1 Der nun im Manuscript folgende Abschnitt "Dantes göttliche
Komödie
" ist unter den Abhandlungen des Kritischen Journals abgedruckt
(oben S. 152 ff.). D. H.

unauflöslichſte Miſchung, die vollkommenſte Durchdringung von allem;
es iſt nicht als dieſes einzelne (denn inſofern eignet auch dieſes
Gedicht der Zeit), aber es iſt als Gattung allgemeinſter Repräſentant
der modernen Poeſie, nicht ein einzelnes Gedicht, ſondern das Gedicht
aller Gedichte, die Poeſie der modernen Poeſie ſelbſt.

Dieß iſt der Grund, warum ich die göttliche Komödie des Dante
zum Gegenſtand einer beſondern Betrachtung mache, ſie unter keine
Gattung ſubſumire, ſondern hiemit als Gattung für ſich ſelbſt con-
ſtituire. 1


Von dem epiſchen Gedicht, welches wir bisher ſowohl an ſich ſelbſt
als in den Gattungen, die es durch Miſchung mit andern Formen
bildet, betrachtet haben — von dem epiſchen Gedicht als der Identität
ging die Poeſie aus, gleichſam als von einem Stande der Unſchuld,
wo alles noch beiſammen und eins iſt, was ſpäter nur zerſtreut exiſtirt,
oder nur aus der Zerſtreuung wieder zur Einheit kommt. Dieſe Iden-
tität entzündete ſich im Fortgang der Bildung im lyriſchen Gedicht zum
Widerſtreit, und erſt die reifſte Frucht der ſpäteren Bildung war es,
wodurch, auf einer höheren Stufe, die Einheit ſelbſt mit dem Wider-
ſtreit ſich verſöhnte, und beide wieder in einer vollkommneren Bildung
eins wurden. Dieſe höhere Identität iſt das Drama, welches, die
Naturen beider entgegengeſetzten Gattungen in ſich begreifend, die höchſte
Erſcheinung des An-ſich und des Weſens aller Kunſt iſt.

So geſetzmäßig iſt der Gang aller natürlichen Bildung, daß, was
die letzte Syntheſe der Idee nach, die Vereinigung aller Gegenſätze
zur Totalität iſt, auch die letzte Erſcheinung der Zeit nach iſt.

Daß der allgemeine Gegenſatz des Unendlichen und Endlichen für
die Kunſt in der höchſten Potenz ſich als Gegenſatz der Nothwendigkeit

1 Der nun im Manuſcript folgende Abſchnitt „Dantes göttliche
Komödie
“ iſt unter den Abhandlungen des Kritiſchen Journals abgedruckt
(oben S. 152 ff.). D. H.
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[687/0363] unauflöslichſte Miſchung, die vollkommenſte Durchdringung von allem; es iſt nicht als dieſes einzelne (denn inſofern eignet auch dieſes Gedicht der Zeit), aber es iſt als Gattung allgemeinſter Repräſentant der modernen Poeſie, nicht ein einzelnes Gedicht, ſondern das Gedicht aller Gedichte, die Poeſie der modernen Poeſie ſelbſt. Dieß iſt der Grund, warum ich die göttliche Komödie des Dante zum Gegenſtand einer beſondern Betrachtung mache, ſie unter keine Gattung ſubſumire, ſondern hiemit als Gattung für ſich ſelbſt con- ſtituire. 1 Von dem epiſchen Gedicht, welches wir bisher ſowohl an ſich ſelbſt als in den Gattungen, die es durch Miſchung mit andern Formen bildet, betrachtet haben — von dem epiſchen Gedicht als der Identität ging die Poeſie aus, gleichſam als von einem Stande der Unſchuld, wo alles noch beiſammen und eins iſt, was ſpäter nur zerſtreut exiſtirt, oder nur aus der Zerſtreuung wieder zur Einheit kommt. Dieſe Iden- tität entzündete ſich im Fortgang der Bildung im lyriſchen Gedicht zum Widerſtreit, und erſt die reifſte Frucht der ſpäteren Bildung war es, wodurch, auf einer höheren Stufe, die Einheit ſelbſt mit dem Wider- ſtreit ſich verſöhnte, und beide wieder in einer vollkommneren Bildung eins wurden. Dieſe höhere Identität iſt das Drama, welches, die Naturen beider entgegengeſetzten Gattungen in ſich begreifend, die höchſte Erſcheinung des An-ſich und des Weſens aller Kunſt iſt. So geſetzmäßig iſt der Gang aller natürlichen Bildung, daß, was die letzte Syntheſe der Idee nach, die Vereinigung aller Gegenſätze zur Totalität iſt, auch die letzte Erſcheinung der Zeit nach iſt. Daß der allgemeine Gegenſatz des Unendlichen und Endlichen für die Kunſt in der höchſten Potenz ſich als Gegenſatz der Nothwendigkeit 1 Der nun im Manuſcript folgende Abſchnitt „Dantes göttliche Komödie“ iſt unter den Abhandlungen des Kritiſchen Journals abgedruckt (oben S. 152 ff.). D. H.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/363>, abgerufen am 22.11.2024.